Ilse Nagelschmidt (Hrsg.)
» Frauenleben – Frauenliteratur – Frauenkultur
Autorin: | Ilse Nagelschmidt (Hrsg.) |
Titel: | Frauenleben – Frauenliteratur – Frauenkultur in der DDR der 70er und 80er Jahre (1997) |
Ausgabe: | Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 1997 |
Erstanden: | von der Herausgeberin |
Ich gestehe: Mich interessieren Schriftstellerinnen der DDR aus den 70er und 80er Jahren. Daher heute die Vorstellung des Buches »Frauenleben – Frauenliteratur – Frauenkultur in der DDR der 70er und 80er Jahre« herausgegeben von Ilse Nagelschmidt. Weiterhin interessiert mich Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt, die ich in Chemnitz, in der Lila Villa, kennen gelernt habe. In Chemnitz fand zum 90. Geburtstag Irmtraud Morgners, am 22. August 2023, die Verleihung des Irmtraud–Morgner–Literaturpreises statt und am 27. April 2024 die 37. Tafelrunde Irmtraud Morgner. Hier wurde diskutiert mit Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt und Dr. Alexander Schwarz über die Utopien Morgners und die Aussage: »Und das herrlichste war, dass es nicht wahr war« Quelle
Für diese Themen ist Ilse Nagelschmidt prädestiniert, geboren in Leipzig, dort studierte sie Germanistik, Geschichte und Pädagogik. Sie promovierte 1983 über »Das Bild der Frau in der DDR–Literatur der fünfziger und sechziger Jahre«. 1991 wurde sie auf Grundlage Ihrer Arbeit »Frauenliteratur der DDR – soziales und literarisches Bedingungsgefüge, Wesen und Erscheinungsformen – untersucht an epischen Werken der DDR–Literatur in den siebziger und achtziger Jahren« habilitiert. 1996 wurde sie Professorin an der Universität Leipzig.
Uns verbinden also zwei Themen: Die Schriftstellerinnen der DDR der 70er und 80er Jahre und ganz besonders die Schriftstellerin Irmtraud Morgner.
Jetzt aber zu dem Buch »Frauenleben – Frauenliteratur – Frauenkultur«. Unterschiedliche Vorträge zu unterschiedlichen Themen sind hier veröffentlicht: »Künstlerinnen in der DDR«, »Zum Politik– und Feminismusverständnis ostdeutscher Frauen« oder »Schreibende Frauen in der DDR«. Viele Autorinnen der DDR lehnten es ab als Feministin bezeichnet zu werden so Irmtraud Morgner, Sarah Kirsch oder auch Christa Wolf. Auf diese Schriftstellerinnen richtet Ilse Nagelschmidt ihr Augenmerk, denn auch diese Schriftstellerinnen wollten sich nicht in einen engen gesellschaftlichen Rahmen pressen lassen. Denn die Frauen in der DDR waren qualifiziert, aber auch doppelbelastet und wollten keineswegs schweigen. Ende der 60er Jahre stand nicht mehr die offizielle Gleichberechtigung als Thema im Vordergrund, Frauen hinterfragten die Geschlechterrollen, denn die alte Rolle als Frau und Mutter begann sich zu verfestigen. Die Autorinnen Ende der 60er Jahre stellten existentielle Fragen: »Was eigentlich bedeutet Frau–Sein im Sozialismus? Kann die Frau unter den gegebenen Bedingungen überhaupt ihre Selbstverwirklichung erreichen?« (S. 41).
Auf diese Fragen gehen uns bekannte Autorinnen wir Christa Wolf, Brigitte Reimann und Gerti Tetzner ein. Aber zu Beginn der 70er Jahre beginnen Debütantinnen, den Alltag in der DDR, das gewöhnliche Leben zu beschreiben – aus der Frauenperspektive. Ilse Nagelschmidt betont, dass diese Autorinnen »gegen Hierarchie und Dummheit« (S. 43) geschrieben haben. So empfiehlt sie Texte von Helga Königsdorf, Helga Schubert, Brigitte Martin, Angela Stachowa und Christa Müller, die »patriarchalische Lebensmuster und eine immer einseitiger werdende Lebenssicht« (S. 43) aufdeckten. Ein Großteil dieser Autorinnen sind im Westen kaum bekannt, daher heute häufig auch nur antiquarisch zu erwerben, da sie im Westen auch nicht aufgelegt wurden. Aber »die Autorinnen der DDR haben in den siebziger und achtziger Jahre um die weibliche Identität gerungen, gegen blinde Anpassung und Übernahme fertiger Muster geschrieben – sie haben ihre Orte bestimmt: inhaltlich, poetisch, stilistisch – und sie haben Grenzüberschreitungen gewagt« (S. 52).
