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Antje Voll­mer / Hans-Eckardt Wen­zel
» Kon­rad Wolf – chro­nist im jahr­hun­dert der extreme

Autor:Antje Voll­mer / Hans-Eckardt Wen­zel (Nor­we­gen, 2019)
Titel:Kon­rad Wolf – chro­nist im jahr­hun­dert der extreme
Aus­gabe:Die Andere Biblio­thek, Deutsch­land, 2019
Erstan­den:Im Shop der Tages­zei­tung »nd Der Tag«
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© Die Andere Biblio­thek / pic­ture alliance

Der DDR-Regis­seur Kon­rad Wolf, genannt »Koni«, ist für mich eine Ikone der Film­kunst, ich habe bei »Solo Sunny« in einem Ber­li­ner Kino gefie­bert und gelacht, war betrof­fen bei sei­nem »Nack­ten Mann auf dem Sport­platz« und auf­ge­wühlt beim (bio­gra­fi­schen) Epos »Ich war Neun­zehn«. Drei­ßig Jahre nach der Wende, nach Sie­ger­jus­tiz und per­ma­nen­ter DDR-Ver­ket­ze­rung habe ich kaum mit einem Buch gerech­net, dass einem der Brü­der Wolf (Kon­rads Bru­der war Chef des Aus­lands­ge­heim­diens­tes der DDR) gerecht wer­den würde, A.Vollmer und H.-E. Wen­zel haben die­ses Kunst­stück voll­bracht, dafür mei­nen herz­li­chen Dank!

Erfreu­lich breit stel­len die Autoren K. Wolfs anti­fa­schis­ti­sche Fami­li­en­ge­schichte dar, wozu auch das gera­dezu unstete Leben des Vaters Fried­rich Wolf gehört. Im Rah­men des­sen gelingt den Autoren eine sehr schöne Skiz­zie­rung der Jugend­be­we­gung der Wei­ma­rer Zeit, deren Geist Men­schen wie Vater Wolf der Mas­sen­ver­füh­rung der Nazis wider­ste­hen läßt. Aber auch wie die Sowjet­union in den zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­ren vie­ler­orts als »Gelob­tes Land« gese­hen wird, dazu gehö­ren die Aus­züge aus Ste­fan Zweigs »Reise in die SU« (1928), aber auch Feucht­wan­gers Ver­ken­nung des Sta­li­nis­mus (Rei­se­be­richt 1937), was die Autoren ver­su­chen dif­fe­ren­ziert zu sehen.

Vater Wolf, erfolg­rei­cher Homöo­path, Armen­arzt auf der »rau­hen Alb«, beses­se­ner Stü­cke-Schrei­ber (Pro­fes­sor Mam­lock, Die Matro­sen von Cat­taro), glü­hen­der Nazi-Geg­ner, hatte mit wech­seln­den Lie­ben, inter­na­tio­na­ler Tätig­keit, Spa­nien-Krieg und dem erzwun­ge­nen (Mos­kauer) Exil wenig Zeit für die Fami­lie. Hier rät­seln die Autoren ein wenig, wie sich das auf Kon­rad aus­ge­wirkt hat, zum Wis­sen schei­nen sie nicht zu gelangen.

Zu die­sem eher zer­ris­se­nen frü­hen Leben der Fami­lie Wolf gehö­ren die Mos­kauer Schau­pro­zesse, Lager­le­ben in Frank­reich, doch über Kon­rad erfährt man (bis 1942) eher wenig. Wäh­rend er in Mos­kau die 9. Klasse been­det und in die Rote Armee ein­tritt, macht der Vater an der Front Pro­pa­ganda gegen die Nazi­ban­den und wird Mit­be­grün­der des »Natio­nal­ko­mi­tees Freies Deutsch­land«, NKFD, einem Bund anti­fa­schis­ti­scher Offi­ziere und Sol­da­ten der faschis­ti­schen Wehr­macht, gemein­sam mit deut­schen Emi­gran­ten in der UdSSR. Cha­peau den Autoren, wie sie in den Abschnit­ten das Andenken des NKFD und sei­nen Men­schen wie dem ehe­ma­li­gen Nazi­of­fi­zier, Hein­rich Graf von Ein­sie­del, hochhalten.

