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Cover-daenisch

Niviaq Kor­ne­li­us­sen
» Das Tal der Blumen

Autorin:Niviaq Kor­ne­li­us­sen
Titel:Das Tal der Blu­men (2020)
Über­set­ze­rin:Fran­ziska Hüther
Aus­gabe:btb Ver­lag, Mün­chen 2023, 1. Auflage
Erstan­den:Pan­ke­buch, Ber­lin Pankow
Cover-daenisch
Cover der däni­schen Original-Ausgabe

Keine Rezen­sion

Dies ist wirk­lích keine Rezen­sion, das habe ich »»Mar­gret über­las­sen  und das sollte man zuerst lesen. Aber ich war von dem Buch so bewegt, ich musste ein­fach ein paar Noti­zen machen.

Zunächst war der Gedanke, jetzt bist Du alt und ver­stehst die­sen »Insta­gram-Roman« nicht (mehr). Diese mas­sive Kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­fä­hig­keit der Prot­ago­nis­tin hat mich ehr­lich ange­wi­dert. Wer einen Begräb­nis­kaf­fee (grön­län­disch »kaf­fee­mik«) nur durch Umwand­lung in eine Face­book-Story durch­le­ben kann, der hat sie nicht mehr alle. Ebenso, wer der­ma­ßen dem Smart­phone und der vir­tu­el­len Welt ver­haf­tet ist, dass er von der rea­len Welt kaum noch etwas mit­be­kommt. Ich lebe neben einem Kin­der­gar­ten und sehe jeden Tag junge Mütter/Väter, die Kin­der bringen/holen, den Blick nicht zum Kind gewen­det, son­dern fest mit dem Mäu­se­kino ver­haf­tet – geht’s noch?

Erst spä­ter habe ich das dahin­ter­ste­hende Drama im Buch begrif­fen, das hat mich gefes­selt, bewegt. Diese in Buch­de­ckel geprägte Lebens­ka­ta­stro­phe einer jun­gen Grön­län­de­rin. Kei­ner­lei kon­ven­tio­nel­lem Schön­heits­ideal ent­spre­chend, eine andere Haut­farbe als die herr­schen­den däni­schen Kolo­ni­sa­to­ren zu haben und zu allem Über­fluss auch noch les­bisch zu sein. Und ihre Sexua­li­tät hef­tig aus­le­bend. Die junge Frau, die sich vom (west-)grönländischen Eltern­haus end­lich lösen will, weit weg, flieht näm­lich zum Stu­dium ins däni­sche Aar­hus. Und dort von Anfang an dis­kri­mi­niert, gemob­bed, raus geekelt wird: Du bist nicht von hier, Deine Haut­farbe passt nicht – sie schei­tert dort gründ­lich. So gründ­lich, dass sie in die Selbst­mord­sta­tis­tik ein­ge­hen dürfte, in der Grön­land einen ein­sa­men Spit­zen­platz welt­weit hält.

Das Schei­tern aber, spe­zi­ell der Liebe der Prot­ago­nis­tin zu ihrer Freun­din Masa­lina, hängt eng mit der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­lo­sig­keit der bei­den zusam­men. Die sich sexu­ell prima ver­ste­hen, im Bett viel Freude mit­ein­an­der haben, aber so gut wie nicht mit ein­an­der reden, reden kön­nen. Echte, wirk­li­che Kom­mu­ni­ka­tion von Mensch zu Mensch gehört zur Zwei­sam­keit einer Liebe, völ­lig egal ob hetero, homo oder sonst was.

Nuuk-ohne-Filter
Im Debut­ro­man von Niviaq Kor­ne­li­us­sen ist die Ver­haf­tung im Uni­ver­sum der aso­zia­len Medien noch stärker

Aber eben ohne diese Kom­mu­ni­ka­tion ver­sin­ken die bei­den in der Stumm­heit der Hash­tags, Reels und was auch immer. Und stau­nen, dass die rein ero­ti­sche Attrak­tion nicht auf Dauer für eine Bezie­hung reicht. Und dass ohne gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis – genau wie online – in den rein kör­per­li­chen Äußer­lich­kei­ten stets etwas Neues sich in den Vor­der­grund drängt, ohne dass das alte je ver­stan­den wurde.

