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Katha­rina Maier
» Ich lebe, um zu schreiben

Autorin:Katha­rina Maier
Titel:Ich lebe, um zu schreiben
Aus­gabe:Marix Ver­lag, Wies­ba­den 2017
Erstan­den:anti­qua­risch

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Die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Katha­rina Maier hat in ihrem Werk »Ich lebe, um zu schrei­ben« 44 Schrift­stel­le­rin­nen por­trä­tiert. Im Vor­wort betont sie, dass »eine kleine weib­li­che Lite­ra­tur­ge­schichte der letz­ten 200 Jahre« (S. 16) ent­stan­den sei. Vor allem Endes des 19. Jahr­hun­derts seien die Stim­men der Frauen immer lau­ter gewor­den, beein­flusst durch die Fran­zö­si­sche Revo­lu­tion, die Auf­klä­rung und die Indus­tria­li­sie­rung. (vgl. S. 12). Ich würde noch hin­zu­fü­gen, dass durch die bür­ger­li­che und pro­le­ta­ri­sche Frau­en­be­we­gung die Stim­men der Frauen auch immer lau­ter wur­den, ich denke an Louise Otto-Peters oder Rosa Luxem­burg. Die Schrift­stel­le­rin­nen des 19. und 20. Jahr­hun­derts wür­den einen weib­li­chen Blick auf die Welt und die Gesell­schaft zei­gen und seien damit auch deut­lich poli­tisch. Es gäbe die weib­li­che Lite­ra­tur, wie Katha­rina Maier im Vor­wort betont, nicht, denn jede Schrift­stel­le­rin sei anders (vgl. S. 16). Aber ich ergänze, es gibt das »weib­li­che Schrei­ben«, es wer­den von Frauen The­men auf­ge­grif­fen, die sonst ver­schwie­gen wer­den. Schrift­stel­le­rin­nen arbei­ten unter ande­ren Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen als Schrift­stel­ler und schrei­ben aus einer ande­ren Perspektive.

Jetzt zurück zu den 44 Schrift­stel­le­rin­nen, die Katha­rina Maier letzt­lich sub­jek­tiv aus­ge­wählt hat für ein Por­trät. Die Aus­wahl­kri­te­rien nennt sie nicht, es muss eine Schrift­stel­le­rin sein. Und hier setzt meine Kri­tik an. Was hat eine Johanna Spyri mit Anna Seg­hers oder Christa Wolf gemein? Nur das Merk­mal »Geschlecht: weib­lich« reicht mir nicht aus. Der Roman von Johanna Spyri »Heidi« »begeis­tert Leser und Kri­ti­ker glei­cher­ma­ßen. Schon zu jener Zeit wird Johanna Spyri für das ide­al­ty­pi­sche Bild geliebt.« (S. 78). Aus heu­ti­ger Frau­en­per­spek­tive muss Johanna Spyri deut­lich kri­ti­siert wer­den. Die Rolle der Heidi wird ent­wor­fen auf dem Hin­ter­grund des dama­li­gen Frau­en­ide­als. Abwei­chen­des Ver­hal­ten von die­sem Ideal, näm­lich ledig und berufs­tä­tig zu sein, wird nega­tiv dar­ge­stellt und damit unter­stützt Johanna Spyri die patri­ar­cha­li­sche Gesellschaft.

Im Gegen­satz dazu Selma Lager­löf, hier betont Katha­rina Maier, »sie kämpft auch ent­schie­den für das Frau­en­wahl­recht« (S. 97). Wäre es nicht span­nen­der gewe­sen, Schrift­stel­le­rin­nen aus­zu­wäh­len, die diese Per­spek­tive der Frauen ver­tre­ten? Johanna Spyri macht genau das Gegenteil.

Daher wirkt die Aus­wahl der Schrift­stel­le­rin­nen eher unkri­tisch. Das zeigt sich auch bei der Ein­schät­zung von Anna Seg­hers. Hier wird Gün­ther Grass zitiert, der Anna Seg­hers vor­wirft: »Es darf nicht sein, daß Sie die Gewalt­tä­tig­keit einer Dik­ta­tur ver­ken­nen, die sich mit Ihrem Traum von Sozia­lis­mus und Kom­mu­nis­mus geschickt ver­klei­det hat.« (S. 170). Hier hätte ich von der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin erwar­tet, dass sie die­ses Zitat zumin­dest infrage stellt, da Gün­ther Grass in einem Inter­view mit der FAZ zugibt, dass er Mit­glied der Waf­fen-SS war. Quelle

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Katha­rina Maier | Quelle

Bei der Dar­stel­lung von Christa Wolf hätte ich es auch pas­sen­der gefun­den, auf ihre weib­li­che Per­spek­tive ein­zu­ge­hen und nicht immer wie­der dar­auf, dass sie auch sehr kurze Zeit IM war. Christa Wolf hat mit ihren Wer­ken die Frau­en­be­we­gung in Ost und West sehr stark beein­flusst. »Denn Christa Wolf the­ma­ti­siert darin auch geschlechts­spe­zi­fi­sche Unter­drü­ckung und weib­li­che Iden­ti­tät – bei­des The­men, die im femi­nis­ti­schen Dis­kurs eine wich­tige Rolle spiel(t)en.« Quelle

In den letz­ten bei­den Jah­ren sind zwei Lite­ra­tur­ge­schich­ten von Frauen über Schrift­stel­le­rin­nen erschie­nen, die ihren Blick auf die Schrift­stel­le­rin­nen deut­lich ein­ge­grenzt haben und damit über­zeu­gen­der wir­ken. So geht Nicole Sei­fert in ihrem Buch »Frauen Lite­ra­tur: Abge­wer­tet, ver­ges­sen, wie­der­ent­deckt« auf Lite­ra­tur von Frauen ein, die in den Lite­ra­tur­ge­schich­ten nicht mehr auf­tau­chen. »»Hier nach­zu­le­sen

Ebenso hat Iris Schür­mann-Mock in ihrem Buch »Ich finde es unan­stän­dig, vor­sich­tig zu leben« Schrift­stel­le­rin­nen aus 250 Jah­ren vor­ge­stellt, die auch in Ver­ges­sen­heit zu gera­ten dro­hen. »»Hier nach­zu­le­sen

In allen drei Lite­ra­tur­ge­schich­ten – also auch in der von Katha­rina Maier – feh­len die schrei­ben­den Frauen aus der DDR: Helga Königs­dorf, Gerti Tetz­ner, Irm­traud Morg­ner, Elke Erb, Gisela Stein­eckert, usw.

Warum?

Weni­ger lesenswert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2024 rezensiert, Katharina Maier, Literaturgeschichte, Marix Verlag, Schriftstellerinnen