Skip to main content
Margot-Friedlaender-Bild1

Mar­got Fried­laen­der
» «Ver­su­che, dein Leben zu machen»

Autorin:Mar­got Fried­laen­der mit Malin Schwerdtfeger
Titel:»Ver­su­che, dein Leben zu machen«
Aus­gabe:Rowohlt Ver­lag Ber­lin, 1. Auf­lage 2008
Erstan­den:anti­qua­risch

Margot-Friedlaender-Bild1 Es ist der 20. Januar 1943, ein grauer Janu­ar­mit­tag in Ber­lin Kreuz­berg. Mar­got Bend­heim will in die Ska­lit­zer­straße, dort ist sie mit ihrer Mut­ter und ihrem Bru­der ver­ab­re­det, um die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen für ihre Flucht aus Ber­lin heute Abend zu tref­fen. Dann hat sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, sie bemerkt, dass ein Mann vor der Woh­nungs­tür ihrer Mut­ter steht und dar­auf war­tet ein­ge­las­sen zu wer­den. Mar­got ver­steckt sich bei der Nach­ba­rin und erfährt, dass ihr Bru­der Ralph von der Gestapo abge­holt wurde. Eine wei­tere Nach­ba­rin hat eine Nach­richt der Mut­ter für ihre Toch­ter Mar­got: »Ich habe mich ent­schlos­sen zur Poli­zei zu gehen. Ich gehe mit Ralph, wohin auch immer das sein mag. Ver­su­che, dein Leben zu machen.« (S. 13). Die Nach­ba­rin drückt Mar­got die Hand­ta­sche der Mut­ter, darin ein Adress­büch­lein und eine Bern­stein­kette in die Hände. Mar­got ahnt, dass sie ihre Mut­ter und ihren Bru­der viel­leicht nie wie­der­se­hen wird und beschließt unter­zu­tau­chen. »Am Tag, an dem ich unter­tau­che, nehme ich den Juden­stern ab.« (S. 14).

Jetzt beginnt eine sehr gefähr­li­che Zeit für Mar­got, in stän­di­ger Angst von der Gestapo gefasst zu wer­den. Immer wie­der muss sie sich geheime neue Unter­künfte suchen und diese wie­derum ver­las­sen, wenn sie sich nicht mehr sicher fühlt, um auch ihre Hel­fer nicht in Lebens­ge­fahr zu brin­gen. Einige hel­fen völ­lig unei­gen­nüt­zig, tei­len mit ihr ihre Lebens­mit­tel­kar­ten, bie­ten ihr sogar ein eige­nes Zim­mer. Andere erwar­ten einen Gegen­wert für das Ver­steck und wie­der andere hel­fen ihr auch nicht und schi­cken sie wei­ter. Fünf­zehn Monate lang gelingt es ihr sich uner­kannt vor der Gestapo zu ver­ste­cken, doch dann fällt sie jüdi­schen »Grei­fern« in die Hände, die sie der Gestapo aus­lie­fern und sie wird im Alter von 24 Jah­ren ins Lager The­re­si­en­stadt depor­tiert. Hier trifft sie Adolf Fried­län­der wie­der, den sie noch vom Kul­tur­bund kennt, sie hei­ra­ten noch in The­re­si­en­stadt und emi­grie­ren nach Kriegs­ende in die USA.

Margot-Friedlaender-Bild2
Mar­got Fried­laen­der im Schu­len­burg­ring 2, am 2.5.24 – Foto: privat

Mar­got Fried­län­der ist 2010 wie­der in ihre alte Hei­mat­stadt Ber­lin zurück­ge­kehrt und lebt hier kei­nes­wegs zurück­ge­zo­gen, son­dern als 102jährige macht sie Lesun­gen in Schu­len und tritt in der Öffent­lich­keit auf, sei es, um eine Rede im Bun­des­tag zu hal­ten, bei der Ver­lei­hung des Ber­li­ner Film­prei­ses 2024 oder bei einer Lesung in der FU Ber­lin, wo sie die Anwe­sen­den auf­for­dert: »Ich habe eine Mis­sion. Ich spre­che nicht für mich. Was war, kön­nen wir nicht mehr ändern. Aber es darf nie wie­der gesche­hen. Nie wie­der. Für euch, nur für euch.« Quelle

Wir haben Mar­got Fried­län­der am 2. Mai 2024 im Schu­len­burg­ring 2 in Ber­lin Tem­pel­hof ken­nen gelernt. An die­sem Haus ist auf einer Gen­denk­ta­fel zu lesen, dass sich hier der Gefechts­stand des Befehls­ha­bers der 8. sowje­ti­schen Gar­de­ar­mee, Gene­ral Tschui­kow befand. Hier hat am 2. Mai 1945 Gene­ral Weid­ling als Befehls­ha­ber des Ver­tei­di­gungs­be­reichs Ber­lin den Befehl an die deut­schen Trup­pen gege­ben, in Ber­lin sofort die Kampf­hand­lun­gen ein­zu­stel­len, also bedin­gungs­los zu kapi­tu­lie­ren. Jedes Jahr orga­ni­siert die Haus­ge­mein­schaft – und da ganz beson­ders Achim und Gitti Dil­lin­ger – eine Gedenk­ver­an­stal­tung. Die Geschichte des Hau­ses Schu­len­burg­ring 2 kann hier nach­ge­le­sen wer­den. Quelle

In die­sem Jahr wurde die 102-jäh­rige Mar­got Fried­län­der ein­ge­la­den. Eine sehr beein­dru­ckende Frau, die in einem Inter­view vom 23.5.24 betont: »Wir sind alle Men­schen. Ver­gesst es nicht.« Quelle

Margot-Friedlaender-Bild3
Gedenk­ta­fel Schu­len­burg­ring 2, 2.5.24 – Foto: privat

Mar­got Fried­län­der musste sich als Jüdin in Ber­lin ver­ste­cken, sie lebte 15 Monate im Unter­grund, hat Zivil­cou­rage aber auch Ver­rat erlebt. Zur poli­ti­schen Situa­tion heute und damit dem wach­sen­den Anti­se­mi­tis­mus sagt sie: »So hat es damals auch ange­fan­gen«. Quelle

Nach einem Besuch in einer Grund­schule in Ber­lin am 22.5.2024 (Quelle) beschließt sie ihre Aus­füh­run­gen mit fol­gen­dem Satz:

»Ihr seid die Hoff­nung. Ihr gebt mir die Kraft«.

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2024 rezensiert, Antisemitismus, Holocaust, Margot Friedlaender, Nationalsozialismus, Rowohlt Verlag