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Christa Mül­ler
» Die Ver­wand­lung der Liebe

Autorin:Christa Mül­ler
Titel:Die Ver­wand­lung der Liebe
Aus­gabe:Auf­bau-Ver­lag Ber­lin 1990
Erstan­den:anti­qua­risch

Christa-Mueller-Bild1 Im Klap­pen­text zu ihrer Erzäh­lung »Die Ver­wand­lung der Liebe« erfährt man über Christa Mül­ler nichts. Auch das Inter­net gibt wenig her, eine kurze Erwäh­nung bei Wiki­pe­dia. Sie hat in Dres­den Arbeits­psy­cho­lo­gie stu­diert, spä­ter in Babels­berg Spiel­film­dra­ma­tur­gie, war Regie­as­sis­ten­tin im DEFA-Stu­dio, wurde nach 1990 ent­las­sen und war bis zur Rente 1996 arbeits­los. Sie ver­öf­fent­lichte Lyrik, Erzäh­lun­gen, Film­sze­na­rien und Hör­spiele. Christa Mül­ler war allein­er­zie­hende Mut­ter von drei Kin­dern und lebte in Potsdam.

Im Jahr 1990 kam ihre Erzäh­lung »Die Ver­wand­lung der Liebe« her­aus über eine allein­er­zie­hende Mut­ter, die ihr gan­zes Leben ihrem Sohn wid­met. Mit 18 Jah­ren will er aus der gemein­sa­men Woh­nung aus­zie­hen und die Erzäh­le­rin fühlt sich wie eine ver­las­sene Geliebte.

»Die ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin Lorna Mar­tens zählt die­sen Text neben ande­ren zur femi­nis­ti­schen Lite­ra­tur der DDR.« Quelle

Jetzt wird es inter­es­sant! In die­ser Erzäh­lung schreibt Christa Mül­ler über sich, über ihr Ver­hält­nis zu ihrem Sohn, ein Part­ner exis­tiert nicht, er hat sie ver­las­sen, um nach Süd­ame­rika zurück­zu­ge­hen und hier die Revo­lu­tion vor­an­zu­trei­ben. Die Erzäh­lung besteht aus zwei Tei­len. Im ers­ten Teil geht es um eine gemein­same Wan­de­rung im rumä­ni­schen Hoch­ge­birge. Ähn­li­che Wan­de­run­gen haben Mut­ter und Sohn immer wie­der gemacht. Aber bei die­ser Wan­de­rung ver­tau­schen sich lang­sam die Rol­len, der Sohn trägt nun den schwe­ren Ruck­sack, um seine Mut­ter Doro­thea zu ent­las­ten. Damit beginnt die Los­lö­sung des Soh­nes und die Erzäh­le­rin glaubt, dass sie ihren Sohn pro­blem­los eigene Wege gehen las­sen könnte. Zunächst erscheint es auch so, aber zurück im All­tag lei­det sie unter der begin­nen­den Ablö­sung, die immer neue Kon­flikte und Ver­let­zun­gen in sich birgt. Sie fühlt sich wie eine ver­las­sene Geliebte. Ihr Sohn Julian geht mit sei­nen Freun­den, sei­ner Freun­din und sei­ner Mut­ter auf eine Klet­ter­tour, hier ver­letzt er sich, »sofort rann­ten beide Frauen ihm zu Hilfe« (S. 221). Sie kon­kur­rie­ren um seine Zunei­gung, aber in die­ser Situa­tion betont Julian, er wolle nach Hause. »Es war ein Tri­umph für Doro­thea.« (S. 221). Aber das Ver­hält­nis zwi­schen den bei­den wird nicht bes­ser, denn beide wis­sen im Inners­ten »daß diese Zeit ein Inter­re­gnum war, ein Reich zwi­schen Kind­sein und Mann­sein, und daß Doro­thea Julian über den Gra­ben nicht fol­gen konnte, der sich jetzt auf­tat.« (S. 223). Er ent­schei­det sich, das Weih­nachts­fest mit Freun­den bei einer Klet­ter­tour zu ver­brin­gen, er macht sich auf den Weg. »Er atmete auf. Unbän­dige Freude ergriff ihn. Er war frei.« (S. 236). Und Doro­thea? Sie fin­det einen Zet­tel von Juli­ans Hand. »Noch ehe sie den Inhalt erfasst hatte, kochte sie vor Wut. Er hatte sie plan­voll hin­ter­gan­gen. Ver­ra­ten. Im Stich gelas­sen. Heim­lich. Feige.« (S. 243). Aber sie weiß, dass sie sich mit der Ablö­sung des Soh­nes aus­ein­an­der­set­zen muss. »Als die Tür hin­ter ihr ins Schloss fiel, begann ihr ande­res Leben. Das Leben ohne Julian. Es mußte ein­ge­übt wer­den.« (S. 245).

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Christa Mül­ler – Home­page | Quelle

Auch in die­ser Erzäh­lung taucht der Wunsch des Kin­des auf, einen eige­nen Stand­punkt selbst zu fin­den, er möchte eigene Erfah­run­gen machen und durch das eigene Urteil zu einer Ein­schät­zung gelan­gen. Julian for­dert eine Frei­heit des Han­delns, die nicht zu dem von sei­ner Mut­ter gesetz­ten Rah­men pas­sen muss. Letzt­lich wird ein Kampf der Gene­ra­tio­nen beschrie­ben, der für die Selbst­fin­dung Juli­ans aber unver­meid­bar ist.

Auch in die­ser Erzäh­lung kommt ein Mann als Hand­lungs­trä­ger nicht vor, die Erzäh­le­rin nimmt den Frau­en­stand­punkt ein, wenn sie von Juli­ans Vater spricht. Sie zeigt keine Wut, son­dern Trauer und kehrt bald wie­der zu den prak­ti­schen Pro­ble­men zurück. So erzählt sie von den Men­schen und ihrem Ver­hält­nis zuein­an­der, ihren Freu­den aber auch Schmer­zen, dabei sind ihr Fra­gen wich­ti­ger als pas­sende Ant­wor­ten zu finden.

Christa Mül­ler ist im Okto­ber 2021 gestor­ben. Im Nach­ruf wird her­vor­ge­ho­ben, dass sie beim Klet­tern und Wan­dern im Ein­klang mit sich selbst gewe­sen sei. »Gerech­ter sollte die Welt wer­den, hatte die in den Krieg hin­ein Gebo­rene gehofft und gefor­dert. Ihre Hel­din­nen sind Frauen, Müt­ter, stark und schwach zugleich, Kämp­fende und Erlie­gende. Die Umbrü­che in Ost­deutsch­land nach 1990, die zuneh­mende Kälte der Gesell­schaft haben ihr nicht gut­ge­tan, haben sie see­lisch belas­tet und kör­per­lich krank gemacht.« Quelle

Aspekte des All­tags­le­bens in der DDR wer­den aus einer kri­ti­schen Sicht beschrieben.

Lesens­wert!

Unterschrift
Mar­gret Hövermann-Mittelhaus

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»Christa wollte viel älter wer­den«: Dra­ma­tur­gin und Lyri­ke­rin aus Pots­dam gestor­ben | Quelle

2024 rezensiert, Aufbau-Verlag Berlin, Christa Müller, DDR, Feminismus, Ilse Nagelschmidt