Friedrich Wolf
» Der Russenpelz
Autor: | Friedrich Wolf (Deutschland, 1942) |
Titel: | Der Russenpelz |
Ausgabe: | Friedrich Wolf gesammelte Werke in 16 Bänden, Band 9, vier Romane, 1965, Aufbau Verlag Berlin/DDR |
Erstanden: | Antiquarisch, mit Dank nach Dresden |
Friedrich Wolf war Arzt, Naturheilkundler, Dramatiker, Widerstandskämpfer, Diplomat, Sozialist und Vater. In Wolfs Amtszeit als Botschafter fiel die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie durch die DDR als Ostgrenze Polens – soviel sollte man vorausschicken zum Autor. Mehr erfährt man abseits von Wikis auf der Webseite der Friedrich Wolf Gesellschaft (nicht verschlüsselt), in Lehnitz/Oranienburg nahe Berlin. In nachfolgenden Texten zu Werken von Friedrich Wolf werde ich auch noch weiter auf den Autor selbst eingehen.
»Der Russenpelz« ist eine der wenigen deutschen Erzählungen, die sich realistisch und aus der Sicht der Nazigegner mit dem Leben unter der Naziherrschaft und in dem von den Nazis begonnenen 2. Weltkrieg auseinandersetzt.
Die Geschichte spielt an der »Heimatfront«, ein Naziausdruck, also wie in Deutschland selbst der Krieg erlebt wird. Die Protagonisten sind eine rheinische Fischersfamilie, Söhne und Verwandte, die am Krieg teilnehmen, Beute nach Hause bringen. Kriegsprofiteure wie der Fabrikantensohn und SS-Mann Hüsgen, die karrieregeile Chefsekretärin und Gestapo-Zuträgerin Dita, der SD-Leutnant Tiedemann. Dann der Taubenzüchter Jupp, der nur seine Ruhe haben will. Und doch im Krieg landet, eine willkürliche Entscheidung des Chefs. Und eines Systems, das niemanden in Ruhe ließ.
Ein Krieg, in dem Soldaten der Wehrmacht Zeugen widerlichster Kriegsverbrechen werden, dafür aber gerne Beutestücke nach Hause bringen. Sei es eine buntbestickte Bluse aus der Ukraine oder den titelgebenden Russenpelz. Die wenigen anständig gebliebenen Deutschen werden von der jungen Fischerstochter Lisbeth und ihrem Freund Ferd verkörpert. Dem sieben Jahre Gestapo- und KZ-Haft den rechten Arm gelähmt haben. Und der dennoch gemeinsam mit seiner Freundin raffinierte, aber höchst riskante Widerstandsaktionen durchführt, um die Bevölkerung über den Krieg und das Wüten der Nazis aufzuklären.
Wolf kann in der Erzählung die Atmosphäre im Nazireich markant beleuchten. Als es um die Frage geht, wer für die sich wiederholende Sabotageaktionen im Unternehmen der Familie Hüsgen verantwortlich sein könnte, erklärt der Prokurist und SS-Mann Hüsgen, S. 270: »Heute schreiben wir 1941 und nicht mehr 1933, … Acht Jahre Erziehung und Erneuerung unseres Volkes … Leute, die einmal durch die harte Schule eines KZ gingen, wurden kuriert für alle Zeiten …«. Eine Charakterisierung des Terrors des NS-Staats!
Was eigentlich nicht öffentlich werden soll, kommt aber im trauten Kreis der Verwandtschaft doch an den Tag: Wie die deutschen Soldaten z.B. in der besetzten Ukraine »Mitbringsel« für die Lieben daheim »organisiert« haben. Sprich wieviel sie requiriert, geraubt, gestohlen, schlicht weggenommen haben. Wer sich vor den Russen wehrte, wird bestraft, verprügelt, aufgehängt oder erschossen. Mit Frauen und Kindern machte man keine Ausnahme.
Wenn dann der Alkohol die Zungen lockerte, übertrumpften sich die Wehrmachtskrieger zu Hause sogar gerne mit Berichten von den »Heldentaten« ihrer Wehrmachtskameraden. Und wenn eine Ehefrau durch ein Beutestück glänzen konnte, etwa eine bunt bestickte ukrainische Bluse, dann wächst die Versuchung, eine umworbene »Germanin« mit Hilfe des titelgebenden »Russenpelzes« zu übertrumpfen. Dass dieser Pelz in Rußland jemandem gehörte, macht nur wenigen Bedenken, auch eine Folge der Dauerpropaganda vom »germanischen Herrenmenschen«.
