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Annett Grösch­ner, Peggy Mäd­ler, Wenke See­mann
» Drei ost­deut­sche Frauen betrin­ken sich und grün­den den idea­len Staat

Autorin­nen:Annett Grösch­ner, Peggy Mäd­ler, Wenke Seemann
Titel: Drei ost­deut­sche Frauen betrin­ken sich und grün­den den idea­len Staat
Aus­gabe:Han­ser Ver­lag 3. Aus­gabe 2024
Erstan­den:Pan­ke­buch, Ber­lin Pankow

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Ich fühle mich ein biss­chen, wie in der Luft hän­gen geblie­ben: Bei mei­ner Lek­türe »Drei ost­deut­sche Frauen betrin­ken sich und grün­den den idea­len Staat« fehlt mir die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung der drei Autorin­nen und bei der Lesung in der Rosa-Luxem­burg Stif­tung die Dis­kus­sion über die­ses Buch. Das vor­ne­weg, jetzt zu mei­ner Ein­schät­zung des Buches.

Eigent­lich habe ich es gerne gele­sen, aber je län­ger ich es gele­sen habe, umso mehr habe ich mich über das For­mat geär­gert. Es han­delt sich im Grunde um einen schrift­li­chen Pod­cast und das trägt auf die Dauer nicht – zum Hören sicher, aber nicht zum Lesen!

Jetzt zum Inhalt: Zunächst beto­nen die drei Autorin­nen, dass die­ser Gesprächs­band ent­stan­den ist, da in der Öffent­lich­keit im letz­ten Jahr viel über das Ost-West-Ver­hält­nis und über die soge­nann­ten »Ossis« dis­ku­tiert wurde. Nicht immer ohne Mora­lis­mus und erho­be­nen Zei­ge­fin­ger. Genau das wol­len die Autorin­nen außen vor las­sen, intel­lek­tu­elle Ana­ly­sen sol­len nicht im Vor­der­grund ste­hen, son­dern Anek­do­ten, Erzäh­lun­gen aus dem eige­nen Leben unter sozia­lis­ti­schem Vor­zei­chen. Annett Grösch­ner ist 1964 in Mag­de­burg gebo­ren, Peggy Mäd­ler 1976 in Dres­den und Wenke See­mann 1978 in Ros­tock. Alle drei sind DDR Frauen, aber im Hin­ter­kopf sollte man haben, dass Peggy Mäd­ler zur Zeit der soge­nann­ten »Wende« 13 Jahre alt war und Wenke See­mann 11 Jahre alt. Das Leben in der DDR als Jugend­li­che oder erwach­sene Frau ken­nen sie nur vom Hören­sa­gen. Aber ihr Blick auf die Gesell­schaft ist ein sen­si­bler, sie gehen nicht davon aus, dass in der DDR alles bes­ser war, aber den­noch war eini­ges gut. Wider­sprü­che müss­ten aus­ge­hal­ten wer­den, auch bei den Ost­frauen. Denn zu den Ost­frauen gehö­ren auch Fran­ziska Gif­fey und Manja Schrei­ner, »die uns im Ber­lin des 21. Jahr­hun­derts die auto­ge­rechte Eigentümer*innenstadt der Zukunft ver­kau­fen wol­len und wie Gif­fey jeden Ein­griff in die Eigen­tums­ver­hält­nisse der Daseins­vor­sorge als Rück­fall in DDR-Ver­hält­nisse denun­zie­ren.« (S. 30). Dar­aus wird geschlos­sen, dass es ein Recht auf Woh­nen geben müsse!

Über die Rolle und Stel­lung der Frau in der Gesell­schaft machen sich die drei Autorin­nen viele Gedan­ken. Gegen den § 218 gin­gen die Frauen der ost- und der west­deut­schen Frau­en­be­we­gung 1990 noch gemein­sam auf die Straße, aber dann seien Gemein­sam­kei­ten kaum noch zu fin­den. Denn »wir kämp­fen für eine sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft ohne patri­ar­cha­li­sche Ver­hält­nisse. Gemein­sam mit Män­nern.« (S. 114). Die west­deut­sche Frau­en­be­we­gung sei eher an der Aus­ar­bei­tung femi­nis­ti­scher Theo­rien inter­es­siert gewesen.

