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Dina

Herb­jørg Wassmo
» Das Buch Dina

Autor:Herb­jørg Wassmo (Nor­we­gen 1989)
Titel:Das Buch Dina
Aus­gabe:List, 1992
Erstan­den:Anti­qua­risch

Dina

Hatte ich schon bei der »Tora-Tri­lo­gie« der Nor­we­ge­rin Wassmo geschwärmt (ver­glei­che »Gele­sen im Okto­ber 2016 und August 2017«), so tue ich dies bei der »Dina Tri­lo­gie« noch mehr, ein Werk, das die Autorin zur unbe­strit­ten aktu­ell bes­ten Schrift­stel­le­rin Nor­we­gens macht. Mit der Dina, die dem ers­ten Band den Titel gibt, wurde eine unge­heuer starke Frau­en­ge­stalt, abseits jeder Kon­ven­tio­nen und Norma­lität und in völ­li­gem Kon­trast zu übli­chen (skan­di­na­vi­schen) »Slægts­romanen« des 19. Jahr­hun­derts geschaffen.

Diese Dina ist psy­chisch min­des­tens so stark wie kör­per­lich, dreht früh den Tra­di­ti­ons-Spieß um und beherrscht schnell den Mann mit dem sie mit 16 prak­tisch zwangs­ver­hei­ra­tet wurde. Dass der sein Be­gehren des Teen­agers, einer »Kinds­frau« ganz ande­rer Art, bit­ter bereut und sich in die geruh­sa­me­ren Arme einer Witwe flüch­tet. Diese Dina ist aber auch im Wort­sinne eine män­ner­mor­dende Gestalt, was mehr als ein Gelieb­ter leid­voll erfah­ren müssen.

Ihre ero­ti­schen Aben­teuer sche­ren sich wie die ganze Frau den Dei­bel um Kon­ven­tio­nen, sei es der Stief­sohn, der beste Freund ihres eige­nen Soh­nes, den Pfle­ge­sohn, ein Haus­knecht oder was sich ihr sonst an (Kurz­zeit-)Gefährten anbie­tet. Diese Dina ver­blüfft aber nicht nur durch das Rau­chen von Zigar­ren und das Spren­gen von Män­ner­sa­lons, durch näch­te­lange Sau­fe­reien im win­ter­li­chen Gäs­te­haus des Guts, son­dern sie ist – gera­dezu unver­zeih­lich – auch noch außer­or­dent­lich geschäfts­tüch­tig. Über­nimmt bin­nen kur­zem erfolg­reich die Füh­rung des Guts Reins­nes ihres ers­ten Man­nes und zeigt, dass ihr die bäu­er­li­che Welt diese abge­schie­de­nen Guts in Nord-Nor­we­gen viel zu klein ist.

Sie setzt Rei­sen ins welt­städ­ti­sche Ber­gen durch, was nur der Anfang ihrer Flucht in die große Welt ist. Sie bringt einen Sohn Ben­ja­min zur Welt, der in vie­len Din­gen das Erbe sei­ner außer­ge­wöhn­li­chen Mut­ter trägt, aber sei­nem angeb­li­chen Vater nicht ähn­lich sieht. Benja­min des­sen wie­der­holte Dok­tor­spiele mit Han­nah, der Toch­ter der Stina, was Dina ahnt und tole­riert, die aber nur der kind­li­che Auf­takt einer lebens­prä­gen­den Bezie­hung die­ser »Kin­der der Dina« sind.

Das kommt von der Autorin Wassmo mit einer unglaub­li­chen Sprach­zau­be­rei her­über, die das Schick­sal einer so außer­ge­wöhn­li­chen Frau­en­ge­stalt in wort­mäch­ti­gen Bil­dern zu erzäh­len mag, wenn Dina über ihren Gelieb­ten sagt: »… seine Augen waren wie Spinnweben.«

Sie, deren Leben durch den von ihr als Kind ver­ur­sach­ten schreck­li­chen Tod ihrer Mut­ter Hjer­trud geprägt wird, die aber auch auf eine welt­erfah­rene und lebens­kluge Schwie­ger­mut­ter auf dem Hof Reins­nes in Nord­nor­we­gen trifft. Und wo es über ihren Vater, den Lehns­mann heißt: »… es war schwer, der Vater eines Satans zu sein.« Und dazu geizt das Buch Dina nicht mit knis­tern­der Ero­tik, es scheint, als ver­stün­den Schriftstel­ler­in­nen es deut­lich bes­ser den schma­len Grat zur Por­no­gra­fie auf­rei­zend zu vermeiden.

