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Lillelord

Johan Bor­gen
» Lil­lelord

Autor:Johan Bor­gen (Nor­we­gen, 1955)
Titel:Lil­lelord
Aus­gabe:S.Fischer, 1979
Erstan­den:Anti­qua­risch

Lillelord

Die Tri­lo­gie von Johan Bor­gen, die den Zeit­raum Nor­we­gens von 1912 bis 1945 umspannt, gilt als eines der wich­tigs­ten Werke der jün­ge­ren nor­di­schen Lite­ra­tur. Einer Ein­schät­zung, der ich mich für den ers­ten Band (Lil­lelord = Der kleine Lord, nicht zu ver­wech­seln mit der Schmalz­ge­schichte »Little Lord Faunt­leroy«) anschließe, für die bei­den wei­te­ren Bände jedoch nicht.

Im ers­ten Band besticht die Geschichte eines ver­wöhn­ten, völ­lig ver­hät­schel­ten und ziem­lich über­spann­ten Wil­frieds, Sohn einer wohl­ha­ben­den bür­ger­li­chen Osloer Ree­ders-Witwe Anfang des 20. Jahrhun­derts, der seine Mut­ter, Leh­rer und Freunde mit Lügen­geschichten betrügt. Der Gute, des­sen früh abge­gan­ge­nen Vater ein nie ganz gelös­tes Geheim­nis umgibt, hat einen gehö­ri­gen Schuss, bezau­bert Mutter/Verwandte durch pup­pen­haf­tes Aus­se­hen und rasan­tes Kla­vier­spiel, wäh­rend er in sei­nem Dop­pel­le­ben Anfüh­rer von Jugenban­den im kri­mi­nel­len Armen­mi­lieu der Stadt wird. Damit macht er sich den Abschied von der Kind­heit äußerst schwer, aus der Bor­gen berü­ckend bild­haft den Zau­ber eines Som­mer­ur­laubs eben­­so wie Bla­ma­gen der Kind­heit, sein Geltungsbe­dürfnis und Falsch­heit, die erste ero­ti­sche Begeg­nung mit einer Tante nahe­bringt. Bei dem ver­geb­li­chen Ver­such nicht über den ande­ren zu ste­hen, aber auch nicht mit­ten unter ihnen zu sein, flüch­tet er. Schein­bar von allem bedrängt in win­ter­li­che Ein­sam­keit, spricht nicht mehr, wird in Wien (Freud?) geheilt. Er bleibt aber in schwe­rer Iden­ti­täts­krise und flüch­tet sich bedrü­ckend in den Alkohol.

Was im ers­ten Band noch als äußerst ein­fühl­same Bil­der­welt einer nor­we­gi­schen Ober­schicht-Kind­heit und -Jugend vor dem 1. Welt­krieg daher­kommt, ver­sackt in den Fol­ge­bän­den der bei­den Kriege und der Zwi­schen­kriegs­zeit doch im Ver­such zu vie­les auf ein­mal und in einen ein­zi­gen Roman­hel­den dar­stel­len zu wol­len. Kriegs­ge­winn­ler, Spe­ku­lan­ten, die wil­den Zwan­zi­ger, Suche nach ech­ter Freund­schaft, Nazi­be­sat­zung, Wider­stand und Quis­linge, deut­sche Offi­ziere und Kol­la­bo­ra­teure, letz­te­res ein beson­ders miss­lun­ge­ner Abschnitt.

Dunklen-QuellenImmer­hin in spie­le­risch leich­ter Spra­che reflek­tiert Bor­gen die Schön­heit Nor­we­gens und die Zeit­läufe über mehr als 40 Jahre. Das ist immer nett, gegen Ende aber zuneh­mend wir­rer erzählt, hat aber nie mehr die unglaub­lich ner­vöse Span­nung des ers­ten Ban­des – auf den der Autor sich viel­leicht hätte beschrän­ken sollen.

Wir-haben-ihn-nunZwei­fels­ohne sehr lesens­wert – im ers­ten Band

20. Jahrhundert, 2016 rezensiert, Johan Borgen, Norwegen, S. Fischer