Friedrich Wolf
» Heimkehr der Söhne
Autor: | Friedrich Wolf (Deutschland, 1944) |
Titel: | Heimkehr der Söhne |
Ausgabe: | Friedrich Wolf gesammelte Werke in 16 Bänden, Band 9, vier Romane, 1965, Aufbau Verlag Berlin/DDR |
Erstanden: | Antiquarisch, mit Dank nach Dresden |
Friedrich Wolf war Arzt, Naturheilkundler, Dramatiker, Widerstandskämpfer, Diplomat, Sozialist, Schriftsteller und Vater. Das sind nur Facetten des vielfältigen Lebens des Autors. Viel mehr erfährt man auf der Webseite der Friedrich Wolf Gesellschaft, in Lehnitz/Oranienburg nahe Berlin. Eine sehr gute Quelle, auch wenn der Server die Verbindung noch nicht verschlüsselt …
In nachfolgenden Rezensionen zu Werken von Friedrich Wolf werde ich auch noch weiter auf den Autor selbst eingehen.
»Die Heimkehr der Söhne« ist wie »Der Russenpelz« allgemein eine der wenigen Erzählungen, die sich realistisch und aus der Sicht der Nazigegner mit dem Leben unter der Naziherrschaft und in dem von den Nazis begonnenen 2. Weltkrieg auseinandersetzt. Wolf hat sie 1944 von Januar bis Mai im Exil geschrieben, also zu einem Zeitpunkt als die vernichtende Niederlage des deutschen Faschismus absehbar wurde. Wiewohl er diese Niederlage schon im 1942 entstandenen »Russenpelz« vorausgesehen hat. Schließlich hatte die KPD, der er angehörte, schon vor 1933 gewarnt: »Wer Hitler wählt, wählt Krieg!«
Viel Wissen über die Deutschen im Krieg, ihre Ansichten und Stimmungen erwarb Wolf als Gründungsmitglied des »Nationalkommittes Freies Deutschland«, das mit ehemaligen Nazisoldaten und Widerständlern auf die Wehrmachtssoldaten ersuchte einzuwirken, den Krieg zu beenden, sogar gegen Hitler zu drehen.
Diese Erzählung von Wolf spielt wieder an der »Heimatfront«, ein Naziausdruck, also wie in Deutschland selbst der Krieg erlebt wird. Die Protagonisten sind in diesem Fall eine Berlinerin und ihre Söhne. Zwei sind aus dem Krieg (an der Ostfront als Uffz. bzw. Leutnant) auf Heimaturlaub, der jüngste, Erich, 15, dient als freiwilliger Flakhelfer. Der Krieg ist mit den Bomben der Alliierten an seinen Ausgangspunkt zurück gekehrt, aufgrund der Millionenverluste der Nazi-Armee müssen nun Kinder und Jugendliche Dienst tun.
Wie schon im »Russenpelz« steht eine einfache Familie im Mittelpunkt, in Berlin nahe des Lehrter Bahnhofs (heute Hauptbahnhof). Oberhaupt der Familie ist die Mutter, der Vater hat sich nach dem Versuch, den jungen Sohn Peter seelisch zu brechen aus der Erziehung zurück gezogen, Hinzu kommen die Verlobte Peters, Ursel, der SS-Mann Erich Hagge, ein alter Schulfreund. Letzere steht für die Verkörperung der Nazis. Schließlich ein ehemaliger Geschichtslehrer der Söhne, dessen Weltbild an die Deutsch-Nationalen erinnert. S. 432: »Nach Hitlers Machtantritt hat der alte Professor immerhin einige Zeit gebraucht, um seine soliden wissenschaftlichen Kenntnisse den Bedürfnissen des Dritten Reichs anzupassen.«
Immerhin ist er aber noch so aufrecht ist, dass er eine grobe Geschichtsklitterung der Nazis nicht hinnehmen will, Misshandlung und Haft sind die Folge.