Kon­rad kämpft mit der Roten Armee, an der trans­kau­ka­si­schen Front, vor War­schau, wird Zeuge des Ver­nich­tungs­kriegs der faschis­ti­schen Wehr­macht, ver­fasst Flug­blät­ter, dol­metscht; führt ein Tage­buch bis zum 3.5.1945. Das ist unter dem Titel »Aber ich sah ja selbst, das war der Krieg« in 215 bei der edi­tion Möwe ver­öf­fent­licht, sehr ein­drucks­voll. Eine wich­tige Quelle in die­sem Buch zu die­sem Lebens­ab­schnitt sind die Autoren­ge­sprä­che mit der Film­le­gende, dem Dreh­buch­au­tor Wolf­gang Kohl­h­aase (Solo Sunny).

Ein­drucks­voll sind die Buch-Noti­zen zum Film »Ich war Neun­zehn«, nach der kur­zen Epi­sode, in der der Leut­nant der Roten Armee, Kon­rad Wolf, mit eben die­ser nach Deutsch­land zurück­kehrt, wie­der­wil­lig Kom­man­dant von Ber­nau wird. Es ist auch ein gefühl­vol­ler Film der den gan­zen Zwie­spalt eines deut­schen Anti­fa­schis­ten 1945 zeigt. Und ein Film, der von einer gan­zen Kriegs­ge­nera­tion pro­du­ziert wird, Dra­ma­turg wird G. Wolf, Mann von Christa Wolf.

Ein sehr emp­feh­lens­wer­ter Lite­ra­tur­tip zu die­sem Abschnitt von Wolfs Leben ist das Buch »Aber ich sah ja selbst, das war der Krieg«, Kriegs­ta­ge­buch und Briefe von Koni, 2015 beim Ver­lag »Die Möwe« erschie­nen und mit der DVD des Films versehen.

Die kalte Nachkriegsgeschichte

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Fami­lie Wolf (von links): Kon­rad, Mar­kus und Vater Friedrich.
© Die Andere Biblio­thek / Aus­stel­lung Der Dich­ter und das Zeitgewissen.
F. Wolf: Leben und Werk, Ber­lin 2008

Gro­ßes Autoren­lob, was über die zuneh­mend in den Kal­ten Krieg abglei­tende (deut­sche) Nach­kriegs­ge­schichte berich­tet wird, was K. Wolf mit­ge­prägt hat. Für Vater F. Wolf statt des gewünsch­ten Auf­bruchs »Nazio­ten über­all«, Kon­fron­ta­tion mit kal­ten Krie­gern auf dem 1. Deut­schen Schrift­stel­ler­kon­gress, ein anti­se­mi­ti­scher Sketch beim West­ber­li­ner Kaba­rett »Die Insu­la­ner«. Der Film »Rat der Göt­ter« (Assis­tenz K. Wolf), der die Rolle der Indus­trie beim Auf­stieg der Nazis beleuchtrt, darf im Wes­ten (zunächst) nicht gezeigt werden.

Die Regu­lie­rung der Kunst gibt es in Ost und West, vom Mar­shal Plan 12,4 Md US-$, gehen 5 % an die CIA. 1950 fin­det im West­ber­li­ner Tita­nia-Palast der »Kon­gress für die kul­tu­relle Frei­heit mit Arthur Koest­ler statt, ein Pro­dukt der CIA, wie sich erst 20 Jahre spä­ter her­aus­stellt. Ziel des Kon­gres­ses war die Beein­flus­sung von Kunst und Kul­tur im Sinne der USA. Im Bun­des­tag wird (Bren­tano) Brecht mit Horst Wes­sels (Zuhäl­ter und SA Mann) verglichen.

