Ruth E. Westerwelle
» Die Frauen der APO – die weibliche Sicht von 68
Autorin: | Ruth E. Westerwelle |
Titel: | Die Frauen der APO - die weibliche Sicht von 68 |
Ausgabe: | Privatdruck, Berlin 2014, Verkaufsstelle@ruthwesterwelle.de |
Erstanden: | von der Fotografin |
Ruth E. Westerwelle, »Die Frauen der APO – die weibliche Sicht von 68«. Ist das nicht schon ein bisschen lange her? Interessiert das Thema uns wirklich heute noch? Wir kennen doch die Bilder von Rainer Langhans und Uschi Obermaier aus der Kommune 1. Richtig! Und genau das ist das Problem!
Es handelt sich hier um einen Ausstellungskatalog der Fotografin Ruth E. Westerwelle aus dem Jahr 2014. Hier einige Namen der Frauen, die sie uns vorstellt: Gretchen Dutschke-Klotz, Sigrid Fronius, Frigga Haug, Riki Kalbe, Beate Klarsfeld, Sibylle Plogstedt, Eva Quistorp, Maruta Schmidt und viele weitere. In der Vorankündigung zu der Ausstellungseröffnung in Bremen heißt es: »Die 68er-Bewegung bedeutete eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Kultur des Gehorsams veränderte sich, ebenso die Moralvorstellungen und die Inhalte der Bildungspolitik. Hinlänglich bekannt sind die Männer der 68er. Aber es waren auch viele Frauen, die die außerparlamentarische Opposition prägten… « Quelle https://frauenseiten.bremen.de/blog/ausstellungstipp-frauen-der-apo/ Wo sind die Frauen, die die 68er Bewegung mit geprägt haben, geblieben? Selbstverständlich haben sie sich weiterhin politisch engagiert, sei es in der Studenten- oder Kinderladenbewegung und vielen anderen Organisationen der Zivilgesellschaft. Aber wenn nicht über diese Frauen geschrieben wird, gehen ihre Namen verloren. Ähnlich wie Schriftstellerinnen, die in keinem Kanon einer Literaturgeschichte aufgenommen wurden, diese werden vergessen!
Damit dies nicht geschieht, hat die Fotografin Ruth E. Westerwelle diese Ausstellung zu den Frauen in der APO zusammengestellt und dazu den Ausstellungskatalog veröffentlicht. Sie stellt uns die Frauen vor mit einem Foto und einem Text. Man könnte diese Darstellung auch mit »vorher – nachher« beschreiben, denn zunächst sehen wir ein Foto der Frau aus den 68er Jahren und und dann ein Foto Jahrzehnte später – also heute. Im Text wird beschrieben, wie die Frauen in der APO gekämpft haben, was sie erreicht haben oder auch nicht, und vor allen Dingen, wie sie bis ins hohe Alter im weitesten Sinne politisch aktiv waren. Das hört sich alles so einfach, man sucht ein paar Fotos der Frauen aus der APO, schreibt einen Text dazu und fertig. Keineswegs, denn 15 Jahre Forschung liegen in den Bildern dieser Ausstellung. Die Fotografin ist ab 1991 nicht nur durch die halbe Welt gereist, es war schon fast die ganze, um die Frauen der APO heute zu porträtieren und ins gesellschaftliche Gedächtnis zurück zu holen.
Die Namen der Männer kennt man, ob Dutschke, Langhans oder Teufel. Oder vielleicht doch ein Frauenname, Uschi Obermaier? Diese hatte jedoch weder etwas mit Politik noch mit Feminismus zu tun, die eben genannten Männer ließen sich nur gerne mit ihr und ihrem Hintern ablichten, so dass sie als schönste Kommunardin von der Boulevardpresse bezeichnet wurde. Und – man höre und staune – auch bei einer wissenschaftlichen Publikation von einem Historiker 2023 ist Uschi Obermaier mit Rainer Langhans auf dem Cover zu sehen! Auch das allseits bekannte Foto vom niedergeschossenen Studenten Benno Ohnesorg vom 2. Juni 1968 ist zu sehen. (Kai-Uwe Merz, Revolte Berlin, BeBra Verlag 2023, S. 20). Aber … wie heißt die Frau, die den sterbenden Benno Ohnesorg in den Armen hält? Genau auf dieses Nichtsagen weist Ruth E. Westerwelle in ihrem Vorwort hin und sie nennt den Namen. Es handelt sich bei der Frau um Friederike Hausmann, geb. Dollinger. In einem Interview mit Ruth E. Westerwelle betont sie: »Positiv ist von der Zeit vor allem geblieben, dass die Frauen sich geändert haben.« (Ausstellungskatalog). Bei der männlichen Sicht auf die 68er scheint sich nichts verändert zu haben!