Unter den Söhnen kommen unterschiedliche Meinungen zum Tragen, auch zum Krieg bzw. dessen Verlauf. Da ist der Teenager Erich, dem es in seiner ungestümen Begeisterung gar nicht kämpferisch genug zugehen kann. Ihm stehen die älteren Brüder Heinz und Peter gegenüber, beide haben als Soldaten den Krieg mit seiner Zerstörung nach Russland getragen. Beide haben dennoch unterschiedliche Meinungen zu Aspekten des Kriegs, so über den Wert deutscher bzw. russischer Panzertechnik. Peter entgegnet seinem Propaganda plappernden Bruder, S.431: »Nein Heinz, ich sehe bloß das, was ich sehe und nicht das, was ich sehen möchte oder was man mir erzählt.« So vertritt Peter einen realistischeren Standpunkt, angesichts der verlogenen Siegespropaganda der Nazis nicht ungefährlich. Sein 15-jähriger Bruder kräht dazwischen, S. 431: »In Kiew verteidigen wir das Vorfeld von Berlin!» – wie seltsam aktuell der Spruch anmutet!
Als der alte Lehrer die jungen Krieger nach den Geostrukturen Russlands fragt, müssen diese passen. Davon haben sie nichts mit bekommen. Auch über die Völker der damaligen Sowjetunion, ihre nationalen Besonderheiten, ihre Sprachen, ihre Organisation – all das wissen die »Eroberer« nicht. Dafür aber, S. 434: »Hab keine Ahnung was sie sonst treiben, sah viele an den Bäumen, Fensterkreuzen und Galgen hängen, hol sie alle der Teufel!«
Nach einem schweren Bombenangriff auf Berlin will Peter sich die Zerstörungen ansehen – und er sieht sie, S. 445 »Die Wunden einer Stadt klaffen tiefer als die Wunden einer Landschaft«.
Der SS-Mann dagegen bleibt im strammsten Nazi-Jargon auch im Bombenkrieg, als die Mutter und Peters Velobte bitten, den Jungens eine Pause vom Krieg zu gönnen, blafft der SS-Mann, S. 452: »Heute haben persönliche Gefühle vor dem Großen Ganzen zurückzutreten! Disziplin und seelisches Soldatentum, wie Goebbels es nennt, gilt gerade für die deutsche Frau!«
Aber Peter stellt immer wieder seine realen Erfahrungen aus dem Krieg der Nazipropaganda gegenüber, deren Plattheiten ihn nolens volens zum Widerspruch auffordern. Als er mit seiner Ursel von einem Stadtspaziergang zurückkehrt, geraten sie in einen Bombenangriff. Und erleben einfach widerliche Szenen in einem Luftschutzkeller, der halb verschüttet wird, der Stress führt dazu, dass die Insassen sich verbal gegenseitig geradezu zerfleischen. Und sich auf Hauen und Stechen um die besten Plätze im Keller streiten. Zu dieser »Unsolidarität« hat sie ja das Nazi-Regime 10 Jahre lang erzogen. Und die gilt auch gegenüber einer 18-jährigen, im Keller Gebärenden.
Als ich das las, ging mir durch den Kopf: Wer hat dieses Grauen eigentlich schon literarisch thematisiert? Und warum wurden wir damals in der Schule damit nicht konfrontiert
Peter kann nicht schweigen, erzählt vom Grauen des Krieges in Russland, den fürchterlichen Rohheiten der Zivilbevölkerung gegenüber. Der SS-Mann blafft, S. 463: »Das klingt ja fast wie Feindpropaganda! – »Es ist bloß die Wahrheit!« sagt der Peter. »Wahrheit ist, was Deutschland nützt!« kommt es zurück gegoebbelst.
Das »Nazi-Sprech« gelingt dem Autor in den verschiedensten Dialogen so gut, dass es den Leser gruseln kann. Auch wenn es darum geht, dass einer der Söhne erzählt, wie sie in Rußland zuerst die Kuh, und dann die Bäuerin erschossen und schließlich noch den kleinen Jungen gemordet haben. Warum wurde uns (im Westen) nie davon erzählt?
