Lew Tolstoi
» Der Tod des Iwan Iljitsch
Autor: | Lew Tolstoi (Russland, 1886) |
Titel: | Der Tod des Iwan Iljitsch |
Ausgabe: | Rütten&Löning, DDR, 1970 |
Erstanden: | Antiquarisch |
Es ist eine der späten Erzählungen des großen Russen Tolstoi, die ich aus der wunderschönen DDR-Ausgabe von Rütten&Löning, zusammen mit meinem Literaturkreis gelesen habe. In diesem Band sind als weitere Erzählungen auch die bestechend-schaurige »Kreutzersonate« und »Der Teufel« enthalten.
Tolstoi nimmt den frühen Tod eines mittelhohen Justizler des großen Beamtenheeres des späten Zarenreichs zum Anlass, der Gesellschaft ihre moralische Verworfenheit vorzuhalten. Der von Magenkrebs geplagte Staatsanwalt Iwan Iljitsch, der seine Position wesentlich dem »Vitamin B« zu verdanken hatte, stellt im Todeskampf fest, wie falsch sein gesamtes Leben und wie verlogen Ideale und Ziele waren. Seine Krankheit kann man als Synonym für sein inneres Unwohlsein sehen.
Seine Mitmenschen, selbst seine Frau, können seinen Tod gar nicht abwarten, um sich daran zu bereichern. Der einzige Mensch mit echtem, Trost spendenden Mitgefühl, ist ein Bediensteter, ein Bauernbursche, in direktem menschlichen Kontakt mit dem Todkranken. Das zeigt besonders deutlich, dass die völlig saturierte Oberschicht nur auf Erfolg reagieren kann, nicht jedoch auf Schwäche, geschweige denn Krankheit.
In der Literaturkreis-Diskussion wurde die auf die Oberschicht des Zarismus gemünzte Kritik mühelos auf die heutige Gegenwart übertragen, »das ist heute doch auch so?«
Eigentlich erschreckend, denn Iwan Iljitsch stirbt in einer faulen, oberflächlichen, genusssüchtigen Welt vor 140 Jahren, in der er am Ende vor der Sinnlosigkeit seines Lebens erschrickt, in der die seelischen Qualen schlimmer als die körperlichen sind.
Nur das Verständnis, dass sein Sohn ihm entgegenbringt, kündet ihm am Ende seines Lebens ein fernes Licht.
Eigentlich furchtbar, dass sich solche Verhältnisse vor rund 140 Jahren in der russischen Zarendikatur gleichermaßen in unserer heutigen Gesellschaft wiederfinden. Ein Beleg für die Aktualität dieses großen Erzählers – und ein trauriges Signal über Zustände in der heutigen Gesellschaft.
Sehr empfehlenswerte Weltliteratur!
2019 rezensiert, Berlin/DDR, Gesellschaftskritik, Lew Tolstoi, Russland, Zarenreich