Unglaub­lich anödend die end­los fade Insta­gramm-Nicht-Kom­mu­ni­ka­tion, Bil­der­spra­che für moderne Analpha­be­ten und digi­tale Leg­asthe­ni­ker. Schreck­lich die gegen­sei­ti­gen Miss­ver­ständ­nisse, Dänen drü­cken sich gerne sar­kas­tisch aus, Grön­län­der lie­ber direkt.

Die unglaub­lich hohe Selbst­mord­rate unter grön­län­di­schen Jugend­li­chen bricht auch in den Freun­des- und Bekann­ten­kreis ein, macht unper­sön­li­che Selbst­mord­schlag­zei­len haut­nah. Der gemein­same Freund Angu­t­ivik bringt sich aus­ge­rech­net in der Höh­len­zu­flucht der Prot­ago­nis­tin um. Die immensen Unter­schiede zwi­schen West- und Ost­grön­land. Die einen west­lich durch kolo­nia­li­siert, bei den ande­ren rum­peln noch die Schei­ße­wa­gen nachts durch die Stra­ßen. Im Wes­ten ist man natür­li­chen Gerü­chen längst ent­wöhnt, ein fröh­lich fur­zen­der Inuit eklig und tra­di­tio­nelle Gerichte (Blut­suppe) anormal.

Auf dem Abwärts­pfad ins Nichts

Wie die Prot­ago­nis­tin in die Aus­weg­lo­sig­keit, ihre per­sön­li­che Sack­gasse getrie­ben wird, wie sie mit wach­sen­der Beschleu­ni­gung in die Kata­stro­phe schießt. Ohne soziale Hil­fen, die gibt’s lei­der nur von Mo-Fr, 9:00 bis 17:00 und – sorry – nur von und für Dänen. Die nichts von der grön­län­di­schen Kul­tur und damit auch nichts von der Psy­che der Inuit-Nach­fah­ren ver­ste­hen. Der müh­same Ver­such von der Gesund­heits­bü­ro­kra­tie den Hin­ter­grund für einen Selbst­mord zu erfah­ren. Dabei war doch sogar ein The­ra­pie­ge­spräch per Skype ange­bo­ten wor­den. Wie modern – und wie unper­sön­lich. Aber auch das gibt’s erst nach meh­re­ren Mona­ten War­te­zeit. …; frü­her höchs­tens wenn es um sexu­el­len Miss­brauch geht.

So spricht der eben­falls von Aus­weg­lo­sig­keit bedrohte Freund Sejer, S.176: »Ja, ich habe den Halt ver­lo­ren, als wär da etwas in mir, das sich immer wei­ter aus­ge­brei­tet hat..« Und, S. 178: »..wir wer­den wei­ter­ge­reicht. Ihr werft mit Leben herum!«

Wenig spielt die gewal­tige grön­län­di­sche Natur eine Rolle, geflo­gen wird viel, selbst per Heli­ko­pter. Und ein­mal, S. 227, heißt es: »Wir flo­gen über das Meer, wo die Eis­berge sterben.«

Die Prot­ago­nis­tin (die kei­nen Namen hat), schei­tert kom­plett im Stu­dium, fliegt wie­der nach Däne­mark, um dort jede Menge per­spek­tiv­lo­sen Blöd­sinn zu trei­ben, alles um Hilfe oder wenigs­tens Auf­merk­sam­keit zu bekom­men. Und bekommt all das nicht, wie ein klei­nes hilf­lo­ses Kind. Inmit­ten eines sich beschleu­ni­gen­den Irr­sinns heißt es, S. 262: »Es ist das vierte Mal, dass jemand aus mei­ner alten Klasse Selbst­mord began­gen hat. Der erste starb, als wir drei­zehn waren.«

Und so sagt mit­ten in dem sich beschleu­ni­gen­dem, zum Selbst­mord trei­ben­dem Irr­sinn eine der jun­gen Frauen, S. 262: »Weißt Du, was wir machen soll­ten? Wir soll­ten die Her­zen aller Grön­län­der steh­len und sie an Syrien spen­den! Dann wür­den wir als ein edles Volk in die Geschichte ein­ge­hen, und wir wären mal zu etwas gut!« Das klingt, wie das Cre­scendo gegen Ende des Buchs wie ein ver­zwei­fel­ter Hilfeschrei.

