Herbjørg Wassmo
» Dinas Vermächtnis
Autor: | Herbjørg Wassmo (Norwegen, 1997) |
Titel: | Dinas Vermächtnis |
Übersetzung: | Holger Wolandt |
Ausgabe: | Luchterhand, 1999 |
Erstanden: | Antiquarisch |
Der abschließende Band beginnt wieder mit dem Ärgernis einer falsch eingedeutschten Titels, denn im Original heißt es »Karnas Erbe« – was eine völlig andere Aussage ergibt.
Wiederum zeigt die Autorin ihr großes Talent, die Berührungen zwischen den Menschen zu zeigen,ganz besonders beim traumhaft geschilderten Besuch der Dina auf Reinsnes. Großartig die Perspektivwechsel der Erzählung, z.B. der Tod der alten Oline und vieles andere aus der Kinderperspektive der kleinen Karna zauberhaft gedichtet. Genauso wie die zur Unternehmerin gereiften Dina, die abseits des wirtschaftlich nicht mehr tragfähigen – und nahezu verödenden – Hof Reinsnes mit dem neuen Domizil Strandsted, seinem Hafen, Werft und Schiffshandel im Mikromosmos den norwegischen Wandel vom Bauern- und Fischerland zum Industriestaat zeigt.
Die Spannungsmomente bleiben üppig im letzten Band der Reihe, sei es das Exil von Stine und Thomas, Dina’s »Klar Schiff« ihm gegenüber (mit einem sehr berührendem Abschied der beiden), die unstillbaren erotischen Sehnsüchte Benjamins (am liebsten mit zwei Frauen!), wie sich in Benjamins Tochter und Hannahs Sohn das Spiel der Eltern wiederholt, der gewalttätige neue Geschäftspartner Dinas. Oder die köstlich gestaltete Situation, als Benjamins Studienfreund und Ex-Geliebter seiner Mutter Dina, als Axel nach Strandsted kommt, zu dem Mann, der ihm die Verlobte (Anna) ausgespannt hat. Den die kleine Karna, mindestes so ein höllisches Orakel wie ihr Vater, »wegen Hurerei« steinigen will. Der Vater revanchiert sich als sich diese wegen des Stresses der Erwachsenen kurzerhand ihre schönen roten Haare abschneidet:»Teufelsbraten! … Wie Du doch der Dina ähnlich bist.« Dieses Mädchen, der alle die Eigenwilligkeit abgewöhnen wollen und die genau mitkriegt, wie ihr Vater seine Triebe nicht beherrscht. Sie wird dabei eine immer interessantere Person, sehr typisch für das Geschick der Autorin, Charaktere im Buch Stück für Stück zu entwickeln. Manches – wie der Alterungsprozess der Protagonistin, Dina wird Großmutter – geschieht zunächst unbemerkt und ist geschickt eingewoben.
Viele Sätze, bei denen der Leser stockt, wie »Er wusste, dass der Mangel an Schlaf einsam macht.« Oder dem großartigen Einweihungskonzert für den Flügel, den sich die immer erfolgreichere Dina leistet, wo Anna der unter Epilepsie leidenden Karna sagt: »Du bist nicht krank! Du brauchst nur Deine Kräfte für etwas, an dem sich nichts ändern lässt!« Oder wie Anna ihre Lust auf Benjamin mit lautem Gesang am offenen Fenster äußert: »Ich schlafe gerade mit einem Engel auf dem Weg hinaus aufs Meer.« Und wieder das Sprachspiel, Benjamin spricht Dänisch, wenn er sagen will, was er fühlt.
Schließlich enden Geschichte (und manche Person) in einem Katastrophencrescendo, verursacht aus der flirrenden Figurenkonstellation, Karnas Teufelsbraten-Haftigkeit, einfach der grundsätzlichen Explosivkraft dieser Geschichte der Wassmo. Die mit dem dritten Band zur Kraft des Beginns, zur Sprachmächtigkeit und der Spannung des »Buchs Dina« zurückfindet; höchstens ein Personenverzeichnis hätte dem Buch noch gut getan.
Eindrucksvoller norwegischer »Slægtsroman« der anderen Art!
2017 rezensiert, Bauern-/Fischerland, Bergen, Dina Trilogie, Dänemark, Dänisch/Norwegisch, Herbjørg Wassmo, Industriestaat, Luchterhand Verlag, Norwegen, Slægtsroman