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Sandemose-Klabautermann

Axel San­de­mose
» Der Klabautermann

Autor:Aksel San­de­mose (Dänemark/Norwegen, 1927)
Titel:Der Kla­bau­ter­mann
Aus­gabe:Safari Ver­lag, 1928
Über­set­zung:Niels Hoyer
Erstan­den:Anti­qua­risch

Sandemose-Klabautermann

Dies ist die erste grö­ßere Erzäh­lung eines der bekann­tes­ten skan­di­na­vi­schen Autoren, des gro­ßen Dich­ters Axel San­de­mose (1899-1965), Sohn eines Dänen und einer Nor­we­ge­rin. Der noch auf Segel­schif­fen alle Welt­meere befah­ren hat und als Holz­fäl­ler in den Urwäl­dern Labra­dors unter­wegs war, als Torf­ste­cher in DK lebte, nach einer Reihe von klei­ne­ren Stü­cken diese hin­ter­grün­dige mari­time Psy­cho­lo­gie 1927 auf Dänisch ver­öf­fent­lichte (1932 über­ar­bei­tet auf Nor­we­gisch), was der mutige kleine Ber­li­ner Safari-Ver­lag (auf Aben­teuer-Lite­ra­tur spe­zia­li­siert) schon 1928 auf Deutsch her­aus­brachte. San­de­mose ging 1930 aus DK nach Nor­we­gen und schrieb fortan auf Nor­we­gisch, dabei das epo­chale »Der Wer­wolf« ver­fas­send, 1982 vom ver­dienst­vol­len DDR-Ver­lag Volk & Welt in Deutsch her­aus­ge­bracht. Lei­der sind ins­ge­samt nur 4 sei­ner 19 Werke ins Deut­sche über­setzt, dar­un­ter das groß­ar­tige »Ein Flücht­ling kreuzt seine Spur« (1933; es wurde 1973 von Volk & Welt auf Deutsch ver­öf­fent­licht), in dem er das seit­dem in Skan­di­na­vien berühmte »Jan­tel­oven« (Gesetz von Jante) for­mu­lierte. Das Gesetz des (däni­schen) Klein­bür­ger­tums, eine kon­for­mis­ti­sche Stei­ge­rung der zehn Gebote. Die wie­derum in der nor­di­schen Lite­ra­tur einen sol­chen Ein­fluss aus­üb­ten, dass Espen Haa­vards­holm (»Eine Liebe in den Tagen des Lichts«, das Buch über Edvard Munchs letzte Jahre) seine Bio­gra­fie über San­de­mose »Man­nen fra Jante« nannte, den Mann aus Jante. San­de­mose musste wg. sei­ner Ver­bin­dun­gen zum anti­fa­schis­ti­schen Wider­stand von 1941-45 in Schwe­den leben, 1963 wurde er für den Nobel­preis für Lite­ra­tur nomi­niert. Er starb 1965 nach sei­ner Rück­kehr nach Däne­mark in Kopen­ha­gen. Er ist bis heute so popu­lär, dass sogar Ver­kehrs­flug­zeuge in Nor­we­gen nach ihm benannt und mit sei­nem Por­trät ver­se­hen wer­den. Das alles hin­dert den lei­der auch bekann­ten Viel­schwät­zer Knaus­gård jedoch nicht, San­de­mose in der Liste der wich­tigs­ten nor­we­gi­schen Autoren uner­wähnt zu lassen …

Unter dem Titel (»Kla­bav­ter­man­den«) »Kla­bau­ter­mann« (für Land­rat­ten: Eine ver­häng­nis­volle Erschei­nung auf See, deren Sich­tung Tod und Ver­der­ben für Schiff und See­leute folgt), ver­öf­fent­licht San­de­mose hier zwei klei­nere und eine tra­gende große Erzäh­lung in einem mari­ti­men Rah­men, der noch vom Erle­ben der Segel­schiff­fahrt geprägt ist. Wo man nach einem Atlan­tik-Höl­len­ritt bei wid­ri­gem Wind 28 Tage von Ska­gen bis Hel­sin­gör brauchte, auf­grund des Geiz des Skip­pers mit madi­gem Brot und ver­faul­tem Was­ser an Bord.

