Herbjørg Wassmo
» Sohn des Glücks
Autor: | Herbjørg Wassmo (Norwegen, 1992) |
Titel: | Sohn des Glücks |
Ausgabe: | List, 1994 |
Übersetzung: | Ingrid Sack |
Erstanden: | Antiquarisch |
Im zweiten Band ihrer Dina-Reihe (vgl. »» Link) wechselt die Wassmo abrupt auf Dinas Sohn Benjamin zum Mittelpunkt der Erzählung, dabei überzeugt sie auch mit dem Perspektivwechsel auf das Kind, das Pubertier, den Adoleszenten, den Medizinstudenten, den Arzt. Der scheinbare vaterlose Sohn sucht sich Anders, den Pflegesohn von Dinas erstem Mann, als Vater, den sie sich später entscheidet zu heiraten. Benjamin, der Zeuge des Todes von Dinas Gefährten Leo, dem Russen und schon mit 11 Jahren flügge wird und früh beginnt, zu philosophieren. Und sich – in schönster Sprache – wundersam empfindlich gegenüber äußeren Eindrücken zeigt, beim Besuch in Tromsø, der erwachenden Sexualität, der brünstigen Stimmung gegenüber den Wirtsleuten, im Studienort København. Der Lateinlehrer nennt den lange zur kindlichen Offenheit neigenden Jungen »..ein ungezügeltes Orakel«. In der Häufung des Geschehens übertreibt die Autorin etwas, wenn Dina in ihrem ungezügelten Freiheitsdrang sich ihr Cello schnappt und ins Ausland fährt, parallel Anders das unversicherte Frachtschiff verliert und weißharig zurück kommt, »Anders wurde ein richtiges Seegespenst.«
Benjamins Aufenthalt im dänischen Kopenhagen, das Studium, die erotische, aber untergeordnete Beziehung zur Karna (»Du hast Luxusprobleme!« und die intellektuelle Begegnung mit der Professorentochter Anna (die ihm Peer Gynt empfiehlt!). Die Anna, die ihm sagt: »Du bist anders, … Du sprichst darüber, was in mir lebt.« Sein humanitäres Engagement (als Norweger!) im Dänisch-Preußischen Krieg 1864, sein Studienfreund Axel, verlobt mit Anna – alles eigentlich schon Erzählungen für sich. Insbesondere Benjamins Bewährungsprobe als Arzt bei der schwierigen Niederkunfts Karnas, eine Wahnsinnsszene, sie überlebt nicht, wohl aber die Tochter, zu deren Vaterschaft Benjamin sich bekennt, mit der er zurück nach Reinsnes geht und wo ihn schon auf dem Schiff die norwegische Enge einholt. Dina schreibt, schickt ihre uralte Bibel und lässt das Cello holen, kommt aber nicht zurück, Anna entscheidet sich überraschend – mit Knalleffekt.
Auf Reinsnes wird es für den »Sohn des Glücks« nicht einfacher, dem Studierten, dem Arzt wird vorgehalten »Du sprichst Dänisch« – die andere Identität des Benjamin und eine Anspielung auf den »Sprachkonflikt« Dänisch./.Norwegisch (Dänisch war die Sprache der Pfarrer, Beamten, der herrschenden Schicht). Aber auch Dina, die Deutsch gelernt hat, weil sie nie jemand hatte, mit dem sie über das reden konnte, was sie dachte, »Nicht auf Norwegisch.«
Dinas eigentlicher Grund für die lange Flucht ins Ausland, nach Berlin, nach Paris, nach Kopenhagen; »Das ist das Gute an einem stinkendem Menschengewimmel wie Berlin.« Der zweite Band der Dina Reihe hält nicht ganz die zwingende Spannung des ersten, gehört dennoch zur großen norwegischen Literatur, schon wegen mannigfaltiger zauberhafter Sprachmomente und starker Erzählkunst der Wassmo. Die Gestalten, ihr Leben, ihre Gefühle, ihre werdenden Veränderungen sind wieder ungeheuer kraftvoll erzählt, sorgen für großes Lesevergnügen.
Große Erzählung und Lesegenuss!
2017 rezensiert, Bergen, Dina Trilogie, Dänemark, Herbjørg Wassmo, Norwegen, Slægtsroman, Sprachkonflikt Dänisch/Norwegisch