Bei der Eröffnung der Ausstellung wurde immer wieder betont, dass viel über ’68 diskutiert würde, aber kaum auf die Rolle der Frauen eingegangen würde, obwohl sie an allen Diskussionen und Aktionen teilgenommen hätten. Hier sei die Grundlage gelegt worden für die Frauenbewegung der 70er Jahre, denn alle hier vorgestellten Frauen seien vielfältig politisch aktiv gewesen und hätten das Ziel gehabt, »politisches Handeln zum persönlichen Hauptanliegen zu machen und gegen die traditionelle Frauenrolle anzukämpfen«. Quelle Die traditionelle Frauenrolle hätten die Männer der APO aber auch immer noch verinnerlicht, wenn die Autorin und Übersetzerin Renate Chotjewitz-Häfner in der Ausstellung mit der Aussage zitiert wird: »Vieles in der Bewegung war verlogen. Es herrschten ähnliche Verhältnisse wie in meiner Ehe.« Quelle
An einem Beispiel erklärt Ruth E. Westerwelle, dass sich so viel leider bis heute gar nicht geändert habe. Sie hat auch Männer der APO heute interviewt und ihre Haltung zu Gretchen Dutschke erfragt. Gretchen Dutschke hatte das Kommune-Leben schon in den USA kennen gelernt und ihre Erfahrungen in Berlin mitgeteilt und dazu auch Vorträge gehalten mit dem Ziel, die Lebens- und Arbeitsform zu verändern. »Doch als ich (Ruth E. Westerwelle) ihren Einfluss in unserer Gesprächsrunde beschrieb, führte dies bei einem männlichen 68er-Kämpfer zu einem hysterischen Lachanfall, der sich rasch zu einem Wutanfall steigerte … Bei all dem bemühte er sich, sein eigenes Image als ehemals junger und gefährlicher Straßenkämpfer aufzupolieren.« (Ausstellungskatalog). Die Frauen seien mit der APO-Zeit anders umgegangen, für sie stehe nicht die saturierte Besserwisserei, sondern sie hätten andere Schlüsse daraus gezogen, ein anderes Leben daraus entwickelt, so Ruth E. Westerwelle.
Insgesamt schließe ich mich diesem Urteil an: »Die Porträts sind eine Verbeugung vor den revolutionären und wilden 68erinnen und ein inspirierender Ausschnitt aus der Vielfalt widerständiger Frauenleben«. Quelle
»Wir müssen endlich die Frauen und ihren Anteil an dieser Geschichte sichtbar machen.« (Ruth E. Westerwelle)
Margret Hövermann-Mittelhaus
Nachtrag:
Wir suchen einen Verlag, der den zweiten Band über die Frauen in der APO mit dem Titel »Wir hatten es uns mit mehr Liebe gedacht – Die Geschichte von 68 aus der Sicht der beteiligten Frauen« veröffentlicht. Hier berichtet Ruth E. Westerwelle über die Geschichte der 68er Frauen aus der Sicht der Frauen, sie zeigt zum ersten Mal Privatfotos der Beteiligten, berichtet über die Aktionen, die von den Frauen initiiert wurden und stellt Bezüge zur Gegenwart her.
Wer kennt einen Verlag, der das umfangreiche Werk herausbringen könnte und sich damit ganz besondere Meriten verdienen würde?
Bitte melden: mittelhaus@mittelhaus.com
PS: Im Zusammenhang mit dieser Rezension möchten wir gerne auf das »Matronen-Blog« hinweisen, von und für alte Frauen.
Eine Idee, die wir unterstützen!
2024 rezensiert, 68er Jahre, APO, Berlin, Feminismus, Ruth E. Westerwelle