Bemer­kens­werte Autoren­ein­schät­zung, immer wenn die SU sich selbst kri­ti­siert (56: Chrust­schows Sta­li­nis­mu­sent­hül­lun­gen, spä­ter Gla­nost & Pere­stroika), dann gab es vom Wes­ten statt Ermu­ti­gung erneu­tes ver­ba­les Drein­schla­gen. Fazit von Vollmer/Wenzel: Ein drit­ter Weg zwi­schen Ost und West war real nie mög­lich! Kon­rad Wolf nun beschrei­ben sie immer auf der Suche nach Deutsch­land, nach etwas, was ihm in die­sem Land Hei­mat sein könnte, so viel wie er auf der Flucht, unter­wegs im Krieg war. Er arbei­tet im redak­tio­nel­len und Kul­tur­be­reich, wird 1946 Mit­be­grün­der der DEFA.

1952 wird er, bis dahin Bür­ger der UdSSR, Deut­scher, DDR-Bür­ger. Spä­ter SED-Mit­glied, prak­ti­ziert bei Kurz Maet­zig, stu­diert in Mos­kau an der Film­hoch­schule, wohnt am Arbat nahe einem Kino, Ein­druck der Filme wie »Tsch­pa­jew«. Die Jahre an der Hoch­schule von den Autoren hoch­ge­lobt, er trifft dort sei­nen lang­jäh­ri­gen Kame­ra­mann Wer­ner Berg­mans. Zwei sei­ner Diplom­ar­beits­vor­schläge wer­den von deut­scher Seite abge­lehnt. Sein ers­ter Film, ein Lust­spiel, Horst Drinda, Hil­mar Thate, Lotte Loebin­ger, einst Weh­ners Frau, Modell für eines von H. Vogel­ers schöns­ten Gemäl­den, Loebin­ger, die im Mos­kauer (Emigranten-)Hotel Lux die Trep­pen putzte.

1955 macht Koni sein Diplom, 1956 die Pre­miere von »Gene­sung« – Kon­rad Wolf hätte zu die­sem Zeit­punkt in der BRD nicht ein­mal Leh­rer wer­den kön­nen, resü­mie­ren die Autoren die Nach­kriegs­ent­wick­lung zweier deut­scher Staaten.

Schwer nun aus der Kette von Wolfs Fil­men aus­zu­wäh­len, 1957 »Lizzy«, nach F.C. Weis­kopf, ein Wed­din­ger Mädel, 1932-34, das sich dem Wider­stand anschließt, ihr Freund bei den Nazis.

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Mos­kau, Arbat Platz, in der Mitte das Kino, das K. Wolf besuchte
© Die Andere Biblio­thek / Pri­vat­ar­chiv Andrea Wolf

»Sterne« erfolg­reich, »Flü­gel« nicht, groß dage­gen »Pro­fes­sor Mam­lock«, Ärzte, Bür­ger, Men­schen zu Beginn der Nazi­dik­ta­tur, nach dem Stück sei­nes Vaters Fried­rich Wolf.

1965 her­aus­ra­gend wie die Buch­vor­lage (Christa Wolf): »Der geteilte Him­mel«, gedreht in Schwarz-Weiß, Dra­ma­tur­gie von den Wolfs. Ein Film der Tei­lung, ein von der Büro­kra­tie ent­täusch­ter geht in den Wes­ten, die Frau aber eman­zi­piert sich und bleibt im (für Wolf) »bes­se­ren Deutsch­land«. Der Wes­ten wird dabei weder dämo­ni­siert, noch denun­ziert, auch ein Film der Generationskonflikte

»Son­nen­su­cher«, ein gro­ßer Film, mit Kri­tik am Uran­berg­bau der Wis­mut, fin­det 1959 kei­nen offi­zi­el­len Bei­fall, nicht in der DDR, nicht in der SU, »Koni«, wie er genannt wird, ver­zwei­felt. Zu spät die Auf­füh­rung, erst 1972, da sogar erst im DDR TV (wo ich ihn sah), dann in den Kinos der DDR.

