Atle Næss
» Edvard Munch
Autor: | Atle Næss (2004) |
Titel: | Edvard Munch – Eine Biografie |
Ausgabe: | bup Berlin University Press 2015, signiert vom Autor |
Übersetzung: | Daniela Stilzebach |
Erstanden: | Pankebuch in Berlin-Pankow |
Ich bin Norwegen-Fan, ich bin Munch-Fan, es ist mein fünftes über dieses Genie, soviel als Vorwort. Dies ist das akribischste, das leider trotz 70 Seiten Quellenverzeichnis keine Bildlegende kennt. Das akribische ist zugleich das im Vergleich zu einem Munch-Roman wie »Eine Liebe in den Tagen des Lichts« nüchtern wirkende. Das die Beziehungen Munchs zur Familie (Geschwister/Tante) überknappt und die letzten Jahre nur überfliegt. Aber das sind Marginalien bei einer derart monumentalen Biografie von fast 700 Seiten. Was für eine Fleißarbeit, die dennoch weniger Gefühle als romanhafte Munch-Titel weckt.
Die den langen mühsamen Weg des frauenscheuen, bettelarmen, alkoholgeneigten, ausrastenden, zusammenbrechenden, Norwegers bis zu seinem künstlerischen Durchbruch und Reichtum mit gut 50 Jahren zeichnet. Ein Weg, der ohne frühen Skandal in Berlin, Förderer und Mäzene und immer wieder Ausstellungen in Deutschland, aber auch die Pariser Szene unlebbar gewesen wäre. Wie wichtig Deutsche wie Max Linde, der Strumpffabrikant Esche, Kunsthändler Kassirer, der Jurist Schiefler, als Mäzene, Freunde, Förderer und Helfer waren. Aber auch die Norweger Thiis, Jappe Nilsen, Sørensen, ohne die der Erfolg Munchs nicht dieser geworden wäre. Næss ist ein Biograf, der sehr viel Wert auf die Interpretation der Kunstwerke legt, während man den schöpferischen Akt eher bei Haavardsholm, aber auch der romanhaften Biografie von Ketil Børnstad findet. Aber, wenn man bei Næss sieht, das es erst 1909 eine erste Ausstellung in der Heimat gab, erst 1910 den Durchbruch, der ohne den Berliner Skandal (1892) nicht denkbar war, wenn man ausführlich zitierte zeitgenössische Kritiken liest, beginnt man diesen Ausnahmemensch besser zu begreifen. Man sieht, wer für Munch wichtig war, wie der Bohemien Hans Jaeger (»Kristiania Boheme«), der einstige Lehrer und spätere Feind C. Krohg, aber auch andere Skandinavier wie Jonas Lie, Ibsen, Strindberg, Hamsun und deren Einflüsse.
Oder Munchs ewig kompliziertes Verhältnis zu Frauen, die verheiratete Frau Thaulow, das Zerstörerische zu Tulla Larsen, das Distanzierte zur Mudocci, die nicht immer ausgeleuchteten zu seinen zahlreichen Modellen.
Die vielen Toten im Leben des Künstlers, die Eltern, die kleine Schwester, der Bruder, die psychisch kranke Schwester, sein eigener Nervenzusammenbruch und halbjährigem Sanatoriumsaufenthalt. Wobei eine Problematisierung von Munchs seltsam distanziertem Verhältnis zur »Ersatzmutter« Karen Bølstad, den Schwestern, dem Bruder, der Nichte auf nur wenigen Seiten ansatzweise problematisiert wird – Rücksicht auf familiäre Interna?
Die ewige Finanznot der ersten 50 Jahre, der ewig Getriebene, die Fast-Katastrophe mit Tulla Larsen. Der selbstmörderische Umgang mit Alkohol, seine cholerischen Ausbrüche mit Schlägereien, Wahnvorstellungen incl. Verfolgungswahn, »der Feind in Norwegen«. Dann die Ruhe im Exil, Ruhe in Thüringen, die spannungsvolle Lösung Norwegens von Schweden, die jahrelange Rivalität mit Vigeland um repräsentative Werke in der norwegischen Hauptstadt. Die vielen Land-, Wohn- und Arbeitsstätten wie Asgaardstrand, Kragerø, Hvitsten/Nedre Ramme, Jeløy und schließlich Ekely. Ein jahrzehntelanges unglaublich unstetes Leben zwischen Oslo (Kristiania), Asgardstrand, Hamburg, Lübeck, Paris, Göteborg, Weimar, Warnemünde, so dass er 1908 eine Postkarte an Schiefler unterschreibt mit »Fliegender Holländer«. Zitat: »Das war wohl ein ziemlich präziser Ausdruck dafür, wie er sich fühlte: Wie eine verdammte Seele, gezwungen von Ort zu Ort zu segeln, ohne Ruhe zu finden.« Ein immer währendes Hin- und Her bis endlich die Etablierung, Anerkenntnis, Ruhm, Geld erreicht sind – auch ín Massen offenbar sogar innere Ruhe.
Ohne Atle Næss’ Werk zu kritisieren, das Gefühlsleben, die Emotionen, die innere Welt bringen andere Bücher wie die von Ketil Børnstad oder Espen Haavardsholm näher, die wiederum nicht die Distanz der Akribie halten, die Næss auszeichnet, die aber auch dieser nicht in allen Phasen durchhält. Die in manchem sehr apolitisch wirkt, der deutsche Kaiser verschwindet eben, die Nazis kommen und besetzen, wo bleibt Munchs Einstellung, seine Abkehr vom »Quisling« Hamsun, Munchs Kontakte und Interesse am Widerstand der Norweger?
Zu knapp gehalten werden auch Munchs Schriftzeugnisse, wo doch seine Texte zum eigenen »Lebensfries« packen und sensationell vertont von den Norwegern Kari Bremnes und Ketil Børnstad anno 1992 die ungebrochene Bedeutung des Malers auch in der Moderne beweisen?
Jedoch diese Biografie ist nicht nur übervoll von Details und Quellen, sie ist auch optisch in Satz, Layout und Gestaltung gelungen. Reich, aber nicht überreich bebildert und liest sich- gut unterteilt – auf großen Strecken wie ein spannender Roman. Das ist genussreich, unterhaltend, lehrreich und viel Verständnis für einen der prägenden Maler des 20 Jahrhunderts schaffend: Edvard Munch.
Sehr lesenswert
2016 rezensiert, Atle Næss, bup Berlin University Press, Edvard Munch, Kunst, Norwegen