Herbjørg Wassmo
» Der stumme Raum
Autor: | Herbjørg Wassmo (Norwegen, 1983) |
Titel: | Der stumme Raum |
Ausgabe: | Argument Verlag, 2014 |
Erstanden: | Pankebuch, Berlin-Pankow |
Der zweite Band der Tora Trilogie (Bd. 3 folgt hier in 2017) und kein Stück schlechter, als der erste. Tora möchte sich einem gleichaltrigen Jungen nähern, kann es aber aufgrund der (fortgesetzten) Schändung durch Stiefvater Henrik – psychisch – nicht. Später verkauft sie sich gegen Geld an den Ladenbesitzer – und genießt seine Hörigkeit.
Und wieder höchst intensive Szenen: das erste Mal im Kino und die geradezu expressionistische Schilderung eines Sturms; so schlimm, dass Spenden aus der UdSSR nach Nordnorwegen eingehen. Wunderschön, wie Toras Freundin aus dem Tausendheim sich den jungen Fischer angelt, um mit ihm ins Bett zu gehen. Das Erlebnis eines Sommerregens, was man alles auf einem Nordmeer-Fest erleben kann, ein intensives Teenager-Fest und eine traumhafte Beschreibung eines nordnorwegischen Städtchens. Aber auch die traurige Knechtschaft Toras Mutter Ingrid. Das ist sehr viel literarische Schönheit in einem Buch, mitten in einem oft widerwärtigen Inzestgeschehen.
Sol, Toras Freundin, die ihre Familie nicht alleine lassen will, »sie war bereits auf dem Weg in die luftlose Ohnmacht der Frauen, kaum 17 Jahre alt«. Plus eine interessante Diskussion über Kriege und warum es besser wäre, wenn Frauen die Macht haben.
Immer mehr erkennt man Toras Suche nach sich selbst und ihrem Verhältnis zur Welt. Die aber aufgrund der erneuten Vergewaltigung durch den Stiefvater Henrik (worüber sie mit niemandem reden kann) sich in Traumwelten flüchtet, nun aber erst recht kein Verhältnis zu Männern aufbauen kann. Daher die Unmöglichkeit, sich dem sehr einfühlsamen Jon hinzugeben. Dagegen das Glück, wenn sie sich an Henrik so rächen kann, dass er sich den Fuß bricht.
Die Tora, die in dem neuen Städtchen, wo sie einen Platz an der Schule erkämpft hat, eine Heimat gefunden hat und entdecken muss, dass sie schwanger ist – ein wieder und wieder ungeheuer intensives Buch. Tora durchsteht es, das Kind völlig allein zur Welt zu bringen und im Park zu begraben – welche eisharte Einsamkeit muss diese Frau durchstehen? Schließlich , wie der gealterte Fischer, der den Verlust seines Boots nicht verkraftet und sich in die Luft sprengt, ausgerechnet in der Nähe Toras. Dinge, die noch dazu kommen. Auch hier kein leichtes Buch, aber wieder eines das packt, das eine geradezu leuchtende Sprache führt, was Landschaften, Menschen, Leben, Psyche exzellent spiegelt, was es erleichtert, auch alle Schrecklichkeiten zu verfolgen. Ja, das ist ein Buch, was für Frauenrechte kämpft, aber ohne erhobenen Finger, durch die Kraft der Erzählung mitreißend und Erfolg habend. Das zeigt, mit welcher Feinfühligkeit Frauen erleben und wie ungeheuer hart und falsch die Welt ihnen gegenüber sein kann.
Der »Stumme Raum« (diesmal der Originaltitel) – das Innerste der Tora, was sie (vielleicht?!) mit Raquel teilen kann. Wiederum:
Spitzenliteratur
2016 rezensiert, Argument Verlag, Frauenemanzipation, Herbjørg Wassmo, Norwegen, Tora Trilogie