John Steinbeck
» Grapes of wrath (Früchte des Zorns)
Autor: | John Steinbeck (USA, 1939) |
Titel: | Grapes of wrath |
Ausgabe: | Landmark/Book Club Associates, 1985 |
Übersetzung: | US-Englische Originalfassung |
Erstanden: | Antiquarisch vom »Bücherwurm« Michael Kross |
Ein Buch eines Nobelpreisträgers, auch hierzulande als »Früchte des Zorns« gut bekannt, aber gerne aus den ökologischen und sozialen Zusammenhängen gerissen und die geharnischte Kritik am (kapitalistischen) Wirtschaftssystem möglichst ignorierend rezensiert und so auch verfilmt – was sagt man hier noch dazu?
Ein besonderer Zugang für mich bei der Lektüre des Originals von Steinbeck waren die Lieder des Songpoeten Woody Guthrie, der mit den von der ökologischen Katastrophe der Staubstürme in den Dreißigern des 20. Jahrhundert. (Dust Bowl, verursacht durch jahrelange intensive falsche Bewirtschaftung, Bodenausplünderung durch Baumwollanbau) bekannt geworden war, mit den Verarmten zog, für sie sang, ihr Schicksal öffentlich machte, ihnen Mut zusprach; Will Kaufmanns Buch zu Woody Guthrie wurde rezensiert Juli 2016; https://mittelhaus.com/2016/10/31/will-kaufmann-woody-guthrie-american-radical/
Aus dem Dustbowl und der daraus resultierenden Vertreibung zehntausender ehemaliger Farmer und ihrer Familien vor allem aus Oklahoma und Texas, folgte ein Treck tausender armer und ärmster, sich als Landarbeiter vor allem in Kalifornien zu Hungerlöhnen verdingender oft völlig verwzeifelter Menschen, mit kranken oder sterbenden Kindern und Alten. Oft vertrieben, gejagt, abgewehrt durch eine vertierte Ordnungsmacht, nicht unähnlich dem, was heutzutage an den europäischen Außengrenzen geschieht.
Steinbeck hat vor allem der menschlichen Katastrophe ein literarisches Denkmal gesetzt, ein Monument, vor dem sich Leser und Rezensent nur verneigen können.
Steinbeck erzählt die Geschichte des »auf Ehre« vorübergehend aus der (4-jährigen) Haft entlassenen Tom Joad, der sich frohgemut auf den Weg zur Farm seiner Eltern macht und vom liftgebenden LKW-Fahrer lernt – entgegen seines Aufklebers »Keine Anhalter«, S.6: »But sometimes a guy’ll be a goog guy even if some rich bastardmakes carry him a sticker«.
Gesprochen wird ein recht heftiger US-Slang, nichts für Oxbridge verwöhnte Ohren, und sicher keine reine Freude für Übersetzer; aber notwendig für die Authentizät der Erzählung.
Was also tun: S.30 : »We got to get off. A tractor and a superintendent. Like factories« – Ende des Traums vom unabhängigen Landwirt.Von Steinbeck werden die Entfremdung der Kleinbauern vom Boden, vom Land, den Pflanzen, der Erde durch die industrielle Bodenbearbeitung, die wie Insekten über die Felder schwärmenden Traktoren meisterhaft dargestellt. Den Treckerfahrern geht es nicht besser, vorher haben wir gehungert, jetzt bekomme ich 3 $ am Tag, aber Du verdirbst 100 Leuten am Tag das Brot, aber ich bekommen 3$. Und ich werde durch Euren Garten fahren, die Quelle zuschütten, wenn ich Euer Haus zerstöre, bekomme ich eine Extraprämie. Und dann kann mein Sohn Schuhe kaufen.
Sie wollen zum Onkel reisen, wo die fFamilie sei soll, eine lange Wanderung. Der Autor fasst immer wieder die Seele der Menschen treffsicher, wenn der durch die Landflucht völlig vereinsamte Nachbar endlich wieder einen Zuhörer hat, S. 47: »Sometimes a sad man can talk his sadness righ out through his mouth.«
Ebenso treffsicher der schleimige Gebrauchtwagenverkäufer und seine klapprige Karosse, die er den beiden mit Ratenzahlung andreht, sie wollen nach Kalifornien, dort soll es Arbeit geben, aber es wird sie viel Benzin kosten, dorthin zu kommen. Ihre Familie aber muss vom Onkel weiter, sie haben sich einen LKW gekauft, umgebaut, fast alles andere verkauft, um nun mit Sack und Pack weiter zu ziehen. Beim Verkauf des Rest-Inventars zieht das ganze Leben vorbei S.79: »You’re not buying only junk, your buying junked lives.« Du kaufst nicht nur Schrott, du kaufst verschrottete Leben. Der Rest wird verbrannt, und sie fragen sich, S.81,: »How can we live without our lives? How will we know it’s us withour our past?«. Sie haben gerade mal 18 US$ für den ganzen Raffel bekommen, nur, S.89,: »Merchandising was a secret to them«, was gerissene Händler gnadenlos ausnutzen.
