Irmtraud Morgner
» Der Schöne und das Tier
Autorin: | Irmtraud Morgner |
Titel: | Der Schöne und das Tier |
Ausgabe: | Luchterhand Verlag, Frankfurt 1991 |
Erstanden: | Buchhandlung Volk, Recke |
Vor mir liegt der letzte vollendete Text von Irmtraud Morgner »Der Schöne und das Tier – Eine Liebesgeschichte«. Eingebunden ist diese Liebesgeschichte in den dritten Band »Das heroische Testament« ihrer Trilogie, dieser Band ist als Fragment aus ihrem Nachlass 1998 veröffentlicht worden. Der erste Band »Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura« erschien 1974 in Berlin (DDR) und der zweite Band »Amanda« 1983 in Berlin (DDR). Das »Heroische Testament« konnte Irmtraud Morgner nicht mehr beenden, da sie 1990 im Alter von 57 gestorben ist. In diesem dritten Band finden wir »Lachen über das Patriarchat, Kraft zur Befreiung von seinen Mißbildungen bei Frauen wie bei Männern, Mut zum bewahren der durch die Männerherrschaft bedrohten, aufs Höchste gefährdeten Erde.« (ND, 22.8.1998).
Rudolf Bussmann ist es zu verdanken, dass wir heute noch die Liebesgeschichte »Der Schöne und das Tier« lesen können, denn er hat das Material insgesamt 390 Seiten aus dem Nachlass veröffentlicht: »Rudolf, ihre letzte Liebe, der Dichterfreund aus der Schweiz.« (ND, 22.8.1998). In dieser Erzählung übernimmt die Trobadora Beatriz, erst in Sirenen- dann in Menschengestalt, die Aufgabe ihrem Geliebten und uns Menschen die Liebe als eine Art Zaubertrank zu präsentieren, um Kraft zu schöpfen für das Alltägliche.
»Die Liebe: Das ist die Kraft der Utopien in uns. Das zeigt wetterleuchtend, wozu der Mensch fähig ist. Das zeigt den Entwurf des Menschen: ihn ganz. Dann schnitzt die Welt an ihm herum. Also: die Welt muß geändert werden, nicht der Entwurf.« (Irmtraud Morgner, Das heroische Testament. Ein Roman in Fragmenten. Aus nachgelassenen Papieren zusammengestellt, kommentierend begleitet und hrsg. von Rudolf Bussmann, München 1998, S. 192). Aber nicht nur diese wichtige Erkenntnis vermittelt uns Beatriz. Irmtraud Morgner hat die Welt umgekrempelt, eine Frau schnitzt sich einen Mann aus ihrer Rippe, der Mann schminkt sich für die Frau. Irmtraud Morgner will zeigen, dass eine Ablehnung traditioneller sozialer Strukturen neue Hoffnung hervorbringen kann. Damit reiht sich diese Erzählung ein in Band 1 und Band 2 ihrer Trilogie, denn auch hier geht es um die Emanzipation des Menschen.
Der Deutschlandfunk hat zu dieser Erzählung ein Feature gemacht, das hilft diese Erzählung und auch Irmtraud Morgner besser zu verstehen Quelle. Hier kann man auch Irmtraud Morgner und Rudolf Bussmann im Originalton hören. So betont Irmtraud Morgner hier, dass Grenzüberschreiter benötigt werden, die an das Mögliche von Übermorgen denken würden, so wie Faust oder eben die Trobadora Beatriz, die für Irmtraud Morgner der weibliche Faust wird. In diesem Feature betont sie, »dass eine Opposition gegen »die Männer« platt sei, denn damit würde man kein historisches Verständnis voraussetzen.« Auch würde sie sich nicht als Feministin bezeichnen, da sie über ein Epochen-Problem, ein Menschheits-Problem schreibe. In der Erzählung wirft Beatiz einen Blick auf unseren Planeten und sieht ungeheure Zerstörungen, denn sie kann ja fliegen und von oben auf unseren Planeten schauen. Sie fühlt sich » gejagt von Rettungspflicht und Heilserwartung« (S. 34) wegen dieser drei Tonnen Sprengstoff, die pro Erdenbewohner bevorratet seien. So lautet die Botschaft der Erzählerin: »Ertrinkend in Menschenaugen begriff mich die Botschaft, dass der menschliche Schlüssel zur Welt der Mensch ist. Billiger ist sie nicht zu haben oder zu bewahren oder zu retten. Die ganze Menschheit lieben oder glücklich machen. Millionen umschlingen wollen, ist leicht, weil nicht nachprüfbar. Aber einen einzigen Menschen glücklich machen … Nur wer das kann, ist legitimiert und mitunter sogar befähigt, Völkern Ratschläge zu erteilen oder mehr.« (S. 34/35).
Im Feature nimmt Irmtraud Morgner zu dieser Aussage nochmal Bezug, indem sie auf Goethe zurückgreift: »Er konnte sich einen menschlichen Menschen homo humanus nur vorstellen, wenn das weibliche und männliche Potential in einer harmonischen Weise sich vereinen.« Sie fordert die Frauen auf sich herausnehmen, in diesem schwierigen Weltzustand das Wort zu ergreifen und an das Mögliche von Übermorgen zu denken.
Diese Erzählung »Der Schöne und das Tier« hat Irmtraud Morgner zwischen Mai und September 1984 in ihrer Wohnung in Berlin Lichtenberg, Am Tierpark 52 geschrieben. Hier wurde am 18. Oktober 2024 eine Gedenktafel für sie errichtet Quelle. Auch eine Irmtraud Morgner Straße gibt es in Lichtenberg.
Die hier vorgestellte Erzählung ist nur 38 Seiten lang, aber so dicht und intensiv, dass an dieser Stelle auch diese Aussage passt: »Verwirrend und sinnlich, geradezu barock schreibt die Schriftstellerin, die sich als Sprachartistin zu erkennen gibt, vom Leben der Frau in der heutigen Welt. Ausgangspunkt ist ihre Forderung, die Welt »weiblich zu interpretieren, um sie menschlich zu verändern.««. Quelle https://literaturkritik.de/id/3565
An Irmtraud Morgner sollte immer wieder erinnert werden, weil sie Utopien für Übermorgen entwickelt!
Sehr lesenswert!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2024 rezensiert, Emanzipation, Feminismus, Gesellschaftskritik, Irmtraud Morgner, Luchterhand Verlag