Die auch im Westen bekanntesten Autorinnen dieser Zeit sind Christa Wolf, Irmtraud Morgner und Brigitte Reimann, deren Werke gerade neu aufgelegt werden. Gerade diese Autorinnen haben immer wieder eine Diskussion über die Geschlechterverhältnisse angestoßen, diese wurde aber vom patriarchalischen DDR–Staat verweigert, denn die Frauenfrage galt offiziell als gelöst. Das sahen aber viele Autorinnen anders, sie kritisierten die patriarchalischen Machtverhältnisse. »Autorinnen wie Christa Wolf und Irmtraud Morgner gaben den Frauen ihre Geschichte wieder, das erforderte die radikale Demaskierung und das Verfolgen kühner Fragestellungen. In diesem Sinn lässt Irmtraud Morgner eine gewisse Anna in »Amanda. Ein Hexenroman« (1983) die sechsundvierzigste Tafelrunde eröffnen mit den Worten: »Die Philosophen haben die Welt bisher nur männlich interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie auch weiblich zu interpretieren, um sie menschlich verändern zu können.« Quelle
Aber auch die Werke von weniger bekannten Autorinnen wie Brigitte Martin oder Christa Müller sind lesenswert, denn »es sind Texte, die voll weiblicher Verantwortung geschrieben worden (sind) und die sicher – trotz aller Räumungsaktionen in Buchhandlungen und Bibliotheken – so schnell nicht auf den großen Abfallhaufen der Geschichte geworfen werden können.« (S. 53).
In den 90er Jahren hat es dann auch tatsächlich der Text »Kaffee verkehrt« von Irmtraud Morgner in das Deutschbuch der Klasse 9 geschafft mit einer Klassenarbeit und Erwartungshorizont! Mehr ist aber nicht zu finden. Quelle
Zum Abschluss eine Aussage von Kerstin Hensel im August 1990: »Als es keine DDR mehr gab, gab es einen Widerspruch mehr. Dieser Widerspruch gipfelte in der öffentlichen Frage, ob es überhaupt eine DDR–Literatur gegeben habe … Daß solch enormer Blödsinn en masse gedacht werden konnte, erschreckte mich wirklich – offenbar waren alle Bücher der Welt umsonst geschrieben worden!« (Anna Mudry, Gute Nacht, du Schöne, Autorinnen blicken zurück, Frankfurt/Main 1991, S. 120).
Vorstellung von Autorinnen, die nach großen Utopien gesucht haben!
Nachtrag: Zur 37. Tafelrunde Irmtraud Morgner und die großen Utopien
Hier wurde über die Eulenspiegeleien in der Salman–Trilogie diskutiert, über die Irmtraud Morgner sagte: »Ich brauche sie, weil ich sonst nichts zu lachen habe«. Auch Laura sagt: » In schlechten Zeiten muss besonders gelacht werden.« Der Harlekin oder Eulenspiegel als Spaßvogel führe uns auch immer wieder ins Mittelalter, von dem Irmtraud Morgner fasziniert gewesen sei, denn darauf baue unsere gesamte Kultur auf. So würden wir die Trobadora Beatrix im Mittelalter kennen lernen, als Trobadora stehe bei ihr die Sinnlichkeit im Vordergrund, die zu besingen jedoch Aufgabe des Mannes gewesen sei, aber sie überschreite diese Grenze, beschrieben mit der Sprachakrobatik Irmtraud Morgners. So zeige uns die Autorin auch eine weibliche Historie.
Ironie, Satire und Humor stehe im Vordergrund, als Beispiel wurde auch die Beschreibung der Grenzschützer am Brocken genannt, besonders zum Schmunzeln oder Lachen für Menschen in der DDR. Auch wurde über die DDR als »Ort des Wunderbaren« (Irmtraud Morgner) diskutiert, vielleicht dass hier das Wunderbare möglich ist?
Irmtraud Morgner zeige eine menschliche Ästhetik, und daher bedeute Feminismus für Irmtraud Morgner: Was ist das Weibliche im Männlichen und umgekehrt? Als Fazit wurde betont, dass die Autorin Literatur schreibt, die anders sei und uns berühren würde!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2024 rezensiert, Christa Wolf, DDR, Feminismus, Ilse Nagelschmidt, Irmtraud Morgner, Leipziger Universitätsverlag, Lila Villa Chemnitz, Maxie Wander