Hermann Bang
» Stuck
Autor: | Hermann Bang (Dänemark, 1887) |
Titel: | Stuck |
Übersetzung: | Irma Entner |
Ausgabe: | Hinstorff, DDR, 1982 |
Erstanden: | Antiquarisch vom »Bücherwurm« Michael Kross |
Das ist die Geschichte einer Theaterpleite in der Gründerzeit, die man kulturgeschichtlich bis etwa 1914 verordnen darf. »Stuck« führt mitten in den rauschenden Trubel des tönernen Aufbruchs dieser Zeit. Um die Hauptpersonen, den emporgekommenen Baumeister Martens (spekuliert seine wechselfinanzierten Bauten meistbietend zu verkaufen), Zeitungsmann Berg (der Theaterdirektor am pompösen Neubau Victoria werden möchte) und den Händler Adolf, der scheinbar Vermögen aus väterlichen Krediten investiert, in Wirklichkeit nur mit dem guten Namen der Familie blendet.
København, Boulevards dicht von Menschen, Theater, Operette, danach ins Tivoli, soupieren, sich über Provinzler lustig machend.
»Das war das junge Kopenhagen, strahlend, in stramm sitzenden Kleidern, übermütig bei Gasluft und Gedränge, wie ein Fisch im Wasser« – Wie mit einem Zauberstab fängt Erzählmeister Bang den ganzen Trubel ein, in ein Dornröschen-Tableau, das aber früh krachende Risse zeigt. Plastisch scharf wie die nervöse Atmosphäre der Gründerzeit eingefangen, wo man in Kopenhagen meint, man »wäre wer«.
Bankiers besprechen die Gründung einer Zentralbank zur Zusammenfassung des Kapitals. Die Pacht für den Theaterneubau (zu) hoch angesetzt, weil man mitten im Stadtgraben gebaut hat, steht das Wasser noch im Keller.
Wieder baut Bang Autobiografisches ein mittels der Kindheit von Berg auf der Insel Als ein, erinnert aber auch an Motive aus »Tine«; Bergs Vater stirbt auf der Düppeler Schanze, dänisches Trauma.
Man scheint in der Hauptstadt ein Fest nach dem anderen zu feiern, der Theater-Primadonna erscheinen die Zuschauer jedoch ahnungsvoll im elektrischen Theaterlicht als »gräuliche Leider«. Bang schreibt dazu hochphilosophisches zum »Sprachproblem« Dänisch/Norwegisch/Schwedisch (S. 508).
Den Aufputz der Damen ironisiert der Autor doppelt vortrefflich, (S. 535): ».. beinahe wie Damen vom Theater, mit farbigen Seidenkleidern, aber aus sonderbar dünnfädigen Stoffen genäht, die unwillkürlich an Zeilenhonorar erinnern.«
Spannung kommt aus dem sich andeutenden finanziellen Niedergang: Nur ein Kassenkredit, die Theatermöbel täuschen Gediegenheit nur vor und mit Hilfe von Klackeuren wird ein voller Saal vorgespiegelt.
Das »Victoria« geht allmählich den Bach herunter: Ein Pleite-Gastspiel, Lieferungen nur noch gegen Barzahlung, selbst das Wechselgeld vom Buffet muss herhalten, windige Finanziers werden aufgesucht, Adolf junior verscherbelt das Familiensilber und der französische Chefkoch des Theaters sucht das Weite.
Dann ist die Pleite da, Flucht von Adolf und dem Buchhalter, das ganze Ausmaß des Schwindels wird aufgedeckt, der ganze Bau, Betrug durch Mitarbeiter, unbezahlte Tourneen, das potemkinsche Dorf hatte Metropolen-Maße, genau das wollte Kopenhagen ja so gerne sein.
Es erfolgt die Betriebsübernahme durch die Bank. Die rührt die Pleite wenig, da die Stadt Kopenhagen gerade eine neue Millionen-Anleihe begeben will. Und was wird der Journalist und Ex-Theaterdirektor Berg nun machen? Antwort: Schreiben, denn nur Bücher haben ein Ende – ironische Anspielung auf Bangs eigene Existenz.
Die Geschichte dieses klassischen Gründerzeit-Schwindels und Krachs ist in den für Bang in so typisch greifbar nahen Bildern atmosphärisch erzählt. Das kann der Autor und der Leser sieht die Bilder in Kopenhagen vor 140 Jahren, lässt sich hineinziehen und genießt, ein gelungenes Werk des Dänen.
Zwiespältig finde ich Bangs Art, Zusammenhänge durch das ganze Buch zu expandieren, vieles erschließt sich erst am Ende, manche Beziehung muss man ahnen, allerdings nicht so chaotisch wie bei Strindberg (Gotisches bzw. Rundes Zimmer). Einen Reiz hat dieses »gedehnte« Erzählen aber durchaus.
Wie gut dieser Roman eigentlich ist, wurde mir im Nachhinein erst bewusst. Trotz leichter Kritik, atmosphärisch oft zwingend,
bildreiche Lesefreude
PS: Bang ist einer der bekanntesten und bis heute wichtigen dänischen Autoren. In Dänemark ist er Schulstoff, Nationalstolz und lebendige Erinnerung, wie z.B. ein nach ihm benanntes Hotel in Fredrikshavn zeigt.
Schade, viel zu spät entdeckt: Die Webseite des deutschen Bang-Spezialisten und Übersetzers (!) aus Freiburg, Dieter Faßnacht.
2019 rezensiert, DDR, Dänemark, Gründerzeit, Hermann Bang, Hinstorff Verlag/DDR, Kopenhagen, Theater