Richard Llewellyn
» So grün war mein Tal (How green was my valley)
Autor: | Richard Llewllyn (Wales, 1939) |
Titel: | So grün war mein Tal (How green was my valley) |
Ausgabe: | Europäischer Buchclub (Diana Verlag, Baden-Baden), ohne Publikationsdatum, |
Übersetzung: | N.O. Scarpi |
Erstanden: | Landbuchhandel Kross, Bippen |
Eines grauen ländlichen Nachmittags begegnete mir in der Landbuchhandlung von Michael Kross im Dorf Bippen etwas Besonderes: Eine faszinierend-umwerfend-liebevolle Kindheits-/Jugendgeschichte aus einem Waliser Bergarbeiter-Tal zu Beginn des 20. Jahrhunderts. So intensiv, so schmerzvoll schön, so präzise aus Kinder- und Jugendsicht geschriebene Erinnerungen sind äußerst selten. Das Aufwachsen in einem Tal voller Gesänge, den Feiern, in die ein ganzes Tal singend einstimmt, das staunende Beobachten der Lieben seiner älteren Schwestern, der Lebensrhythmus der Kohlengruben, Streiks und Solidarität, die walisische Bergheimat, ihre unvergessliche Natur, wilde Narzissen, die doch Stück für Stück dem Abraum der Kohlehalden weichen muss, die bis zu ihrem Gartenzaun drängen – Llewellyn hat das unglaublich intensiv verfasst, wiewohl er es Jahre nach dem Verlassen der Heimat geschrieben hat.
Es ist auch die Geschichte des Aufbegehrens der drei Söhne gegen väterliche Autorität und der Streit zwischen Gewerkschaftsanhängern und denen, die lieber auf Gott vertrauen, wie der Vater, der technischer Grubenleiter ist.
Ein Konflikt, der mitten in die Familie geht, als die Mutter meilenweit zu einer konspirativen Union-Versammlung geht, um die dort aktiven älteren Söhne zu erleben, und dabei fast ums Leben kommt.
Für den jüngsten Sohn, Huw, den Erzähler bedeutet ihre Rettung ein gebrochenes Bein und 5 Jahre Bettruhe, was seine erzählende Beobachterrolle verstärkt. Er entdeckt die Bücher, gewinnt einen Preis für seine Handschrift und entwirft fortan die Union-Flugblätter. Dem Erzähler wichtig sind die (häufig sehr tragischen) Lieben der älteren Brüder, aber auch der Schwestern, oft nicht geradeaus verlaufend und in krachende Konflikte mit der noch sehr patriarchalischen Gesellschaft mündend. Huw nennt einen Grubenbesitzer, der ein Mädchen öffentlich der Sünde bezichtigt einen alten Hypocrite. Und er widerspricht auch seinem Vater, weil der von den Grubenbesitzern besser behandelt wird.
Dabei können die Sitten noch wirklich streng sein: Wieso sprichst Du meine Schwester an, ohne dass Du Ihr schon vorgestellt worden bist?
Mit das Schönste sind die Feiern, die das ganze Tal einbeziehend, mit den Lichtern der Fackeln, den walisischen Gesängen, der Chor seines Bruders Ivor wird zu Queen Victoria geladen. Die Poesie der Harfe, die Chorsänger, die Stimme für Stimme einfallen, der Zauber ihres Gesang. Die Lieder kann man heute jeden Tag auf »Blas Folk Radio Cymru« (Internet-Radio) hören…
So wird Szene für Szene die Geschichte von Huws Familie und die des Tals erzählt, so atmosphärisch faszinierend, wie es nur große Literatur kann.
Naturgemäß kommen Besonderheiten des walisischen Satzbaus (im Englischen) in der Übersetzung nicht zum Tragen, dafür braucht es das Original, z. B. »There is beautiful you are!«
Die eigene Sprache spielt eine wiederkehrende Rolle, Laien predigen in Walisisch, bei einer Hochzeit muss – der Braut wegen – Englisch gepredigt werden. In der National school wird Huw schwer gemobbed, auch von Lehrern und wird strikt Englisch verlangt – über Sprache als Herrschaftsinstrument können auch Iren und Schotten ihr Lied singen. Huw lernt nun Boxen aber der Geschichtslehrer »is trying to hide his Welsh blood«. Als Huw aber von einem anderen Lehrer böse gezüchtigt wird, zeigen ihm zwei Profiboxer aus dem Tal, was eine walisische Harke ist.