Es ist hier die Geschichte des altern­den Kapi­täns Klinte, der nach unbe­frie­di­gen­der Ehe und dem Tod sei­ner Frau in elen­der Ein­sam­keit kur­zer­hand die 20-jäh­rige Haus­toch­ter Anna auf sein Schiff »Ariel« ent­führt. Trotz Gewalt­an­wen­dung und Ver­ge­wal­ti­gung gelingt es jedoch Anna das Szep­ter auf dem Schiff zu erobern. Einem Schiff, auf dem jedes Frau­en­zim­mer noch als Unglück galt und von sexu­ell aus­ge­hun­ger­ten gro­ben See­leu­ten aus DK, Finn­land und GB geführt wird. Deren Sehn­süchte und Span­nun­gen der mona­te­lan­gen Ent­beh­run­gen auf See sich immer wie­der in mör­de­ri­schen Prü­ge­leien ent­la­den. Wo der (ein­zige) Jüte (die Ost­frie­sen Däne­marks) aber auch der fremd­ar­tig wir­kende Finne an Bord kei­nen leich­ten Stand haben. Wo die Ohn­macht gegen­über Krank­heit und selbst klei­ne­ren Wun­den Tod und See­be­stat­tung zur Folge haben. – Ein­drucks­voll auch die Erzäh­lun­gen der See­leute, …«der Rah­men um das Bild war das Meer«. Auf dem Schiff blei­ben allen nur Erin­ne­run­gen, an die Knei­pen in Däne­mark, die Huren in Bra­si­lien, die licht­hel­len Färöer, die Nord­lich­ter Islands und Ork­an­nächte auf dem Atlan­tik. Und Anna wird inzwi­schen von der Mann­schaft gera­dezu vergöttert.

Anna, die in der Hölle der Gewalt in der klei­nen Kapi­täns­ka­jüte lernt, das man alles aus­hält, solange die Hoff­nung bleibt, bringt auf See sogar ihren Sohn Vik­tor zur Welt, der fortan zum Beob­ach­ter wird und den die Segel­schiff­fahrt und ihre Men­schen, ihre Geräu­sche die ers­ten Lebens­jahre leh­ren. – Anna wird aber nicht nur die Beherr­sche­rin ihres unglück­li­chen Man­nes (der Schif­fer hei­ra­tet sie im fer­nen Süd­ame­rika), sie ret­tet ihn sogar vor dem Selbst­mord und beherrscht fortan das ganze Schiff: »Liebe und Eifer­sucht ban­den die Matro­sen an das Deck der Ariel fest« – völ­lig unge­wöhn­lich bleibt die ganze Mann­schaft dem Scho­ner über Jahre verbunden.

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Axel San­de­mose, 1963 – Photo: Leif Ørne­lund
https://​www​.the​pa​ris​re​view​.org/​b​l​o​g​/​2​0​1​5​/​0​2​/​1​1​/​t​h​e​-​l​a​w​-​o​f​-​j​a​n​te/

Was nichts daran ändert, dass im Kapi­tän der Trieb lau­ert, aber auch Anna (und ein Mann­schafts­mit­glied) nicht frei von ero­ti­scher Span­nung sind. Gösta, der hei­mat­lose, gera­dezu vogel­freie Finne, ein Exot in der Mann­schaft, wird ihr Favo­rit. Dass Anna fest­stellt, dass ihr Sohn Vik­tor gar nicht vom Kapi­tän stammt, ihre alte Liebe Kurt sich in Hel­sin­gör aber als eine ein­zige Ent­täu­schung ent­puppt. Sie möchte lie­ber in der Hölle sein, als in einem Him­mel, wo Du bist, schleu­dert sie Kurt ent­ge­gen, der sie einst ver­führt hat. Was alle Betei­lig­ten auf den Mikro­kos­mos »Ariel« zurück­bringt, wo die Sehn­süchte des Lebens sich schließ­lich kata­stro­phal Bahn schaf­fen. Bis dass der Kla­bau­ter­mann kommt und die Ariel mit Mann und Maus verschlingt.

Davor bringt der Autor Sar­kas­ti­sches zum Moral­be­griff (S. 193), spöt­ti­sche Ero­tik (»Sie war groß und stark und hatte eine Brust wie ein Volks­lied«) und über zu viele Göt­ter: »Aber die vier Gro­ßen kenne ich sogar bei Namen« lässt er Gösta spre­chen: »Odin, Venus, Mam­mon und der Hei­lige Geist.« – Das alles ist groß­ar­tig, packend zwi­schen Seg­ler­ro­man­tik und Frau­en­schick­sal. Auch wenn dies San­de­mo­ses erste volle Erzäh­lung ist und er quasi für seine spä­te­ren gro­ßen Romane übt, sie ist bereits exzes­siv und expres­siv erzählt, bleibt auf­grund der Schick­sale und Emo­tio­nen im Gedächt­nis. Anna ist noch nicht die ero­tisch-exzes­sive beherr­schende Frau­en­ge­stalt der Feli­cia des Wer­wolfs, aber schon unge­wöhn­lich genug.

Ich habe den »Kla­bau­ter­mann« mit größ­tem Ver­gnü­gen in zwei Tagen über Weih­nach­ten »ver­knus­pert« und kann nur Hen­ning Man­kell (»Treib­sand«) zitie­ren: »Wir lasen unse­ren Sandemose …«

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2018 rezensiert, Aksel Sandemose, Dänemark, Norwegen, Seefahrt