Die Familienmutter gerät in der Sorge um ihre Kinder in Widerspruch zur Nazi-Ideologie, S.489: »Aber jetzt da sie …erwachsene Menschen wurden, raubt man ihr die Söhne vor der Nase weg, als seien sie gar nicht ihre Söhne! Ist das nicht Raub, richtiger Menschenraub?«
Auch Ursel, gemeinsam mit ihrem Freund Peter verschüttet, beginnt in diese Richtung zu überlegen, S. 495/96: »… ach, mein tapferer Soldat, was weißt denn Du vom Leben und Sterben trotz deiner vielen Schlachten?… Nichts verstehst du …und wir beide lassen uns das einfach gefallen.«
Die Stadt ist in Brand- und Rauchwolken gehüllt, Schulen sind geschlossen Schüler und Lehrer zu Aufräumarbeiten verpflichtet, alle Arbeiter und Angestellte haben ungeachtet der schweren Zerstörungen »…an ihrer Arbeitsstelle zu erscheinen. Nichterscheinen gilt als Sabotage.«
Berlin brennt, und, S. 514: »… so einfach ist das heute nicht, zur Hasenheide und zum Tempelhofer Feld zu gelangen.« Heinz, der Urlauber, der wohl als Flakhelfer eingesprungen ist, wird als Leichnam nach Hause gebracht. Was zum Streit zwischen der Mutter und dem SS-Mann führt. Sie solle an das Große Ganze denken, sie aber empört sich: »… sein Leben habt ihr gestohlen …«; S. 502.
Und als ihr minderjähriger Sohn nach durchwachter Bombennacht gleich am nächsten Tag zum Flakdienst will, der Mutter dies aber nicht zugeben will, seufzt diese. »Müssen die Kinder heute auch ihre Eltern betrügen?« Je mehr die Mutter darüber nachdenkt, desto mehr sträubt sich alles in ihr, den jüngsten in ein ähnliches Schicksal wie den gerade getöteten Heinz rennen zu lassen. Wie betäubt läuft sie durch Berlin, Wolf schreibt, S. 529: »Schon beginnt der Bereich der Zerstörung. Ganze Straßenzüge sind wie weggefegt. Dort erheben sich Berge von Schutt. Hier und da ragt noch ein durchsichtiges Hausskelett in die Luft … überall glimmt und glüht es am Boden.« Der Lehrter Bahnhof ein kohlender Schutthaufen, dort liegen noch Verschüttete, sie stolpert fast über eine Frauenleiche, dorthin, mitten in den rauchenden Schutt schleppt sie in ihrer Verzweiflung die Uniform ihres Jüngsten, um ihn so am weiteren lebensgefährlichen Dienst des Flakhelfers zu hindern.
S. 533: »Sie fühlt sich sehr einsam. Gibt es denn sonst keine Mütter in Berlin, deren Söhne wie Schottersteine in die Züge geworfen werden und in das ferne Russland gefahren werden?« Weshalb lassen die Frauen das zu, ohne Widerstand? Der SS-Nazi bellt dazu, S. 540: »… was Herr Reichsminister Goebbels sagte, daß die Statistik über den Bluteinsatz der Hitlerjugend … zeigt, in welchem Umfang unsere Jugend es versteht, den älteren Volksgenossen vorzusterben!« Was für eine Sprache, was für Worte: »vorzusterben«! Welch Pervertierung des Begriffs »vor leben !«
Da schaltet sich sogar der alte Lehrer der Jungen ein, er habe immer versucht, aus seinen Schülern »… kluge, wissende Menschen …« zu machen, aber nicht »… hirnlose Automaten, nicht Zielscheiben und bloße Objekte für Granaten und Bomben …«. Was ihn prompt zur Verhaftung bringt, solche Deutlichkeiten vertragen Nazis nicht.
Es spielen sich Wahnsinnsszenen zwischen Mutter und Sohn ab, Erich will unbedingt zum lebensgefährlichen Dienst, die Mutter kämpft mit ihm und hält ihn mit Gewalt zurück. Die Mutter spürt, dass es eigentlich nur Furcht ist, was den Sohn zum Dienst treibt und das sagt sie ihm auch. Und sie geht soweit, ihm zu sagen, dass sie gegen den verhafteten Professor nicht aussagen wird. Nach schweren inneren Kämpfen überzeugt das den Sohn tatsächlich, nicht zum Flakdienst zu gehen, sondern bei ihr zu bleiben.
Einer höheren SS-Charge, die die Angelegenheit beilegen will, sagt die Mutter klar, dass sie den 15-jährigen nicht wieder in den Krieg schicken wird. Daraufhin beleidigt der SS-Mann sie, woraufhin ihr Sohn Peter ihm eine reinhaut.
