Heinrich Vogeler
»Erinnerungen
Autor: | Heinrich Vogeler (Deutschland, 1922-28), Hrsg. Erich Weinert |
Titel: | Erinnerungen |
Ausgabe: | Rütten & Löning, Berlin, DDR, 1952 |
Erstanden: | Antiquariat Bücherwurm Michael Kross, Bippen |
Dies ist die erste Ausgabe der Erinnerungen des Künstlers, in der Bearbeitung von Erich Weinert. Es war Weinert, der aus einem völlig chaotischen Nachlass erst diese Erinnerungen lesbar extrahierte. Ihm wird dabei zu heftige, interpretierende Überarbeitung vorgeworfen, so wird es spannend werden, auch noch die 1989 erschienene, überarbeiteten und um Lebenszeugnisse aus den Jahren 1923-1942 ergänzte Ausgabe (wiederum Rütten + Löning) zu lesen und zu rezensieren; (s. Rena Noltenius exzellenten Vogeler-Katalog, »Gelesen im Februar 2017«) – Vogeler ist ohnehin ein Thema, das mich nicht loslässt.
Der Beginn der Erinnerungen Vogelers aus der Kinderzeit brachte mir – der einst in Bremen gewohnt hat – ein besonderes Vergnügen. Aber auch aus erster Hand den Wandel eines künstlerischen Querkopfes vom Spielzeug reicher bremischer Pfeffersäcke zum Idealisten für eine ausbeutungsfreie, friedliche Welt zu verfolgen. Den Querkopf zeigt er schon auf der Kunstakademie, die ihm ein verständnisvoller Vater ermöglichte, wo er bereits Interesse für Kunstgewerbe zeigte, die eigentliche Schule aber waren Worpswede, die Malerkollegen, die Motive der Moorlandschaft, die er mit Maleraugen beschreibt. Berührend seine erste Begegnung mit Martha, die Schwierigkeiten des Kontakts zwischen dem Städter und dem Landmädel, der Kauf des Brennmeisterhauses mit einer Erbschaft, der mit den selbstgepflanzten Birken zum Birkenhof = Barkenhoff wurde. Den Wunderhof, der musterhaft aus seinen architektonischen Fähigkeiten wuchs, Vogler, der den Spitznamen »Mining« nach Fritz Reuter trug, die geradezu bildhaften Begegnungen mit den Menschen des Moores, tiefstes Plattdeutschland, für den geboren Bremer (und den platt verstehenden Leser) wie selbstverständlich. Köstlich seine Schilderung des örtlichen Schützenfests.
Vogeler beschreibt die Entwicklung der verbundenen Malerkollegin Paula Modersohn-Becker. Wichtig für ihn die Begegnung mit den Millionärs-Bohemien-Gründern des Insel-Verlags, ebenso dem Kaffeehändler Roselius (Böttcherstraße Bremen); für Insel schuf er so sprachlos machende Illustrationskunst wie für die Kurzgeschichten Oskar Wildes; dito zu »Nils Lyhne« von P.J. Jacobsen in Dänemark, die Bremer Güldenkammer, typische Jugendstil-Kunstwerke, Erfolg und Honorare rollen. Nur Vogeler fühlt sich damit auf Dauer nicht wohl, »formale Fantasien ohne Inhalt«, eine uferlose Romantik, ohne Bezug zur sozialen Wirklichkeit, sagt er. Und er schreibt über seine Schwierigkeiten mit anderen Menschen zu kommunizieren (warum kann ich keine Feste feiern?), zeigt immer mehr innere Unruhe, beginnende Distanz zu Martha bis hin zum Verlust, sein eigener Umzug ins »Bienenhaus«, er beginnt sein eigentliches Ich zu suchen. Das ist die Zeit, wo herrliche Grafiken und Zeichnungen entstehen und er sich der Architektur von sozial orientierten Auftraggebern zuwendet. Aber auch, wo er Broschüren schreibt, Marx+Engels liest. Aber er flieht nun aus seinen Problemen geradezu in den Krieg, »Druckposten« verschaffen ihm die Möglichkeit zu Kunstwerken aus Galizien, Rumänien und Bulgarien. Der Krieg und sein Elend, Armut und Korrupion, die Begegnung mit der »bolschewistischen Propaganda«, lassen ihn nachdenken: »Kann es eine Gemeinschaft der Menschen geben, in der die Ausbeutung des einen durch den anderen erlaubt ist?