Virginia Woolf
» To the lighthouse
Autor: | Virginia Woolf (UK, 1927) |
Titel: | To the lighthouse |
Ausgabe: | Penguin Books 1992/2000 |
Erstanden: | Aus dem Studium meiner Tochter |
Nach »Mrs. Dalloway« (Mai 2018) war dies mein zweiter Roman der wichtigen britischen Autorin, ebenfalls im Bewusstseinsstrom geschrieben. Gut, dass dieser Ausgabe des komplexen Buchs ein 30-seitiges Vorwort der britischen Expertin Hermione Lee vorgeschaltet ist.
Geht es in »Mrs. Dalloway« nur um deren Fest und die Vorbereitungen dazu, dreht sich hier alles um eine geplante Bootstour zu einem Leuchtturm auf einer Insel auf den äußeren Hebriden, widergespiegelt in den unterschiedlichsten Erwartungen der postviktorianischen Familie Ramsay und deren acht, teils erwachsenen Kindern.
Äußerlich ist es eine Idylle, Familie Ramsay, 8 Kinder, Freunde, ein geplanter Ausflug vom Sommerhaus zum Leuchtturm, viele Besucher (Lily, Mr. Bankes, Mr. Tansley, das Schweizer Dienstmädchen), die zur Familienperipherie gehören, dabei die malende Lily, verliebt in Mrs. Ramsay – aber V. Woolf zeigt einen geradezu sezierenden Blick unter diese Oberfläche. Inneres und Äußeres laufen oft parallel, sprunghaft wechselnde Erzählebenen steigern Lese-Spannung bis zur Verwirrung.
Sätze über 17 Zeilen im Bewusstseinsstrom fordern den Leser. Aber auch Sätze mit tiefem Hintergrund, blitzschnell von der sichtbaren Erscheinung zum unsichtbaren Inneren wechselnd. Diese Erzählweise, das Vorherrschen der inneren Welten erzeugen mitunter eine »schwebende« unwirkliche Atmosphäre. Weil immer wieder das Innere der Personen wieder gegeben wird, werden diese wie durchsichtig und sehr häufig geht es um die Beziehungen der Personen untereinander.
Unglaublich oft bringt die Woolf sprachgeschickte, wahnsinnig schöne Bilder, extrem expressionistisch, aber ohne darin stecken zu bleiben, p.17: »…stopping, growing greyereyed, that her husband loved.«
Und, p. 25, ».. distant views seem to outlast a million years (Lily thought) the gazer and to be communing already with a sky which beholds an earth entirely at rest.«
Die Bilder, die die Protagonisten mit ihrem inneren Auge sehen, sehend in Erinnerungen versinkend, schaffen zusätzliche Schauplätze der Erzählung. V. Woolfs Gestalten leben stets dual, die äußere Welt dient nur als Anlass die innere Welt auszubreiten, auszuleben. Dabei wird die Wahrnehmung der Natur mit der inneren Welt so verknüpft, das vieles eher magisch als real wirkt. Das gilt z.B. für die Seiten in herrlichen, bildhaften Eindrücke vom »nächtlichen Treiben« des Windes und der Lichter im Haus der schlafenden Familie. Die Nacht, die ein Abdruck des Lebens ist, ein notwendiger Bestandteil, nur eine andere Seite des Lebens, ein wenig geheimnisvoll gesehen, so wie die Kinder es empfinden.Besonders stark sind diese Eindrücke im mittleren Abschnitt »Times passes«, aber auch immer dann, wenn Mrs. Ramsay in der schrecklichen Angst vor dem Verlust ihrer schnell wachsenden Kinder lebt.
Mr. Ramsay sieht sich in seinen Phantasien gleich mehrfach, mal als »charge of the light brigade« (Tennyson), mal als R.F.Scott auf dem Weg zum Südpol oder als reitenden Landmann seines Counties. Anspielungen, Zitate aus der Literaturwelt wie Tennyson und vor allem immer wieder Shakespeare (der auch den grundverschiedenen Autor Sir Walter Scott nicht loslässt), gehören zur Prägung des Buchs. Ebenso, wenn sich für Mrs. Ramsay die Geschichte vom »Fischer und seiner Frau« so anfühlt, wie ein Bass, der eine Melodie begleitet.
Phantasien und Vorfreuden von Mutter und »Nesthäkchen-Sohn«, oft brutal zerstört vom Vater, der seinerseits ohne Anerkennung seiner Frau nicht leben kann. James ist ein extrem sensitives Kind, Rasenmäher, Pappeln im Wind sind so lebhaft in ihm, dass er dafür eine eigene Sprache findet. Was er träumt, was seine Mutter im gleichen Moment träumt, bekommt schnell Vorrang, nur angestoßen von der äußeren Welt. Die anderen Kinder ziehen sich oft in die Privatheit ihrer Schlafräume zurück, die einzige Privatheit, die ihnen verbleibt.