Die Erzählung bricht mit der Verhaftung des Sohns, der seine Mutter verteidigt ab. Das scheint von Wolf so gewollt, ihm ging es m.E. darum zu zeigen, in welchen Konflikt »ganz normale« Menschen im Nazikrieg geraten. Wie erst tiefe Mutterliebe Menschen zum Aufwachen gegenüber den Nazi-Phrasen und ihren Hassparolen bringt. Wie Liebe – punktuell – den Hass und den Terror der Nazis überwindet. Auch wenn dies unorganisiert, hilflos, emotional erscheint, setzt es ein Signal, laßt die Nazis nicht einfach gewähren! Es kostet euch sonst die geliebte Familie, die Heimat, alles was lebenswert ist, so die Botschaft zwischen den Zeilen.
Mich hat besonders beeindruckt, in welchem Maß F. Wolf die fürchterliche Wahrheiten des Krieges, der Naziparolen des Hasses und der Gemeinheit, ihre Folgen wie die Zerstörungen Berlins plastisch fühlsam macht. Es tut einfach weh, wenn man die Verwüstungen des Nazikriegs auf dem Fußweg eines Sohnes von der Hasenheide zum Lehrter Bahnhof verfolgt, sie sich als Berliner vor Augen ruft. In so eine Situation möge die Stadt, das Land, die Menschen nie wieder geraten – das fühle ich beim Lesen als Botschaft! Und erschrecke zutiefst, wie leichtfertig heute besonders im Ukraine- und im Gazakrieg mit dem Monster Krieg und mit Kriegsdrohungen umgegangen wird, gar die Notwendigkeit einer »Kriegstüchtigkeit« phrasiert.
Im Gegensatz zu seiner Erzählung »Der Russenpelz« (hier die Rezension) konzentriert Wolf sich hier auf einen sehr kleinen Familienkreis. Und zeigt, wie das faschistische System im totalen Widerspruch zu elementaren Werten wie Ehrlichkeit, Nächsten- und Mutterliebe steht. Die Mutter- und Geschwisterliebe, die Menschen in offenen Aufruhr gegen das Nazisystem bringt.
Lohnt der Widerstand in dieser Situation überhaupt, habe ich mich spontan beim Lesen gefragt? – Irgendwann und irgendwo muss man anfangen!
Auch dieser Text bedeutet:
Eine Mahnung gegen Krieg und Faschismus!
Nachtrag: Die rezensierte Erzählung habe ich dem Band 9 der 16-bändigen Werkausgabe von Friedrich Wolf entnommen. Sie ist im Aufbau Verlag in der DDR 1966 erschienen. Ein bibliophiler Dresdener Sammler hat mir geholfen, die Werkausgabe zusammen zustellen – Danke!
Bücher von F. Wolf sind in zahlreichen Einzelausgaben erschienen. Die älteren aus DDR-Zeiten erwirbt man am besten antiquarisch und online, z.B. bei www.booklooker.de oder www.antiquariat.de. Eine aktuelle Suche bei booklooker förderte knapp 50 Exemplare von »Heimkehr der Söhne« zu Tage, Kosten ab 1,70 Euro (plus Porto).
So bekommt man auch Einzelbände der Werkausgaben, da gibt es eine 14-bändige und eine (jüngere) 16-bändige, die ich verwende. Ich plane eine Reihe von weiteren Rezensionen zu Werken von Friedrich Wolf.
Von ihm sind insbesondere Ausgaben seiner Märchen und wunderbaren Kinderbücher in aktuellen Fassungen erhältlich. Das gilt auch für einige seiner Dramen wie »Professor Mamlock« oder »Cyankali«. Darunter sind auch Reprints älterer Ausgaben. Auch die hier rezensierte »Heimkehr der Söhne« kann man so erwerben.
Wolf war in der DDR ein bekannter Autor. Während 1947 von den West-Allierten zunächst ein Publikationsverbot gegenüber Wolf erlassen wurde, gab es später in der Bundesrepublik ausschließlich Lizenzveröffentlichungen von DDR-Ausgaben, jedoch keine einzige eigene Veröffentlichung. Man versuchte, den Autor im Westen des Landes zu ignorieren.
In Lehnitz (Oranienburg) nahe Berlin sitzt die Friedrich Wolf Gesellschaft mit ihrer Gedenkstätte. Dort war Wolfs Wohnsitz nach dem Ende des faschistischen Kriegs.
Die Gesellschaft hat sich nicht nur dem Andenken des Dichters gewidmet, sondern ist mit Veranstaltungen zu Literatur, Film und Theater aktiver Teil des Berliner Kulturlebens.
2. Weltkrieg, 2024 rezensiert, Angst, Faschismus, Mutterliebe, Sowjetunion, Ukraine