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Die Autorin Niviaq Kor­ne­li­us­sen | Quelle

All das ist von N. Kor­ne­li­us­sen meis­ter­haft geschrie­ben, auch wie die Mädels im Bekann­ten- und Freun­des­kreis eigent­lich nur um sich sel­ber krei­sen. Und am Smart­phone, Insta und Hash­tag hän­gen, wie die Jun­kies an der Nadel.

Das Buch zeigt den Kampf einer Gene­ra­tion mit dem Trend zum Selbst­mord – aber ohne, dass sie die Gründe für die Selbst­tö­tun­gen wirk­lich ver­steht – so sehe ich das, deut­lich im Gegen­satz zu mei­ner Frau. Hinzu kommt eine dänisch beherrschte Büro­ka­tie in Grön­land, die diese Situa­tion gleich­gül­tig lässt. Sind ja nur ein paar besof­fene Grönländer …

Viel­leicht kann man das Buch auch nur ver­ste­hen, wenn man eini­ges über den Hin­ter­grund von Grön­land, ihrer Urbe­völ­ke­rung der Inuit und der däni­schen Kolo­ni­sa­to­ren weiß. Wie man es z.B. »»hier lesen kann

Es ist ein unge­heuer trau­ri­ges, tra­gi­sches Buch, trau­ri­ger als vie­les, was ich seit lan­gem gele­sen habe. Es hat uns beide Blog­ger des Ber­li­ner Lite­ra­tur­blogs »altmodisch:lesen«, bewegt.


Nach­trag: PS: Schade, dass ich es nicht im Ori­gi­nal gele­sen habe, sprach­lich ist es dafür gut geeignet.

Auch wenn der deut­sche Titel und das Cover dem däni­schen Ori­gi­nal (»Bløms­terd­a­len«) fol­gen: Vom btb Ver­lag (Ber­tels­mann) hätte ich wesent­lich mehr Sorg­falt bei der Aus­gabe erwar­tet. Wel­cher nicht däni­sche Leser weiß, dass »Brugsen« der Name einer däni­schen Super­markt­kette, ver­gleich­bar Coop ist, die auch über Grön­land aus­ge­brei­tet wurde? Und wer weiß, dass 2000 däni­sche Kro­nen kein Ver­mö­gen sind, son­dern umge­rech­net keine 300 Euro? Wer kennt die Bedeu­tung der Ahnen in der alt­her­ge­brach­ten Inuit-Kul­tur auf Grön­land und weiß, dass die Bezeich­nun­gen »Anaana«, bzw. »Ata­ata« nicht ein­fach nur für Mutter/Vater ste­hen, son­dern Teile des über­lie­fer­ten Ahnen­kults der Inuit sind?

Wer weiß, dass die Höhle in der die Prot­ago­nis­tin sich als Mäd­chen zurück­zieht, in engem Zusam­men­hang mit den Höh­len steht, in die alte Inuit zum Ster­ben gehen? Woher das mas­sive Inter­esse der Prot­ago­nis­tin an Kanada kommt – weil dor­tige und grön­län­di­sche Inuit gemein­same Wur­zeln haben, das schein­bar libe­rale Kanada dem Hören­sa­gen nach damit anders umgeht als die euro­pa­zen­trierte, satte, selbst­zu­frie­dene Kolo­ni­al­macht Dänemark.

Einige Anmer­kun­gen im Buch, die für das Ver­ständ­nis unver­zicht­bar sind, so viel Sorg­falt könnte man vom Ver­lag erwar­ten. Das hier ist ein hin­ge­schlamp­ter Schnell­schuss! Dass es auch anders geht, zeigt die im zag­los­sus Ver­lag erschie­nene Aus­gabe des Debut­ro­mans von N. Kor­ne­li­us­sen »Nuuk#ohne Fil­ter« mit immer­hin einer Seite Glos­sar. Im oben erwähn­ten »»Roman von Jørn Riehl sind es 16 Sei­ten Glos­sar und Begriffs­er­klä­run­gen, das nenne ich eine sorg­fäl­tige Rezen­sion, die vol­les Buch­ver­ständ­nis ermög­licht. Btb ver­hin­dert das mit die­ser elen­dig hin­ge­schlamp­ten Edi­tion, sehr schade!

2024 rezensiert, btb Verlag, Grönland, Homosexualität, Niviaq Korneliussen, Postkolonialismus, Selbstmord, soziale Medien