Film­spra­che und Frauenbilder

Konis Filme zei­gen eine moderne Film­spra­che, geschult am rus­si­schen und ita­lie­ni­schen Neo­rea­lis­mus. Eine Liste der Dar­stel­ler von Wolfs Fil­men liest sich wie ein Lexi­kon der DDR-Schau­spie­ler Gilde. Seine Filme zei­gen dabei einen völ­lig ande­ren Frau­en­typ als im west­li­chen Deutsch­land, man denke an »Sissi«, »Zur Sache Schätz­chen« und »Schul­mäd­chen­re­port«!

Dabei spie­len die Frauen im Leben des Sohns Wolf eine ganz ándere Rolle als beim Vater, Koni hat »nur die eine« gesucht, es wird ihm (2 Ehen) nur begrenzt gelin­gen, seine 2. Frau, die Schau­spie­le­rin Chris­tel Boden­stein, trotz Kind, den Star-Regis­seur, ZK-Mit­glied. Präs. der Aka­de­mie der Künste zuguns­ten eines ande­ren Schau­spie­lers – wäh­rend der Arbei­ten an Solo Sunny – ver­läßt. Für Koni eine Kata­stro­phe, die Ver­zweif­lung hin­ter­läßt. Angel Wagen­stein: »Der ein­zige Mensch, der wirk­lich am gebro­che­nen Her­zen gestor­ben ist, war Kon­rad Wolf, der die Tren­nung von Chris­tel Boden­stein nicht ver­wun­den hat.«

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Kon­rad Wolf im Gespräch mit Christa und Gerd Wolf 
© Die Andere Biblio­thek / Pri­vat­ar­chiv Andrea Wolf

Aus dem ers­ten Film mit dem Bul­ga­ren Angel Wagen­stein, »Steine«, 1947, über den Abtrans­port von Juden in Ver­nich­tungs­la­ger und eine Liebe in die­ser Zeit, ent­wi­ckeln die Autoren Ent­de­ckens­wer­tes über Konis Weg­ge­fähr­ten und Regie­part­ner in 3 Fil­men: »Steine, »Der kleine Prinz« und »Goya«, nach dem Spät­werk Lion Feucht­wan­gers. Nach die­sem Film wer­den Wolf und Wagen­stein tiefe Freunde, wie klug die Autoren sind, mit die­sem Freund Teile des Buchs zu erar­bei­ten. Der Freund, der spä­ter die schö­nen Worte für den Nach­ruf auf Koni findet

Wagen­stein war Par­ti­san im Krieg, aber »Steine« bekom­men keine Auf­füh­rung in Bul­ga­rien, Can­nes (als deut­scher Bei­trag) geht nicht wegen der »Hall­stein-Dok­trin« (Allein­ver­tre­tungs-Anspruch der BRD), in der SU wurde zen­siert, in Israel ver­bo­ten, bedrängte Nach­kriegs­kunst. Einen Nazi-Uffz (der einem Par­ti­san eine Pis­tole gibt) spielt in »Steine« Jür­gen Froh­riep, spä­ter Mil­lio­nen aus dem Poli­zei­ruf 110 bekannt.

Kahl­schlag­ple­num und Biermann

In eínen inter­es­san­ten Zusam­men­hang stel­len die Autoren das berüch­tigte XI. Ple­num (des ZK der SED), das ver­suchte einer offe­nen Kul­tur­po­li­tik ein Ende zu set­zen. Par­al­lel schil­dern sie das Ende einer ver­such­ten Wirt­schafts­re­form mit dem Selbst­mord eines Refor­mers, dem Lei­ter der Plan­ko­mis­sion Apel. Koni wird, so die Autoren, nun in sei­nen hohen Funk­tio­nen (Prä­si­dent der Aka­de­mie der Künste) nach Bier­mann bedräng­ten DDR-Künst­lern Schutz und Hilfe gewährt, manch Kri­ti­sches durch­set­zen kann. Sie loben seine hell­sich­tige Rolle in der Bier­mann-Exi­lie­rung. Und: Wer nach 1976 als Künst­ler in der DDR blieb, galt als ver­däch­tig, die schlimmste Folge der Zwangs­exi­lie­rung des Politbarden.