Die Einschätzung: »God made the coal, but men made the money!« zeichnet die Realität genauso wie ein 5-monatiger Bergarbeiterstreik, in dem Frauen und Kinder sterben und Huws Vater eine Grenze für Lohnsenkungen aushandelt.
In Huws Leben kommt eine fantastisch dargestellte Szene der Sexualaufklärung durch den progressiven Pfarrer Mr. Griffyd (»gesät vom Samen des Menschen«). Der mag sich auf keine gelebte Beziehung zur verheirateten Angharad einlassen, er ist zu arm dafür. Trotzdem wird er später durch groben Dorfklatsch vertrieben. Huw dagegen verspürt das erste Mal die Erotik, wird von Ceinwen geküsst und verführt. Als die beiden nachts in den Bergen sind, um die Nachtigall zu hören, löst das eine Suchaktion aus; ihre erste Nacht steht in poetischer Beschreibung.
Huws erster Tag im Bergwerk wird impressionistisch eindrucksvoll beschrieben, literarisches Glanzlicht wie viele Stationen im Leben des Jungen. Die Schwägerin Bron, die nach dem frühen Tod ihres Mannes Ivor (Bruder von Huw) klagt »Oh Mama, there is lonely I am«; Poesie der Sprache und der Namen.
Das Dorf verändert sich, die Reihenhäuser stehen dicht am Rand der Schlackeberge, Mr. Griffyd wandert nach Patagonien aus (dort spielt der weitere Roman des Autors, »Up into the singing mountain«), Angharad nach Kapstadt. Das Dorf beginnt sich vor den Augen des Erzählers aufzulösen. – Als Bron, dem jungen Huw nicht gleichgültig, sich wieder verheiratet, und er ihre Welt respektiert, heißt es zum Thema Männer/Frauen ((p. 402): »..women have a gentleness of silence about them, a barrier built of the things of spirit, of pain, of quiet, of helplessness, of grace..«
Viele gehen, so auch Huws Brüder Ianto und Ivor (nach Neuseeland bzw. Deutschland), aufgrund ihres aktiven Streiks haben sie im Tal keine Chance mehr. In der Stadt aber, angesichts der Geschäfte gibt es die Magie der Bücher (p. 421:) »Oh, there is lovely to feel a book, a god book, firm in the hand, for its fatness holds rich promise and you are hot inside to think of good hours to come.«
Das Ende ist turbulent, wilde Streiks, Aufruhr, rote Fahnen, Revolutionsparolen und die Androhung von Premierminister Churchill, britische Soldaten einzusetzen. Beim Versuch von Huws Vater schwere Schäden an der Grube zu verhindern, stirbt er vor Huws Augen – die Konflikte, die quer durch die Familie verlaufen, können tödlich sein. Der Erzähler resümiert (p. 447:) »But you have gone now, all of you, that were so beautiful when you were quick with life«. – Ich kannte bis dahin keine schönere Erzählung voller Poesie über Kindheit und Jugend und den Charme eines vergangenen, fremden Waliser Bergarbeitertals.
Herausragend
PS: Nicht lange, nachdem ich in der Familie von diesem Wunderwerk vorgeschwärmt hatte, fand das englischsprachige Original – via Tochter – seinen Weg zu mir. Danke, eines der Bücher, die man gerne zweimal liest.
Und die englische Ausgabe zeigt die wahre Satzmelodie Wales und bietet eine Ausspracheliste für die herrlichen Namen dieser walisischen Zauberwelt; schön!
English Summary
A magical imaginery of a childhood and youth in a Welsh mining valley, a bit similar to »Cider with Rosie«, more sustainful and even more touching, And using the Welsh twist of phrases and the magic of Welsh names, the boys father is named Gwilym. A book full of sheer magic but also lots of human truths.
2018 rezensiert, Biografisches, Diana Verlag Baden-Baden, Richard Llewellyn, Wales