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Claire Keegan
» Foster
Autor: | Claire Keegan (Irland, 2010) |
Titel: | Foster |
Ausgabe: | Faber & Faber, 2022, Taschenbuchausgabe, englische Originalfassung |
Erstanden: | Ein Geburtstaggeschenk |
Es ist tatsächlich schon das dritte Buch der Verfasserin, das ich rezensiere. Nach dem Roman über das achtsame Leben bzw. der Novelle des Scheiterns eines irischen Macho.
Und das liegt an der dichten Schreibweise von Keegan, die beim Leser sofort Bilder erzeugt. Es geht hier um ein Mädchen, vielleicht 8 bis 9 Jahre alt, auf einem eher armen, aber kinderreichen Hof im irischen County Wexford lebend, der Heimat auch der Autorin. Das Mädchen wird für eine Weile in Pflege gegeben zu Verwandten, um auf dem Hof – nach dem jüngsten Kind etwas Entspannung zu haben.
Die Kleine ist äußerst aufmerksam, denkt daran, wie ihre Mutter sie beim Abschied an den prallen Babybauch gedrückt hat. Prall, aber hart und durchaus als Metapher zu verstehen.
Schon während der Vater sie zur Pflegestelle bringt, hat das Mädchen Bilder im Kopf:?Wie könnte das Leben bei den Pflegeeltern sein?
An deren Hof angekommen erschrickt sie: Papa, die Bäume sind krank! Es sind Trauerweiden (weeping willows) beruhigt der.
Der Pflegevater sieht allerdings gar nicht so aus, wie die Leute aus der Familie ihrer Mutter, reflektiert die Kleine.
Bei der Ankunft bleiben die Männer erstmal draußen stehen, S.6, »…and they are talking rain«, ein small talk von Landleuten. Das dauert eine Weile, aber das Mädchen ist es gewohnt, vor allem, S.6: »…I am used to, this way men have of not talking.«
Warm erscheint die dortige Bauernküche schon bei der Ankunft, anheimelnd der Geruch nach gebackenem Kuchen. Die Bildsprache dazu, die verdeutlicht, wie arm das Mädchen angezogen ist. Die Kleine ist gespalten, halb will sie, dass ihr Vater sie auf dem neuen Hof lässt, halb will sie wieder zurück mit ihm. Hier aber wird sie mit Rhabarberkuchen und Milch empfangen, einer sauberen, gut ausgestatteten Küche, Blumen auf dem Tisch. Und wenn ihr Vater meint, sie solle sich ihr Essen auf dem Hof verdienen, so antwortet der Pflegevater, das wäre nicht notwendig, es würde genügen, wenn sie der Hausfrau etwas zur Hand ginge. Und so merkt das Mädchen schnell, S. 13: »…this is a different type of house. Here there is room, and time to think.«
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Der echte Vater verläßt den Hof abrupt, gibt seiner Tochter nicht einmal ihre Kleidung und Accessoires mit, sie wird dort praktisch »ohne alles« dagelassen. S. 15: »Why did he leave without so much as a good-bye, without ever mentioning that he would come back for me?« fragt die Tochter und spricht damit die emotionale Vernachläßigung durch den leiblichen Vater an.
Sie wird von der Pflegemutter gebadet, ganz anders als zu Hause. Als sie abgeseift wird, ist da etwas in den Händen der Frau, was sie noch nie gefühlt hat. Und weil sie absolut nichts anzuziehen hat, improvisieren die Pflegeltern geschickt. Und als die sie fragen, was ihre Mutter so sagt, heißt es, S. 19 »She says you can keep me as long as you want.«
Auch mit der Bettnässerei der Kleinen in der ersten Nacht gehen ihre Pflegeeltern sehr geschickt um. Dazu wird sie am nächsten Tag erklärend auf dem Hof herumgeführt. Mit einer unglaublich ruhigen Atmosphäre an der hofeigenen Wasserquelle. S.23:»This water is cool an clean as anything I have ever tasted: It tastes of my father leaving, of him having never been there, of having nothing after he was gone.«
Es sind die dichten, gewichtigen Sätze wie diese, die Keegans Novelle zu so einem Leseerlebnis machen.
Sie sprechen über das Heuen, aber zu Hause fehlte Geld, um einen Knecht dafür zu bezahlen. Sie waren froh, ihm das Geld fürs letzte Jahr zahlen zu können. Daraufhin wird sie gefragt, ob man ihrer Mutter etwas Geld schicken könnte, oder ob sie das stören würde? S.26:»She wouldn’t, but Da would.« »Ah yes, she says. Your father.«
»The woman«, wie die Pflegemutter konstant von dem Mädchen genannt wird, bezieht sie geschickt ins Frühstück machen ein und dazu wird jeweils erklärt, warum und wie es gemacht wird. Oft gibt es Lob, z.B. wenn sie den Pflegevater so schön laut zum Frühstück gerufen hat. Der Mann macht einen Wettbewerb daraus, wie schnell sie wohl zum Briefkasten laufen und mit der Post wieder zurück sein kann?