« Ähnlich interessant seine Diskussionen mit dem Mäzen und Kaffeemillionär Roselius, dem er erklärt, warum Arbeiter sich vom Kapitalismus befreien müssen. Sein religiös-simpler Brief an den Kaiser 1917, gegen den Krieg gerichtet, bringt ihm Armeeentlassung und 62 Tage Irrenhaus (!) ein; folgerichtig seine Beteiligung an der Bremer Räterepublik, die aus Mangel an Wissen und Führung, an zu vielen Bürgerlichen und rechten Sozialdemokraten in den Räten dem Eingreifen von Bundestruppen nicht standhalten kann, Vogeler wird verfolgt, muss fliehen. Auch wenn er äußerst wenig über die Zeit der Bremer Räte schreibt, bemerkenswert seine Dialoge mit seinem Richter, Gemeinbesitz statt Privatbesitz und »der Krieg hat aus mir einen Kommunisten gemacht,.. das Volk hat nur Elend und Verluste durch Krieg,….die Arbeiter wissen, dass der Kapitalismus die Ursache des Krieges ist und immer sein wird..«
Seine Kunst wird anders, Begegnung, kurze Beziehung mit der »roten Marie« (nach Weinert Leiterin eines Munitionsarbeiterstreiks), woraus ein sprechendes Portrait erwuchs, die Beerdigung des Bremer Arbeiters Johannes Knief, Stationen auf dem Weg zur »Kommune Barkenhoff«, von den Herrschenden beargwöhnt mit Durchsuchungen und Verhaftungen durch Reichswehr und Stahlhelm. Den für sein späteres Leben so wichtigen Kontakt zu Russland vermittelt ihm zuerst Rilke, der dort Dostojewski und Tolstoi traf. Vogeler liest nun Gorki, der ihn berührt. Den Barkenhoff übergibt er der Roten Hilfe, als Heim für die Kinder von politisch verfolgten Arbeitern, auch ein Zeugnis über die Verhältnisse im Weimarer Staat. Aber auch ein Dank, wie er es ausdrückt, an die Bremer Arbeiter, die ihn den Kommunismus gelehrt hatten. Mit der zweiten Frau, Sonja Marchlewska, Tochter des polnischen KP-Gründers, reist er nach Moskau, sein Sohn Jan wird in der Kreml-Wohnung geboren. Später Reisen in Sowjetrepubliken, lernen über deren Aufbausituation, die »Kulakenfrage«, die von Majakowski inspirierten Heime für die Bisprisorniki (als Kriegsfolge heimatlose Waisenkinder). Dann Wohnen in Berlin-Neukölln, Reisen nach Ascona, Beginn der Projektionsmalerei mit großflächigen Wandbildern, zur Arbeiterbewegung, dem »weißen Terror« im Bürgerkrieg in der Sowjetunion, anmutige Reiseberichte aus Karelien und asiatischen Sowjetrepubliken, Irrtümer zu »Kunst + Stalin« – Vogeler rastlos auf der Suche nach der wahren Heimat. Spätestens ab der Zeit mit der roten Marie werden seine Notizen lücken- und sprunghaft, praktisch gehen sie nur bis 1928, auf seine eigenen Werke gibt es kaum Bezug. Dafür glänzt das Buch mit etlichen interessanten Reproduktionen, anderes wird ja erst 50 Jahre später veröffentlicht. Ein Buch, ein Zeugnis eines Malers, eines antikapitalischen Menschen, voller Spannung und Lebenswichtigkeiten, das ich nahezu atemlos in nur 2 Tagen verschlungen habe. Mag sein, dass Sprache und Ausdruck mitunter recht »Weinertsch« anmuten, dem Lesevergnügen hats eher gut getan, der Rest ist für die Historiker. Schönes, spannendes bereicherndes Zeugnis eines interessanten deutschen Künstlers am Umbruch des 19./20. Jahrhunderts.
Beeindruckendes Zeugnis eines spannenden Künstlers
1. Weltkrieg, 2017 rezensiert, Erich Weinert, Heinrich Vogeler, Kunst, Rütten & Löning, Sowjetunion