Daniil Granin
» Die Spur ist sichtbar noch
Autor: | Daniil Granin (1984) |
Titel: | Die Spur ist sichtbar noch |
Ausgabe: | Volk und Welt, Berlin, DDR, 1986 |
Erstanden: | Wieder auf Hinweis von Christa Wolf, die mit Granin befreundet war. |
Der 1919 (!) geborene Petro-/Leningrader Granin hielt 2014 zum Gedenken der Naziopfer im Deutschen Bundestag eine beeindruckende Rede. Ebenso war sein Buch »Mein Leutnant« eine schonungslose Auseinandersetzung mit den Schrecken des Krieges um Leningrad, wozu Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt – der Granin damals im Schützengraben gegenüber gelegen hatte – in seinem Vorwort zu »Mein Leutnant« schrieb: »Frieden ist ein unschätzbares Gut…Ohne Russland kann es in Europa keinen Frieden geben.«
In dieser Novelle stellt Granin anhand der Schicksale der georgischen Ärztin Shanna und der mit ihr im Krieg korrespondierenden Soldaten Boris und Sergej, sowie ihrem Leutnant Anton dar, dass es den Beteiligten nahezu unmöglich wird, die damaligen Geschehnisse wirklich zu verarbeiten. Auch für grundverschiedene Charaktere, z.B. Sergej, der eher hohle »Heldentyp« und ihm gegenüber Boris. Der aus einfachsten Verhältnissen kommend, als Ingenieur Patente entwickelt. Und sich selbst in der Armee nicht scheut, Mängel zu kritisieren: Die sowjetische MP weise einen Konstruktionsfehler auf. Und der auch einem General gegenüber darauf beharrt, das der Vormarsch der Roten Armee (z.B. in den Baltenrepubliken) mit unnötigen Opfern erkauft wurde – womit er sich wahrlich nicht beliebt macht.
Die Novelle stellt den heute gebrochen wirkenden Anton, der glatzköpfig, hinkend, schlechte Werkzeuge aus schlechtem Material einer sowjetischen Fabrik in der Mangelwirtschaft verteilt, dem einstigen Leutnant der Panzerfahrer 1944/45 gegenüber: »Die ganze Welt erwartete uns, wir rollten vorwärts, um sie zu befreien, ihr Gerechtigkeit, Freiheit und Zukunft zu bringen.« Die Novelle beinhaltet damit auch bemerkenswerte Reflexionen über das Altern, über den Vergleich des Alters mit Jugendidealen.
Es ist eine äußerst vielschichtige, teils verschlungene Geschichte, die dem Leser Aufmerksamkeit und Nachdenken abverlangt. Zumal sie mitnichten allein über die (Kriegs-)Vergangenheit reflektiert, sondern über die Beziehungen zwischen den Generationen, Traditionspflege, Zivilcourage, und das Überleben in der Mangelwirtschaft der sowjetischen Bürokratie nachdenkt. Die aber noch und noch deutlich werden lässt, was die Grausamkeit des von den Nazis aufgezwungenen Krieges für eine Generation von jungen Männern und Frauen – bedeutete, die als halbe Kinder in vier Jahre des Grauen, des Schreckens und der Unmenschlichkeit gezwungen wurden. Dabei ist es faszinierend, wie in einem Briefwechsel dreier Menschen, die ein Vierter 50 Jahre später liest, grundverschiedene Lebensperspektiven offenbar werden. Es ist ein unglaublich vielschichtiges, ein sperriges und vielleicht schwieriges Buch. Aber eines, das man gelesen haben sollte, von einem Schriftsteller, den man kennen sollte: Daniil Granin.
2. Weltkrieg, 2016 rezensiert, Daniil Granin, UdSSR, Volk & Welt Berlin/DDR