Mona Høvring
» Weil Venus bei meiner Geburt ein Alpenveilchen streifte
Autor: | Mona Høvring (Norwegen, 2019) |
Titel: | Weil Venus bei meiner Geburt ein Alpenveilchen streifte |
Ausgabe: | edition fünf, 2019 |
Übersetzung: | Ebba Drolshagen |
Erstanden: | Aus dem Pankebuch Berlin |
Die Lesefreude fängt bei diesem Hand- und Augenschmeichler schon bei der Kupferprägung des Titels (hier kaum reproduzierbar) an. Und setzt sich mit der Gestaltung (Kathleen Bernsdorf) fort, der man für die ungewöhnliche und ansprechende Typografie (Brottype FF Tisa) danken muss. Und schließlich die kompetente Übersetzung der lyrischen Sprache Mona Høvrings durch Ebba Drolshagen incl. des treffenden Transfer des Titels. Und sogar einem Nachweis der im Roman verwendeten Literaturzitate. So viel Schönes in einem kleinen Band verdient auch einen Prolog.
Im Roman geht es um die Schwestern Martha und Ella, einst in einer engeren Beziehung (wie Zwillinge lebend) zueinander als zu den Eltern, um ihren nach Jahren (und einem Zusammenbruch Marthas) erfolgten schweren Abschied. Aus dem schließlich – im Umkreis der Charaktere wie Ruth, Dani, der Heilsarmistin – und der Lektüre der »Verwirrung der Gefühle« von Stefan Zweig die Indentitätsfindung der Protagonistin, der jüngeren Schwester Ella, steht. Dies verknappt resümiert, könnte ich den Rest der Rezension mit Zitaten der Sprachwunder der M. Høvring füllen, die so faszinierend typisch für eine Welle norwegische Autor/innen ist: Hanne Ørstavik, Herbjørg Wassmo, Axel Sandemose, Tarjei Veesas, Espen Haavardsholm, Ketil Børnstad, Line Madsen Simenstad und Sigrid Undset wären zu nennen.
Hier beginnt es bei einer blumigen, weichen Beschreibung der Mutter der Schwestern, einer zauberhaft angehauchten Atmosphäre in der Berghotelsuite (Rückzugs- und Abschiedsstätte der Schwester und Sätzen wie (S. 33): »Sie sah nicht wie ein Engel aus, sondern wie eine von Draculas verlorenen Bräuten, um sie hing gleichsam eine Aura von Hunger.« – Und einen Chapeau an die Übersetzerin bei dieser Gelegenheit.
Das gilt gleichermaßen für die Autorin, bei den Bäumen des Winterwalds, S. 37: »Sie ließen die Wintersonne in sich hineinfließen. durch alles hindurch, was sie waren, gaben sich großzügig dem Licht hin..« Und Ellas Träume, in Abwägung zur Schwester, ,S. 38, »Ich ließ solchen Phantasien gern freien Lauf. Erlaubte ihnen, sich bei mir einzunisten. Dann blieb ich bei Verstand.«
Ella, deren hyperimpressiven Gedanken ich beim Lesen so gut nachvollziehen konnte, selbst mitten auf dem Friedhof ihre »Kindertraumphantasien« von einer »Heidi-Existenz«. Ihre Impressionen auf der mütterlich gesponsorten Erholungs- und Abschiedsreise mit ihrer (einst) psychisch kranken Schwester. Und blendet immer wieder zurück ins einstige »Zwillingsleben« mit der Schwester, reflektiert ihr Verhältnis: » Ich wünschte, ich wäre stärker, ich vergaß, das manche Menschen lebten, als wären sie in einem Traum.« (S.53).
Ich könnte gleich den Rest der Seite zitieren, greife nur heraus: ».. die angespannte rasende Zärtlichkeit, die ich für meine Schwester empfand.«
Entscheidend ermöglicht Ella die Loslösung von der Schwester, benötigt für ihre Findung der eigenen Identität, die Lektüre von Stefans Zweig »Verwirrung der Gefühle« – bitte selber dort nachsehen, lieber Rezensionsleser (oder im Nachwort »schmuen«); was für eine Hommage an einen von mir hochgeschätzten Autor.
Die Høvring aber sprachwundert weiter, »Ich mochte die offenherzige Art der Schneeflocken, sich über die Landschaft zu legen.« (S.75). Und gibt der Ella Träume, mit einer Gefühlswelt schwerer Intensität und Sätzen, hinter denen sich ganze Geschichten verbergen. Und zaubert so erotisch schöne Szenen wie die zwischen Dani und Ella, »… war es so leicht, so leicht, verzaubert zu sein.«
Mit welch leichter Hand die Autorin Geschichten erzählt und mit welcher Tiefe sie dabei spricht. Wenn sie zeigt, wie Ella die Schwester Martha nahezu unendlich vermisst, die Nähe zu ihr, die mit der Jugend, dem Ende der Kindheit verloren ging. Aber auch unter ihr litt, »Wochenlang hatte sie sich aufgeführt, als habe sie das Copyright auf Zusammenbrüche.« (S.100).
Ein abgebrochenes Fest, Marthas abrupte Abreise, Ellas Rückzug, die Abweisung Danis, eine wilde Tour im Tiefschnee, Stolz, die gerade noch überlebt zu haben, langsame Lösung auch von Ruth (der Hotel-Rezeptionistin), von der Wärme, alles gehört zum Abschieds- und Findungsprozess der Ella, zu dem es im Buch abschließend heißt: »Und wenn ich jetzt nach vielen Jahren, an diese Stunde zurückdenke, jetzt wo ich mich an diese Zeit mit Martha zu erinnern vermag, denke ich sie mir vor allem als eine Zeit, in der unser Verhalten ganz von Eitelkeit geprägt war und von Verwirrung.« (S.126).
Während Martha sich nicht entwickelt, in ihrer alten Welt verbleibt, gelingt es Ella, dabei ohne Martha wie »halbiert«, sich aus der Abhängigkeit von ihr zu befreien, mit Hilfe von Ruth, Dani und – der Literatur, S. Zweigs Roman, der ja schon fast Ellas Welt beschreibt.
Und schließlich ihre, Ellas, Identität zu finden.
Das ist in der Ich-Form, direkter Rede, personalisiert, lyrisch erzählt, in deren Feinheiten man sich hineinlesen muss und unbedingt sollte.
Für mich war dieses Buch, nach einer anfangs zu überwindenden Sperre, ein Werk großer Sprachkunst, der Nachdenklichkeit, ein intensiver Frauenroman, Roman eines langen Abschieds, einer Befreiung und einer Identitätsfindung – und das mit Hilfe der Literatur, sehr bemerkenswert.
Am Ende habe ich mich gefragt, muss man eine Frau sein, um das »Alpenveilchen« voll zu verstehen, nachzuempfinden? Vielleicht nicht, aber es kann helfen. Wie sich im ausgezeichneten Nachwort von Nicole Seifert zeigt, das mir sehr viel für das Verständnis gebracht hat. Sie hat einen besonders lesenswerten Literaturblog, Frauenliteratur gewidmet unter: https://nachtundtag.blog/