Mascha Kaléko
» Bewölkt mit leichten Niederschlägen – Gesammelte Gedichte
Autorin: | Mascha Kaléko |
Titel: | Bewölkt mit leichten Niederschlägen Gesammelte Gedichte |
Ausgabe: | Büchergilde Gutenberg, 2. Auflage 2020 |
Erstanden: | Büchergilde Gutenberg |
Mascha Kaléko (1907-1975) ist heute nur wenigen bekannt und das muss sich ändern! Kurzbiografie: geboren in Galzien, Jüdin, Emigration nach Frankfurt, 1918 Zuzug nach Berlin, 1924 Bürolehre, 1929 Veröffentlichungen ihrer Gedichte, 1933 (Machtantritt Hitlers) Ende der Karriere, Bücherverbrennung, 1938 Flucht in die USA, 1955 Rückkehr nach Deutschland, 1959 beabsichtigt die Akademie der Künste in Berlin ihr den mit 4.000 DM dotierten Fontanepreis zu verleihen. Mascha Kaléko lehnt den Preis ab, weil das Jurymitglied Hans Egon Holthusen Mitglied der SS gewesen sei, 1975 stirbt sie in Zürich.
Jutta Rosenkranz hat eine Biografie über Mascha Kaléko geschrieben mit dem Ziel der Dichterin den Platz in der deutschen Literaturgeschichte zu sichern. Hier eine kurze Zusammenfassung: In Nachrufen aus dem Jahr 1975 wird sie als »die leise Stimme Berlins« (S. 217) bezeichnet, zwar nicht auf eine Stufe mit Ringelnatz, Tucholsky oder Kästner gestellt, aber sie habe das bis dahin noch fehlende weibliche Element in die Zeitpoesie eingebracht (S. 218). Reich-Ranicki nennt ihre Verse »kess und keck, frech und pfiffig, schnoddrig und sehr schwermütig, witzig und ein klein wenig weise.« (S. 258). Dass Mascha Kaléko in der Literaturgeschichte kaum zu finden ist, dass Derartiges in Deutschland gelobt, aber nicht ernst genommen wurde, ist kaum zu glauben. Nicht mal im Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen von Gisela Brinker-Gabler ist sie zu finden. Mascha Kaléko gehörte nicht zur Gruppe 47, die sich eh kaum mit Literatur von Frauen befasste und Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die im Exil lebten und geschrieben haben, ausschloss. Auch zu der Tagung »Lyrik heute« in den 60er Jahren wurde sie nicht eingeladen, hier hatten nur männliche Autoren Zutritt!
Mascha Kaléko darf nicht vergessen werden, denn ihre Gedichte spiegeln eindrucksvoll »ein individuelles Schicksal vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer und zeitgeschichtlicher Umbrüche wider. Aber auch die kleinen Momente des Alltags und der Emotionen hat Mascha Kaléko in wenigen Zeilen auf den Punkt gebracht und auf fast alle Fragen eine poetische Antwort gefunden.« (S. 262). Im Folgenden meine Würdigung der gesammelten Gedichte von Mascha Kaléko, damit sie nicht im Dunkel der Vergangenheit verschwindet, denn Schriftstellerinnen, die in einem Kanon der Literaturgeschichte nicht auftauchen, werden vergessen.
Als Nächstes beziehe ich mich auf die wunderschöne Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, hier wurden die gesammelten Gedichte 2020 neu veröffentlicht. Das Besondere an dieser Ausgabe ist jedoch, dass Hans Ticha die Gedichte eindrucksvoll ins Bild gesetzt hat.