Bier­manns spä­tere öffent­li­che Beschimp­fung der Links­par­tei im Bun­des­tag und seine Unter­stüt­zung für den Irak-Krieg der USA sind späte Bestä­ti­gun­gen für Wolfs Vorausschau.

Seine letzte Film­idee, die Geschichte sei­ner »Troika«, eines in Mos­kau mit ihm ent­stan­de­nen und Zeit­ge­schichte wider­spie­geln­des Freun­des-Trios kann als Film des tod­kran­ken Konis nicht mehr ent­ste­hen. Sein Bru­ders, des bis 1986 Aus­lands­ge­heim­dienst-Chefs der DDR, Mar­kus Wolf, über­nimmt des Bru­ders Pläne, in einer schwar­zen Mappe. Und setzt den Plan sei­nes Bru­ders beein­dru­ckend in das Buch »Die Troika« um, 1989 bei Auf­bau erschie­nen. Umset­zen muß er den Troika-Plan alleine, ohne den Rat von Vater und Bru­der, wie Mar­kus Wolf dort im Vor­wort schreibt: »Nun hat Koni mich mit der schwar­zen Mappe allein gelassen.«

Mal so, mal so

Tref­fend die Autoren­sicht einer alter­na­ti­ven Geschichts­dar­stel­lung (S.369f): Spa­nien, Chile, die CSSR 68 – die Über­le­gung, was wäre wenn? Ebenso das sehr gute Kapi­tel um Konis Bru­der Mar­kus, der aus guten Grün­den sei­nen Geheim­dienst-Vor­sitz schon 1986 nie­der­legt. Ein­drucks­voll, über die Bedeu­tung und die Kraft, die Musik und Lie­der auf K. Wolf austrahl­ten, so das (russ.) Volks­lied »Schwar­zer Rabe« aus dem Film »Tscha­pa­jew«. In sie­ben von den fünf­zehn Fil­men Kon­rad Wolfs sind Künst­ler wich­ti­ges Sujet. Fehl­ur­teile gera­ten den Autoren bei den Fil­men wie »Solo Sunny« (irre gute Musik von Gün­ther Fischer), sie über­se­hen, dass Sunny sich am Ende durchsetzt.

Auch ihre Rezen­sion des »Nack­ten Manns auf dem Sport­platz«, mit dem unver­ges­se­nen Kurt Böwe, ver­fehlt das eigent­li­che Thema, die Rezep­tion der Kunst im Volk. Und, frage ich mich, ob sie den letz­ten Film Konis, »Busch singt«, über den »Bar­ri­ka­den-Tau­ber«, den trotz Nazi-Haft unge­bro­che­nen roten Sän­ger, Ernst Busch, wirk­lich ver­stan­den haben? Den­noch, der Gesamt-Güte des Buchs tut es wenig Abbruch.

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Kon­rad Wolf – immer zwi­schen Kunst und Politik 
© Die Andere Biblio­thek / Pri­vat­ar­chiv Andrea Wolf

Wider­sprüch­li­ches auch an ande­rer Stelle: Oft schei­nen die Autoren die Figu­ren und ihre Glaub­wür­dig­keit daran zu mes­sen, wie stark sie in Oppo­si­tion zur DDR stan­den. Bestechend dage­gen die klu­gen Worte von Konis Bru­der Mar­kus, dem sie gebüh­rend Platz geben, der des Bru­ders poli­ti­schen Zwie­spalt trifft (S. 430): »Meine Erkennt­nis besagte auf­grund der Erfah­run­gen der Nach­kriegs­zeit, daß unter den als Fol­gen des Hit­ler­krie­ges und des Kal­ten Krie­ges gege­be­nen Bedin­gun­gen ohne Ver­än­de­run­gen in Mos­kau jeder Ver­such, Sozia­lis­mus mit Demo­kra­tie zu ver­bin­den, zum Schei­tern ver­ur­teilt ist.«