Die Schweine werden geschlachtet, alte Briefe und mit ihnen die Erinnerungen verbrannt, weg damit, Ready to go!
Eindrucksvoll beschreibt Steinbeck, was alles verlorengeht mit der Landbearbeitung durch den Traktor – statt mit dem Pferd, Entfremdung und Verachtung statt Liebe und Leben.
Es ist eine bunte Truppe, die sich auf den 2000 Meilen weiten Weg nach Westen macht: Der Opa, der schon Schwierigkeiten hat, sich den Hosenstall zuzuknöpfen, die 12 bzw. 10 Jahre alten Kinder, die schwangere Rose, Uncle Joe, enthaltsam, außer wenn er einen Rappel kriegt.
Steinbeck lässt auf ihrem Weg viele Bilder im Kopf des Lesers entstehen, auch von dem neuen »Zuhause« auf dem überladenenen LKW, von der Großfamilie, die ins Nomadendasein gezwungen wurden. Ihre Barschaft beträgt noch 145 $, aber sie müssen noch Reifen kaufen. Opa mussten sie besoffen machen, er wollte nicht mit.Nun träumt er meistens.Auf der ganzen Reiese entlang der Route 66, S. 107: »Is the mother, the route of flight.«
It’s a free country? Von wegen, die Polizei bewacht die Grenze nach Kalifornien und lässt Dich nur rein, wenn Du genügend Geld hast, ein Grundstück zu kaufen. Und wenn Du einen Führerschein hast, und, und…
Wenn Du dort einen Reifen klaust, ist das Diebstahl. Aber wenn Dir einer die Dollars abluchst für einen miserablen Reifen, dann nennt sich das ein solides Geschäft.
Das Schicksal der Nomaden verbessert sich durch einen Zusammenschluss mit einer weiteren Familie, sonst wären sie gar nicht über die Berge gekommen, In einer Raststätte erfahren sie Solidarität, Brot für 10 Cent und Candy für die Kinder, die Truckdriver spenden Trinkgeld.
In einem der (vielen Nomadencamps) entlang der Route 66 treffen sie einen, der schon in Kalifornien war und sie aufklärt. Die Flyer, die für Erntejobs in Kalifornien werben, sind von einem Arbeitsvermittler, je mehr Leute er wirbt, desto weniger zahlt er. Der Mann, dem dort Frau und Kinder verhungert sind, gibt den Rat: Frag vorher, wieviel sie Dir zahlen.
Die Migranten werden in ihren Camps abseits der Straßen zu einer sozialen Gemeinschaft mit Regeln, mit klarer Aufgabenverteilung. Man hilft sich gegenseitig und singt abends zur Guitarre gemeinsame Lieder. Es gibt die nächste Warnung: Es gibt kein Land zum pflanzen, alles gehört jmd., alle sind verängstigt und misstrauisch. Die Migranten werden mit dem Schimpfwort »Okie« (nach der Herkunft aus Oklahoma) abgestempelt. Und sie werden gewarnt: Du musst jeden Tag um Arbeit betteln.
Die Gruppe schrumpft, die Oma stirbt vor Strapazen, 2 der Jungen schla-gen sich beseite, Toms Mutter hat Sorge, dass sich die Familie auflöst. Rosas und Connies Traum droht zu zerbrechen, im Lager soll das Kind nicht zur Welt kommen.
Der Cop vertreibt sie von einer Lagerstätte, ihm ist ihr Elend völlig egal. Inmitten des sich steigernden Elends kann Steinbeck aber auch faszinierend eine kurze Geschichte Kaliforniens erzählen, sein Erzählertalent zeigt sich in unterschiedlichster Form. Against all odds schaffen sie die Wüstendurchfahrt, erreichen Kalifornien, dort ist niemand begeistert, »they had hoped to find home and only found hatred«.
