Marge Piercy
» Menschen im Krieg
Autor: | Marge Piercy (USA, 1987) |
Titel: | Menschen im Krieg |
Ausgabe: | Literaturbibliothek Argument Ariadne, 2014 |
Erstanden: | Ein Tip meiner früheren Partnerin |
Ein bemerkenswertes, knapp 1000 Seiten starkes Buch der frauen- und Anti-Vietnam-Kriegs bewegten US Amerikanerin Marge Piercy. Die in mehreren gut geschriebenen Erzählsträngen und aus der US-Perspektive nahebringt, was mit Menschen passiert, die in den (2. Welt-)Krieg gehen müssen. Was der Krieg aus ihnen macht, was sie im Krieg machen; und das – völlig ungewöhnlich – größtenteils aus Frauenperspektive. Ohne Leistungen der Frauen, zivil wie militärisch, es vielleicht keinen Sieg über die Nazibarbarei gegeben hätte.
Passend flicht Piercy dazu differenziert Schicksale jüdischer Frauen ein, die (hier in Paris) lange nicht glauben können, was die Hölle des SS-Staats plant. Dass die meisten Franzosen sich nicht gegen die Judenverfolgung wehrten (im Gegensatz etwa zu den Dänen). Die Schicksale jüdischer Menschen, sind hier ein wesentliches Element: Ergreifend, wenn Überlebende in befreiten Orten verzweifelt nach den Überresten ihrer Angehörigen suchen. Die gerettete KZ-Insassin, die noch heute zusammenzuckt, wenn sie Deutsch hört. Die Bande mancher Familie quer über die ganze Welt und dabei immer wieder der jüdische Glaube, der hilft. Das schreckliche Leben im französischen Macquis, der Gestapo-Terror, (mit französischer Miliz als Helfer), vor dem man lieber in den Selbstmord flieht. Die verfolgte Pariser Jüdin aus wohlhabenden Kreisen, die zum Macquis geht, dort den amerikanischen Agenten Jeff trifft und haarscharf das KZ überlebt. Wie jüdische Emigranten aus Deutschland immer wieder abgewiesen werden, die US-Regierung, die sich weigert, KZ Gräuel zu publizieren. Aber auch, dass nicht ein Gedanke um das Seelenleben japanischer Soldaten verschwendet wird. Der Kern des Buchs (das auf Gesprächen mit realen Personen basiert) sind die Entwicklungen von Menschen, die auf unterschiedlichste Weise in den Krieg gehen: Arbeiterin in der Munitionsfabrik, Chiffre Decodierer, Résistance Kämpferin, Kriegsberichterstatterin, Agent, Luftabwehrhelferin, Handelsmatrose. In den Krieg hineingetragen werden z.B:
- Die Doktorandin, die (für Geheimdienste) Emigranten interviewt;
- Die Frau, die fliegen kann und nach langem Kampf erst fürs Militär arbeiten darf.
Für alle findet die Autorin spannende, vielfach verknüpfte Erzählstränge, die viel historisches Wissen transportieren. So dass es für Frauen im Krieg ein Mehr an Gleichberechtigung gab. Sei es äußerlich, weil Hosen tragen normal wurde, sei es weil die männlichen Kollegen die Arbeitsleistung und das Können ihrer neuen Kolleginnen, die in ihre bisherigen Arbeitsdomänen eindrangen, anerkennen musste.
Welche unheilvollen Veränderungen der Krieg bringt: »Ich weiß nicht, ob das, was wir vor dem Krieg normal genannt haben, je wieder normal scheinen wird.«
Krieg bedeutet Macht, bedeutet Herrschaft der Armee; wie eine Uniform einen Menschen verändert! Wie schwer es fällt, mit einem heimgekehrten Soldaten (einem Mörder!) zusammenzuleben.
Man lernt viel: Welches besondere Biotop der OSS (Office of Strategic Services, CIA Vorläufer) war, auch ein Netzwerk zur beruflichen Karriere. Dass Männer aus Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit – oder aus Geltungsbedürfnis den Weg in die Armee fanden. Oder (Frauenmund:) Der Krieg ist das beste Aphrodiasikum, man wächst in völlig andere Lebensumstände hinein – ein typisches Merkmal aller Protagonisten. Die wachsende Frage: Was macht man eigentlich nach dem Krieg?
Viele Schicksale entwickelt die Autorin sehr differenziert, so dass selbst über die 1000 Seiten nahezu stets Lesespannung bleibt. Dabei gibt es vieles Beeindruckendes, so wie die beiden fliegenden Frauen Jo und Berenice erst über einen langen Zeitraum ihre lesbische Liebe entwickeln. Dann: Die sexuellen Nöte der jungen Menschen (eigentlich kaum der Pubertät entronnen), die (wie noch lange nach dem Krieg) nirgends einen ungestörten Platz für die Liebe fanden. Dabei »Kann« die Piercy auch Erotik und schildert ansprechend eine solche Begegnung – aus der Sicht einer Frau.
Einige Charaktere blieben für mich blass, »irgendwelche Amitypen halt« – es ist ein sehr US-amerikanisches Buch, stellt man an vielen Stellen fest. Ein Personenregister hätte nicht schaden können. Es ist zweifelsohne aus der US-Perspektive geschrieben, in der nicht der Überfall auf die Sowjetunion das entscheidende Datum ist, sondern der japanische Überfall auf Pearl Harbour. Zeitgenössische Reaktion danach: Ich habe wenig Hoffnung, jemals in einer nicht vom Irrsinn beherrschten Welt zu leben. Nachdem ich fast das gesamte Buch über den Eindruck bekam, als würden die Amerikaner den Krieg alleine führen, stieß ich erst auf ihre Bemerkung: Sie konnte kein Geld für eine Recherche auftreiben, um auch das Geschehen im Krieg in der Sowjetunion in ihr Buch einzubinden. Nicht untypisch für den US-Kulturbetrieb.
Die Autorin beherrscht sehr kritische Töne, verschweigt den Antisemitismus General Pattons nicht, dass die Alliierten in Nord-Afrika mit Nazis kooperierten und zum Kriegsende heißt es (S. 980): »Die Amerikaner liegen schon mit den Nazis im Bett und bereiten sich darauf vor, gegen die Russen anzutreten..« Und dass der Bombenkrieg der West-Alliierten für die Kriegsentscheidung weitgehend wirkunglos war, dazu fragt sie: Warum wurden die KZ-Fabriken fast nie angegriffen? Oder: Während die Europäer um ihr Leben kämpften, kämpften die US-Bürger um einen höheren Lebensstandard. Und die Angriffe auf die besetzten Pazifik-Inseln werden als einzige Metzelei geschildert.
Das ist alles locker formuliert, locker zu lesen, mit köstlich-schönen formulierten Frauenstandpunkten, lehrreich, informativ und gleichzeitig unterhaltsamer Roman. Über Menschen, über Frauen im Krieg, aus Frauensicht. Mit einem Wort:
Besonders lesenswert
2. Weltkrieg, 2016 rezensiert, Frauen, Gleichberechtigung, Judenverfolgung, Literaturbibliothek Argument Ariadne, Marge Piercy, OSS, Soldatinnen, USA