Fast am Ende sei­nes Lebens, so berich­ten die Autoren über einen Kon­gress 1981 zur Frie­dens­för­de­rung, ini­tiert von Ste­phan Herm­lin, orga­ni­siert von der Aka­de­mie der Künste, Prä­si­dent Kon­rad Wolf. Der spricht, schon vom Krebs schwer gezeich­net, nach einer Kon­tro­verse mit Gün­ther Grass (S. 432): »Gün­ther Grass hat die für mich fun­da­men­talste Frage hier offen gestellt: Wer bedroht wen?« – Und ant­wor­tet nach­drück­lich mit Jew­geni Jew­tu­schenko, sel­ber in jun­gen Jah­ren im Krieg, der Russ­land mehr als 25 Mil­lio­nen Men­schen gekos­tet hat: »Meinst du, die Rus­sen wol­len Krieg?«

Wie ein nach­ru­fen­des Ver­mächt­nis wir­ken Aus­züge aus dem Gespräch mit Angel Wagen­stein, enger Freund und Weg­be­glei­ter Kon­rad Wolfs, (S. 449): »Ich glaube, dass der Sozia­lis­mus ein Pro­jekt ist, ein mensch­li­ches Pro­jekt, das fun­da­men­talste Pro­jekt der Welt­zi­vi­li­sa­tion nach dem Chris­ten­tum. Außer dem Chris­ten­tu­mund dem Sozia­lis­mus gibt es keine wei­tere sol­che Utopie.«

Resu­mée

Tra­gend für die­ses aus­ge­zeich­nete Werk ist die Ent­schei­dung der Autoren fast 20 % des Tex­tes Kon­rads Vater, dem Anti­fa­schis­ten, Natur­arzt und Autor Fried­rich Wolf zu wid­men, erst das macht den Sohn und des­sen Schaf­fen ver­ständ­lich. Voll­mer u. Wen­zel haben nicht ein­fach eine Bio­gra­fie, son­dern eine Betrach­tung aus der Nähe erschaf­fen. Dazu hal­fen wesent­lich die Zeug­nisse von Weg­ge­fähr­ten wie Andrea Wolf (Schwä­ge­rin), Angel Wagen­stein (bul­ga­ri­scher Fil­me­ma­cher) und Wolf­gang Kohl­h­aase (Dreh­buch­au­tor). Glück­lich die Buch­syn­these zweier durch­aus unter­schied­li­cher Autoren-Sich­ten. Ihnen ist eine gelun­gene Fak­ten­samm­lung in Kom­bi­na­tion mit einer inter­es­san­ten Sicht gelun­gen, sie zei­gen kein Wirt­schafts­wun­der­land, kein »Wir-sind-wie­der-wer«, son­dern ein Nach­kriegs­land der Anti­fa­schis­ten, die den Schwur von Buchen­wald ernst und als Ver­pflich­tung nah­men. Schon von daher ein beson­de­res Buch!

Das Buch (limi­tiert auf 4.444 Stück) besticht über den Inhalt hin­aus viel­fach: Fil­mo­gra­fie, bio­gra­fi­sche Daten und Lite­ra­tur­liste. Neben reich­lich gut repro­du­zier­ten Bild­zeug­nis­sen gefällt die sorg­fäl­tige Auf­ma­chung, dem Papier, Typo­gra­fie, Lay­out, die ganze Gestal­tung (durch Vic­tor Balko, http://​vic​tor​balko​.com) und die Aus­stat­tung zei­gen, was Bücher­her­stel­lung schön macht, Cha­peau an »Die Andere Bibliothek«.

Bemer­kens­wer­tes und Schö­nes über den Fil­me­ma­cher Kon­rad Wolf

2019 rezensiert, Antje Vollmer, DDR, Die andere Bibliothek, Historisch, Kunst