Das Buch Dina, die ganze Tri­lo­gie, leben auch durch und mit einer gan­zen Reihe span­nen­der Figu­ren, so den rot­haa­ri­gen Häus­ler Tho­mas, ebenso wie die (oft dis­kri­mierte) Lap­pin Stina, von Dina an den Hof geholt. Beide spie­len in der gesam­ten Reihe tra­gende Rol­len, wun­der­schön, wie diese bei­den sich im Laufe ihres hier geschil­der­ten Lebens ver­än­dern, vom Kind über Jugend bis in die »bes­ten Jahre«, ihrer­seits als Eltern.

Die Pfle­ge­söhne Nils (eine die­bi­sche Els­ter) und den erfolg­rei­chen Schif­fer Anders, der den Hof lange trägt. Dann die treue Magd Oline, die aber dum­mer­weise direkt unter dem herr­schaft­li­chen Schlaf­zim­mer lebt. Was zur Folge hat, dass man­ches Bett­ge­heim­nis eher zum Tratsch­ge­gen­stand der Hofgemein­schaft wird, wenn das Bett nun­mal bis mor­gens früh um vier am Quiet­schen ist …

Dina, die in Tei­len nur in ihrem Cel­lo­spiel lebt (uner­hört im 19. Jhdt), was die Wassmo wie­derum zu ero­ti­schen Andeu­tun­gen nutzt, wenn das Cello zwi­schen Dinas Schen­kel geklemmt wird, Musik, Schön­heit, Lust – diese Frau­en­ge­stalt ist so unge­heuer prall lebendig.

Die es aber nicht erträgt, wenn der ihr eben­bür­tig wir­kende Geliebte, der gehei­mis­volle Russe Leo (ein Revo­lu­tio­när?), offen­bart, dass ihn die kleine Welt des Hofs Reins­nes ein­sperrt, erstickt, er von ihr unab­hän­gig blei­ben will, was gera­dezu mör­de­ri­sche Fol­gen hat. Womit sich wie­derum ein Teil des Schick­sals Dinas auf den Sohn, der Zeuge eines Mor­des wird, überträgt.

Eine Frau, die aber auch unend­lich um das Schick­sal ihres Pferds, des schwer zu bän­di­gen­den »Schwar­zen« trau­ert, aber gleich­zei­tig – anders als die Män­ner – den Mut hat, es vom Lei­den zu erlö­sen. – Die Schön­hei­ten Nord­nor­we­gens kom­men im Roman nicht zu kurz, geschil­dert z.B. in stau­nen­den Spa­zier­gän­gen durch Tromsø, »aber das Para­dies währte auch hier nur so lange, bis die Men­schen es übernahmen«.

Und eben­falls groß­ar­tig, wie die Wassmo ver­mag, den erzäh­le­ri­schen Blick­win­kel zu ver­än­dern und Teile aus der kind­li­chen Sicht des Soh­nes Ben­ja­min und sei­ner Spiel­ge­fähr­tin Han­nah abso­lut glaub­haft zu erzäh­len vermag.

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Die Autorin Herb­jørg Wassmo | Bild | Foto: Rolf M. Aagaard

Die­ses Buch macht mit sei­nen Figu­ren, sei­ner Inten­si­tät der Erzäh­lung, der bild­haf­ten Schön­heit der Spra­che viel­fach sprach­los vor Stau­nen. Und dabei ist es so span­nend bis zur letz­ten Zeile, dass man gar nicht rea­li­siert, wie dick es eigent­lich ist, ein enor­mes Lese­ver­gnü­gen. Hier gestal­tet eine Frau, Herb­jörg Wassmo, eine unglaub­li­che, den Rah­men ihrer Zeit völ­lig spren­gen­den Frau­en­ge­stalt und sie tut das aus Frau­en­per­spek­tive, allein das schon her­aus­ra­gend aus aktu­el­lem Einheitsbrei.

Das Buch ist eines der bei­den bes­ten, das ich in 2017 gele­sen habe. Das andere ist »The Vivi­sec­tor« (Der Maler) des aus­tra­li­schen Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­gers Patrick White, der noch der Rezen­sion harrt. Das Buch Dina macht mit sei­ner unge­heu­ren Frau­en­ge­stalt, sei­ner Sprach­kunst, sei­nem mehr­fa­chen Per­spek­tiv­wech­sel und sei­ner gran­dio­sen Span­nung den Leser nahezu atem- und sprachlos.

Ein Meis­ter­werk

2017 rezensiert, Bergen, Dina Trilogie, Erotik, Frauenemanzipation, Herbjørg Wassmo, List, Norwegen, Sprachzauberei