Etwas Privates bleibt aber in Mrs. Ramsay, dass sie weder mit ihrem Mann, noch mit ihren Kindern teilt. Die Strahlen des Leuchtturms sind oft Auslöser der Fantasiewelt der Mrs. Ramsay, einer Welt in ihrem tiefsten Inneren. Deren Privatheit weder sie noch die anderen offenbaren wollen.
Die Mutter, sehr oft in Selbstreflektion gesteht sich ein, dass es ihr weniger darum geht, anderen zu helfen, als vielmehr als große Gönnerin dazustehen. Viele andere Figuren (Lilly, Mr. Banks, Mr. Carmichael, the swiss maid), besonders die Beziehung der Eheleute Ramsay (völlig verschiedene Sichtweisen, verschiedene innere Lebenswelten) wären einer näheren Betrachtung wert, bereichern das Figurenpanoptikum gründlich. Kennzeichnend wenn Lily meint, p. 101: »She would never know him. Human relations were all like that, she thought and the worst.. were between men and women.« – der Mangel an echter Beziehung untereinander.
So oft geht es in der Erzählung um die Art des Schauens, des Betrachtens, in der Figur der malenden Lily, bei deren Versuchen, den Eindruck von Dingen malend aufs Bild zu übertragen, nähert sich die Woolf dem epochalen »The vivisectionist« (1972) des Australiers Patrick White. Besonders gelungen in der Szene (p.214/25), in der Lily und Mr. Banks die Bucht und das Meer sehen. Oder (p.170/71) der Beginn einer Malerei von Lilly, ihre Unentschlossenheit, ihre Emotionen, die sie auf die Leinwand überträgt.
Im (zweiten) Buchabschnitt, »Times passes«, wird im Zeitraffer das Schicksal der Familie, der Freunde des Hauses in den folgenden zehn Jahren zusammengefasst und nun erhält der erste Teil, »The window«, ein völlig anderes Gewicht: Ein Fandango des Abschieds!
Bedrückend der Verfall des menschenleeren Ferienhauses, nur der Strahl des Leuchtturms wandert wie eh und je durch die Räume. Dabei wird schon die Atmosphäre rings um das Haus herum einzigartig beschrieben.
Im letzten Teil, »The lighthouse«, 10 Jahre später, mit mannigfachsten und unterschiedlichsten Reflektionen der Beteiligten, auch auf die schließlich stattgefundene Fahrt zum Leuchtturm, gibt es wieder die vielfältigsten Erinnerungen und Betrachtungsweisen der Beteiligten; p. 194, »The world seemed to have resolved into a pool of thoughts.« Das gilt auch für den Rückblick der Ramsay Kinder auf ihren Vater: Blindheit, Tyrannei und Unterdrückung.
Es offenbart sich das Innere der Menschen, es gibt zauberhaft schöne Bilder – aber wird wirklich ein Teil der Geschichte hier erzählt, und welcher Teil ist es dann, es blieb mir ein Rätsel.
Für mich hatte der Leuchtturm eine sehr schöne Sprache, zeichnete märchenhafte Bilder; ein besonderes Glück dies in der Originalsprache lesen zu können. Eine Erzählung aus Szenen, die um Figuren zentriert sind. Autobiografische Einflüsse der Woolf, Kindheit, Vater und unendliche Trauer um die Mutter. Der Roman gibt – noch extremer als Mrs. Dalloway – die inneren Eindrücke, die Betrachtungsweisen der Protagonisten wieder. »To the lighthouse« mit seiner vollen Konzentration auf das Innenleben, nicht das Äußere der Protagonisten sagt die Woolf der Literatur unmißverständlich: Dies ist 20. Jahrhundert!
Er ist außerordentlich vielschichtig, unmöglich dies in einer Rezension von 1-2 Seiten wieder zu geben. Im zweiten Teil, als der vielbedachte Bootsausflug endlich realisiert wird, erschien er mir rätselhaft und unverständlich, schade. Das hat mich nachdenklich gemacht, war nicht wirklich befriedigend. Dennoch möchte ich jeden ermutigen, sich selbst in diese teils magische Buchwelt zu begeben.
Weltklasseliteratur, die sich nicht immer erschließt
English summary
It starts with another helpful and extensive foreword by British Woolf expert Hermione Lee. »To the lighhouse« is told – even more than Mrs. Dalloway (see May 2018) – in a stream of consciousness. The idea of a boatstour to a lighthouse on an Island of the outer Hebrides, the reflections of the expectations therefore of members of the family Ramsay, is the main content. However it is a rather complex narration, featuring the interior of quite different people and their relationships, incl. even a lesbian love. The story is told by leaps and bounds, sometimes not easy to follow.
V. Woolfes language is rich, depicting and creating often a magical atmosphere. As so much is told of the interior of people, they seem to become transparent. As I really did not catch the meaning of the third part, the book left me sometimes rather at a loss. Still, I´d encourage you to try and read it yourself, it’s rich, modern and often magical.
World class literature, sometimes hard to access
2019 rezensiert, Bewusstseinsstrom, England, Englische Originalausgabe, Penguin, Virginia Woolf