Der bekannteste Gedichtband von Mascha Kaléko aus dem Jahr 1933 – auch in der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg zu finden – ist »Das lyrische Stenogrammheft«, hier geht es um das Alltagsleben in der Großstadt, auch durchaus mit einem weiblichen Blick. Das Gedicht »Mannequins« (S. 12) handelt von einer Verkäuferin in einem Modegeschäft. Auch damals strahlten die Mannequins angeblich Glamour und Ungezwungenheit aus, auch das mehr Schein als Sein, denn »Die Beine, die sind Betriebskapital, Gehalt: so hoch wie die Hüfte schmal« (S. 13). Der Körper wird in teure Kleidung verpackt, verkauft und zum »sorglosen Püppchen« (S. 12) degradiert. Auch gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wehren sich die Mannequins nicht:
»Und wird mal ein Wort nicht gewogen,Dann sei nicht gleich prüde und schrei nicht gleich ’Nee!’Das gehört doch nun mal zum GeschäftsrenomméeUnd ist im Gehalt einbezogen.« (S. 13). Denn das Fazit des Lyrischen Ich lautet: »Du bleibst, was du bist: Nur ein Mannequin«. (S. 12).
Fatalismus, Sarkasmus, Ironie? Mit diesen sprachlichen Mitteln hebt Mascha Kaléko gesellschaftliche Missstände hervor, ihre Lyrik wurde von Bertolt Brecht als »Gebrauchslyrik« bezeichnet. Mascha Kaléko verfügt über eine scharfe Beobachtungsgabe, hat selber viele Erfahrungen gemacht, daher konnten sich gerade die Leserinnen der Weimarer Republik in den Gedichten wiederfinden, in denen sich das Lyrische Ich – mit dem weiblichen Blick – mit den Lebensbedingungen als Sekretärin oder Angestellte und damit dem Bild der neuen Frau auseinandersetzt. Dieses Bild war aber durchaus widersprüchlich, denn die Berufstätigkeit war der Weg zur Emanzipation, aber sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder auch wirtschaftliche Benachteiligung war das normale. All diese Probleme hat Mascha Kaléko in Alltagssprache übersetzt, jedem verständlich! Dabei ist ihr Standpunkt ein linker, gesellschaftskritischer, wenn sie die Lage der arbeitenden Bevölkerung beschreibt, der Proletarier und kleinen Büroangestellten und dabei besonders die Lage der Frauen hervorhebt. Sie trugen die Doppelbelastung: Arbeit, Haushalt, Kinder! Kann man es ihnen da verdenken, dass sie davon träumten, einen reichen Mann zu heiraten, um dem mickrigen Alltagsleben zu entfliehen? Auch das beschreibt Mascha Kaléko.
Zum Abschluss ein letztes Gedicht mit mit dem weiblichen Blick, Mascha Kaléko geht auf »Die Frau in der Kultur« (S. 317) ein und sie betont, dass sie gerne weiter dichten würde, dass das aber nicht möglich ist, weil ihr Mann – so betont sie im Gedicht – sich ähnlich wie Sakespeare oder Petraca verhalten würde, nach ihr rufe und sie müsse »wie stets unterbrechen. – Mich ruft mein Gemahl. Er wünscht, mit mir sein nächstes Konzert zu besprechen.« (S. 318). Wäre ein Rollentausch denkbar?
Mich erinnert diese Aussage an viele andere Schriftstellerinnen, besonders an Virginia Wolf, wenn sie ein Zimmer für sich allein fordert. Denn »Eine Frau muß Geld und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können«. Oder Marlen Haushofer, die darunter leidet, keinen Raum für sich und das Schreiben zu finden. Besonders aber an Irmtraud Morgner, die von den täglichen Zerstückelungen spricht, die sie am Schreiben hindern würden.
Gedichte voller Humor, Melancholie und politischem Geist – auch heute noch!
Margret Hövermann-Mittelhaus
Nachtrag: Im Zusammenhang mit dieser Rezension möchten wir gerne auf das »Matronen-Blog« hinweisen, von und für alte Frauen.
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2024 rezensiert, Berlin, Büchergilde Gutenberg, Hans Ticha, Mascha Kaléko, Neue Sachlichkeit