250.000 bis 300.000 Menschen strömen zur Arbeitssuche nach Kalifornien, leben in Camps aus Zelten und Pappkartons, Schrotthütten und neben jedem steht irgendein Auto – moderne Nomaden. Und sie haben nicht einmal das Geld und der gestorbenen Grandma eine anständige Bestattung zu geben. Viel zu viele die Arbeit suchen, niedrige Löhnde, 15 Cent/Std. Und die vielen Werbezettel Arbeit lockend? 3000 Leute für eine Woche Pfirsich pflücken, dann werdet ihr weggejagt, damit ihr Euch nicht organisiert. Ihr könnt 1½ Dollar pro Tag verdienen, müsst aber erst Sprit kaufen, um dorthin fahren zu können.
Im Kamp gibt es die nächsten Warnungen: Wer aufrührerische Reden führt, landet im Knast. Gegenüber den Cops immer schön harmlos tun. An die schwarzen Listen denken, und: Kindert sind schnell erhungert.
Schon gibt es Stress mit einem Kontraktor, der den wahren Lohn nicht nennen will, entweder ihr nehmt meinen Lohn, oder ihr werdet hier vertrieben, die Staatsmacht auf seiten der Besitzenden. Die Joads müssen fliehen, es ist klar, das Lager wird abgefackelt.
In Kalifornien vergrößert sich der Migrantenstrom noch durch dortige Kleinbauern, von großen Landbesitzern durch hinterlistige Methoden enteignet. Aber schreibt Steinbeck, S. 265: »The great companies did not know that the line between hunger and anger is a thin line… And the anger began to ferment.«
Noch vorhandene gutmütige Farmer werden von der Bank erpresst: 25 Cent Stundenlohn? Zu hoch! Und wie hoch sollte noch ihr Kredit für die nächste Ernte sein?
Im gut geführten staatlichen Camp (Bundeshoheit !) soll ein Streit provoziert werden, um der kalifornischen Polizei einen Grund zum Eingreifen zu geben, aufgrund einer Warnung können die Joads und ihre Mitmigranten das verhindern. Steinbeck geht gründlich auf das kranke System der Obstbauern ein, die Preise sind so niedrig, dass Pflücken nicht lohnt, so stirbt ein kleiner Obstbauer nach dem anderen. Und die Großen?
Die überschütten Orangen mit Petroleum, verbrennen sie und werfen Kartoffeln in den Fluss – damit die Preise steigen. Dem mussten Migranten mit hungrigen Kindern ohnmächtig zu sehen, Kartoffeln heraus fischen verboten! S.327: »In the souls of the people the grapes of wrath are filling and growing heavy, growing heavy for vintage«.
Das ist jedoch ein eher unbefriedigender Zug des Romans, der das Elend der Migranten bis zu ihrem elenden Tod steigert, ebenso wie ihren Zorn auf ein solches System. Eine Lösung bietet er aber bis zum Schluss des Buchs nicht. Selbst der naheliegende Rat, sich zu organisieren, der Rat den der Sänger Woody Guthrie auf allen seinen Konzerten gab – er reiste von Camp zu Camp – den mag oder will Steinbeck nicht so recht geben trotz der Andeutungen am Ende. Das Buch steigert sich zum Crescendo, Streiks, Provokationen, ein Mord, Tom (unter Bewährung) muss fliehen. Es wird kalt, Regen, Überschwemmungen, der Winter vor der Tür, Roses Baby ist tot, der halb erfrorene, halb verhungerte, fast ertrunkene Rest der Familie kommt in eine Scheune. Sie treffen einen verhungernden Vater mit seinem schmachtendem Jungen – dem gibt Rosa die Brust. Eine unsäglich rührende Geste in einem Crescendo des Elends, eine Geste der Menschlichkeit mitten im unermesslichen Unglück.
Fazit: Was für ein großer Erzähler John Steinbeck ist, was für eine Geschichte breitet er aus. Eine Geschichte einer ökologischen Katastrophe, von Vertreibung, Elend, menschlicher Not und Rücksichtslosigkeit, Geschäfte mit Not Hunger und Armut. It’s a free country – nur wenn man Geld hat, über die anderen spricht man nicht. John Steinbeck hat es getan, ausführlich getan, und trägt so zu eine Geschichte, der »nicht-offiziellen« USA bei. Auch wenn der Erzähler scheinbar unschlüssig bleibt, Revolution oder nicht, letztlich inkonsequent ohne Lösung für das Elend dasteht, keine Antwort für die eigenen Fragen hat und die Geschichte wahrhaft schrecklich endet (ganz anders als der Film):
Eine ganz große Erzählung, Literatur der Superklasse, fesselnd, bannend:
Weltliteratur
2019 rezensiert, Dust Bowl, John Steinbeck, Kapitalismus Kritik, Landmark/Book Club Associates, USA, Wanderarbeiter, Woody Guthrie, Ökologie