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Grösch­ner-Mäd­ler-See­mann: Die drei Frauen gestal­ten die per­for­mante Lesung zum Start des Fes­ti­vals. © Andreas Rost | Quelle

In den 90er Jah­ren seien die Ost­frauen prag­ma­tisch gewe­sen, hät­ten sich ste­ri­li­sie­ren las­sen, um ihre Arbeit nicht zu ver­lie­ren, ihre Arbeit hät­ten sie den­noch ver­lo­ren. Sie hät­ten ihre Emp­find­lich­kei­ten weg­ge­bü­gelt. »Hin­fal­len – Auf­ste­hen – Nicht wei­nen – Durch­hal­ten.« (S. 176). Posi­tiv zu bemer­ken ist, dass es immer wie­der Fuß­no­ten gibt, in denen die Aus­sa­gen belegt wer­den. »Im Land Bran­den­burg stieg die Anzahl der Ste­ri­li­sa­tio­nen von 827 im Jahr 1991 auf 6224 im Jahr 1993.« (S. 197). Oder es wer­den Aus­sa­gen aus wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen über­nom­men, um die heu­tige Situa­tion in Ost­deutsch­land zu beschrei­ben. »Kein DAX-Unter­neh­men hat sei­nen Haupt­sitz in Ost­deutsch­land. Der Nied­rig­lohn­sek­tor in Ost­deutsch­land ist mehr als dop­pelt so groß wie in West­deutsch­land.« (S. 58). Ein grund­sätz­li­cher wei­te­rer Aus­tausch über diese Aus­sa­gen fin­det unter den drei Frauen jedoch nicht statt. So bleibt vie­les an der Ober­flä­che. So wird auch der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Staat kaum kri­ti­siert. Es wird fest­ge­stellt, dass man in der DDR nur Kar­riere machen konnte, wenn man sich ange­passt hätte oder zu Kom­pro­mis­sen bereit gewe­sen wäre. Das dürfte heut­zu­tage in der Bun­des­re­pu­blik nicht anders sein. Daher stellt Peggy die Frage: »Habt ihr auch Sorge, dass ihr euch in den obe­ren Eta­gen ver­bie­gen müss­tet?« Die lapi­dare Ant­wort von Wenke lau­tet: »Nicht wirk­lich, aber ich will da auch nicht hin.« (S. 110). Das ist mir an inhalt­li­cher Aus­ein­an­der­set­zung zu wenig!

Sehr schön finde ich die Idee, dass die drei Frauen über Begriffe, die zur DDR gehör­ten, in Ansät­zen dis­ku­tie­ren und diese, wenn sie heute ihrer Mei­nung nach nicht mehr gebraucht wer­den, in eine Kon­sum­tüte wer­fen, da diese auf den Müll gehö­ren. Die Idee ist gut, aber die inhalt­li­che Begrün­dung nicht immer nach­voll­zieh­bar, weil die drei Frauen sich zu einig sind und damit keine Rei­bungs­flä­chen ent­ste­hen. Unbe­dingt mit­neh­men in die Zukunft wol­len sie aber die Begriffe »Kol­lek­tiv und Soli­da­ri­tät« (S. 161). Den Begriff der Dia­lek­tik ver­su­chen sie spie­le­risch anhand von Gum­mi­twist zu erklä­ren, das ist mir zu dünn!

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Die Ber­li­ner Mauer im Jahr 1986. Die rechte Seite zeigt zum Wes­ten. Dort haben Ein­woh­ner von West-Ber­lin sie bunt ange­malt. Die linke Seite gehört zum Osten. | © Noir Quelle

Bin ich jetzt zu ernst­haft? Will oder kann ich mich auf diese ganze spie­le­ri­sche Dar­stel­lung, die häu­fig auch zum Schmun­zeln ist, nicht ein­las­sen? Bei der Lesung in der Rosa-Luxem­burg Stif­tung gab es immer wie­der Geläch­ter. Das ist auch gut so. Aber wenn es dabei ste­hen bleibt?

Sicher soll das Buch auch gar nicht so »bier­ernst« sein, denn hand­feste The­sen gibt es nicht, auch keine fer­ti­gen wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­sen. Auch den idea­len Staa­ten grün­den die drei nicht, da ist der Titel schon Satire. Also Lösun­gen bie­ten sie nicht an.

Viel­leicht soll die Absicht der Autorin­nen sein, auf­ein­an­der zuzu­ge­hen, sich im Gespräch zuzu­hö­ren und sich letzt­lich zu verstehen.

Lesens­wert, um sich zu verstehen!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

2024 rezensiert, Annett Gröschner, DDR, Emanzipation, Gesellschaftskritik, Hanser Verlag, Ost-West-Verhältnis, Peggy Mädler, Wende, Wenke Seemann