Im Suff, bei einem Fest der SS, wird gnadenlos aufgetrumpft: Es wird sogar berichtet »von dem berühmten »Goldgräber von Kiew«, dem Divisionszahnarzt, der … auf den Straßen der ukrainischen Hauptstadt die Leute einfach anhielt, ihnen den Mund aufriß und sie dann dutzendweise in die Zahnklinik schleppte, um ihnen sämtliche Zähne mit Goldplomben … zu ziehen.« Was dann der in der Heimat florierenden Praxis dieses Verbrechers zu Gute kam. Der war noch für weitere Untaten verantwortlich, so schaurig, dass sich meine Tastatur sträubt sie wieder zu geben!
Während daheim für die Bevölkerung Lebensmittel allmählich knapp werden, nutzen die Industriellen Hüsgen senior und junior die Kriegsgewinne und -bedingungen für groß angelegte Devisenschiebereien in Latein-Amerika. Wovon die Sekretärin Dita weiß und für sich nutzen will; die einen morden, die anderen gewinnen daraus ihren Profit.
Der Krieg frisst aber irgendwann auch die, die ihn entfesselt haben, die ihn betreiben, die von ihm profitieren wollen. Der Mann, der für seine Frau die bestickte ukraininische Bluse geraubt hatte, stirbt im Krieg, in der von den Nazis verlorenen Schlacht um Moskau, eine Ankündigung einer Wende im Krieg. Seine Frau bringt sich vor Verzweiflung um, vorher hatte sie die bunte Bluse noch trauerschwarz gefärbt..
Auch die Post der Soldaten in Russland nach Hause klingt allmählich anders, der eigentlich kriegsunwillige Jupp schreibt vom Rückzug der deutschen Soldaten seiner Agnes, S. 319: »Unsere Geschütze und Fahrzeuge haben wir stehenlassen müssen. Alle Dörfer wurden abgebrannt … Die Frauen und Kinder heulen, denn sie müssen ohne etwas hinaus in die eiskalte Nacht … mir wird oft ganz übel dabei … Befehl ist Befehl!«
Das ist sogar noch vor dem Befehl zur »Verbrannten Erde« der Nazi-Wehrmacht und ein ganzes Volk sagt dann nach 1945, es hätte von den Gräueln und Schandtaten nichts gewusst.
Aber auch die Nazisoldaten spüren den Krieg: Jupp konnte ja auf Heimaturlaub seiner Frau den »Russenpelz« mitbringen, der allerdings einem 9-jährigem Russen geraubt und der anschließend in einem wahren Massaker erschossen wurde. Nur Jupps rechtes Bein und die eine Hand, die kann Jupp nicht wieder mitbringen, die blieben vor Moskau. Und auf dem Hintergrund seiner Geschichte will auch niemand den Russenpelz tragen, es klebt zu viel Blut daran. Jupps Frau Agnes entsorgt das Beutestück sogar im Rhein.
Inzwischen zieht langsam Armut ein in die Fischersfamilie, Essensmarken, Kriegsmangel, Rationierungen, Ersatzstoffe, zwei ausgefallene Ernährer. Dazu schwere Luftangriffe, man lebt nicht allzuweit von Köln bzw. Düsseldorf entfernt. Der Fischfang floriert auch nicht mehr so recht, nachdem unweit am Rhein eine neue Chemiefabrik eingeweiht wurde. Protest dagegen ist nicht möglich im NS-Staat.
Parallel zu dem Crescendo des Krieges, dem 31. Mai 1942, in dem Köln einen der ersten alliierten Großangriff aus der Luft erlebt, sehen auch die heimischen Protagonisten ihr Fiasko. Der alte Hüsgen nimmt sich das Leben, ausgerechnet sein Sohn hat ihn bei den Devisenschiebereien angeschwärzt und über die Klinge springen lassen. Den jungen Hüsken ereilt ein gewaltsamer Tod durch eine seiner Mitarbeiterinnen, die sich gegen seine Nachstellungen gewaltsam zur Wehr setzt. Ein Toter mehr, darauf kommt es in diesen Zeiten auch nicht an.