Und die Pflegemutter kümmert sich weiter, reinigt dem Mädchen die Ohren, kämmt ihr gründlich die Haare, dafür hatte die leibliche Mutter nie Zeit. Wenn Besuch auf den Hof kommt und sei es zum Kartenspielen, herrscht eine lockere, eine fröhliche Atmosphäre. Dennoch fürchtet das Mädchen sich die ganze Zeit, »for the ease I feel to end.«
Die Tage vergehen arbeitsam für alle, es wird Zeit, dem Mädchen einen Sonntagsstaat zu kaufen, sie hatte ja nichts mit bekommen. Die Anschaffungen dafür erfolgen wie selbstverständlich und gründlich durch die Pflegeeltern. Ein stolzes Gefühl für das Mädchen, so im Mittelpunkt zu stehen und feine Kleidung anzuprobieren und zu bekommen
Ein Todesfall mitten in der Erntezeit verändert viel: Der Familie des Toten wird solidarisch geholfen, das Mädchen aber erlebt seine erste Beerdigung, den ersten Toten.
Da sie sich auf dem Begräbnisfest nicht wohl fühlt, nimmt eine Bekannte der Frau sie mit zu sich. Und überfällt das Mädchen mit Fragen, platzt fast vor Neugier, eine fürchterliche Klatschbase: S.54 :»She’s eaten alive with curiosity.« Und diese Frau bringt auch das Geheimnis der Pflegefamilie ans Licht mit ihrer Fragen, S. 55: »Are the childs clothes still hanging in the wardrobe?«
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Die gesamte Atmosphäre ist mit einem Schlag verändert, verdunkelt. Durch das Wissen überden frühen Tod des eigenen Sohns der Pflegeeltern. Nun schwingt immer die Angst mit, dass etwas passieren könnte, z.B. als der Mann, Kinsella benannt, mit dem Mädchen nachts bei Mondschein an den Strand geht. Oder dass die Post einen Brief bringt, der das Mädchen zurück ruft.
Dafür aber haben die Kinsellas dem Mädchen Bücher gekauft, die sie mitnehmen darf. Und sie haben ihr geholfen, sie zu lesen. Ein Glückserlebnis für das Mädchen, S.74: »It was like learning to ride the bike; I felt myself taking off, the freedom of going places I couldn’t have gone before, and it was easy.«
Als sie, kurz vor dem Abschied nachts zur Quelle geht, fällt sie tatsächlich hinein, aber alles geht gut. Sie erkältet sich nur, will ihrem leiblichen Vater nicht verraten, warum. Das ist ein Geheimnis, dass sie ihren leiblichen Eltern nicht mitteilen wird.
Der Abschied des biologischen Vaters ist eher frostig, Abendbrot will er nicht mitessen, er hatte schon ein flüssiges Abendbrot, unten in Parkbridge; ein Hinweis auf dessen Alkoholismus.
Diese Eltern, die ihrer Tochter nicht ein liebes Wort sagen, nicht eine Zärtlichkeit zur Rückkehr erweisen. Welch ein Unterschied zwischen den beiden Haushalten! In dem der leiblichen Eltern wirkt das Mädchen geradezu überflüssig, in dem der Pflegeeltern bekommt sie Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Liebe.
Vielleicht hat die Autorin in diesem eher frühen Werk etwas zu sehr schwarz-weiß gemalt, bei der Darstellung der beiden Haushalte des Mädchen. Manchmal etwas zu dick aufgetragen.
Aber es ist wieder die große Kunst der Keegan, in sehr dichter Sprache Bilder zu schaffen. Die Situation des Mädchens in Bildern zu transportieren. Vieles nicht direkt zu sagen, sondern in Bilder zu gießen. So auch den Wechsel des Mädchens von physischer und psychischer Armut zum krassen Gegenteil bei den Pflegeeltern.
Was auf die Beanwortung der Frage zutreibt: Sind die Pflege-Eltern nur temporär, oder sogar dauerhaft? Die Antwort bitte selber nachlesen!
Ungeheuer dicht
Nachtrag: Auch diese Novelle der Irin ist als deutsche Übersetzung von Hans-Christian Oeser beim Steidle Verlag erhältlich. Und zwar unter dem Titel »Das dritte Licht.«
Hier besprochen wurde das englischsprachige irische Original, das bei Faber & Faber erschienen ist. Auf diese Originalausgabe beziehen sich auch die Seitenzahlen für Zitate.
2024 rezensiert, Armut, Claire Keegan, Faber & Faber, Irland, Pflegeeltern, Steidle Verlag