Ein Crescendo, in dem die mutigen Fred und Lisbeth vielleicht ihre Spuren verwischen konnten. Sie hatten Luftballons losgelassen, an denen Flugblätter hingen, die über die Realitäten des mörderischen Nazikrieges die Wahrheit sagten; S. 331: »Wie lange soll dieser mörderische Krieg noch dauern? Soll wirklich der letzte unserer Söhne auf den endlosen Schlachtfeldern Russlands verbluten?«
Und als die Lisbeth ihre Sorge um den Mitstreiter Fred und die Angst vor einer Verhaftung zum Ausdruck bringt, antwortet der, S. 334: »Das Leben Lis ist uns unter der ausdrücklichen Bedingung gegeben worden, dass wir’s bis zur letzten Minute verteidigen …«.
Wolf schildert in vielen Dialogen und Situationen, wie unter den Deutschen langsam Zweifel am Krieg wach werden. Zweifel am System des Naziterrors, wo hinter jeder Tür ein Gestapo-Zuträger lauern kann, wo jeder gegen jeden spioniert. Der Terror, die Furcht, das ist ein Kern des Faschismus, wie Wolf einmal in einem seiner Briefe schreibt und wie er in dieser Erzählung deutlich macht. Die in einfachen Worten erzählt, dass im Faschismus niemand dauerhaft »seine Ruhe« behalten kann. Sondern in die größten Verbrechen hinein verstrickt wird. Zweifel am System und am Krieg ja, aber aktiv wurden nur sehr wenige. Zu viele waren im 3. Reich noch im Glauben, auch sie könnten, ganz persönlich, vom Krieg profitieren, Beute machen. Ein großer Irrtum wie der Autor seinen Landsleuten vorhält.
Aber auch, auf wessen Kosten eine schmale Clique sich mit dem Krieg bereichert. Eine Erzählung, die in deutlichen Worten zeigt, was der Krieg, den der deutsche Faschismus entfacht hat, den Menschen in Deutschland wirklich gebracht hat. Niemand konnte sich dem entziehen, das Grauen in Russland, das Grauen des Alltags in der Heimat, die allgegenwärtige Furcht – die Realität des Faschismus.
Bemerkenswert, diesen Roman hat F. Wolf schon im Herbst 1942 geschrieben, noch mitten im Krieg. Und er hat dabei das Ende des Kriegs, den Untergang des 3. Reichs und das Ende des deutschen Faschismus treffend voraus gesehen.
Eine Mahnung gegen Krieg und Faschismus!
Nachtrag: Die rezensierte Erzählung habe ich dem Band 9 der 16-bändigen Werkausgabe von Friedrich Wolf entnommen. Sie ist im Aufbau Verlag in der DDR 1966 erschienen. Ein bibliophiler Dresdener Sammler hat mir geholfen, die Werkausgabe zusammen zustellen – Danke!
Bücher von F. Wolf sind in zahlreichen Einzelausgaben erschienen. Die älteren aus DDR-Zeiten erwirbt man am besten antiquarisch und online, z.B. bei www.booklooker.de oder www.antiquariat.de. Eine kurze Suche nach »Der Russenpelz« von F. Wolf. ergab 5 Treffer mit Angeboten ab 5 €.
So bekommt man auch Einzelbände der Werkausgaben, da gibt es eine 14-bändige und eine (jüngere) 16-bändige, die ich verwende. Ich plane eine Reihe von weiteren Rezensionen von Werken Friedrich Wolf.
Von ihm sind insbesondere Ausgaben seiner Märchen und wunderbaren Kinderbücher in aktuellen Fassungen erhältlich. Das gilt auch für einige seiner Dramen wie »Professor Mamlock« oder »Cyankali.« Darunter sind auch Reprints älterer Ausgaben. Auch den hier rezensierten »Russenpelz« kann man so erwerben.
Wolf war in der DDR ein recht bekannter Autor. Während 1947 von den West-Allierten zunächst ein Publikationsverbot gegenüber Wolf erlassen wurde, gab es später in der Bundesrepublik ausschließlich Lizenzveröffentlichungen von DDR-Ausgaben, jedoch keine einzige eigene Veröffentlichung. Man versuchte den Autor im Westen des Landes zu ignorieren.
In Lehnitz (Oranienburg) nahe Berlin sitzt die Friedrich Wolf Gesellschaft (www.friedrichwolf.de – leider ohne Verschlüsselung) mit ihrer Gedenkstätte. Dort war Wolfs Wohnsitz nach dem Ende des faschistischen Kriegs.
Die Gesellschaft hat sich nicht nur dem Andenken des Dichters gewidmet, sondern ist mit Veranstaltungen zu Literatur, Film und Theater aktiver Teil des Berliner Kulturlebens.
2. Weltkrieg, 2024 rezensiert, Faschismus, Sowjetunion, Ukraine, Widerstand