
Grigorij Baklanow
» Ein Fußbreit Erde
Autor: | Grigorij Baklanow (UdSSR 1959) |
Titel: | Ein Fußbreit Erde |
Ausgabe: | Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1960 |
Übersetzung: | Hedy Pross-Werth |
Erstanden: | Landbuchhandel Kross, Bippen |
Als ich die Endfassung dieser Rezension für meinen Literaturblog »altmodisch:lesen« begann, hatte der aktuelle Krieg in der Ukraine schon vieles verändert. Dieses Buch und diese Rezension sollen bleiben, was Gründe hat. In meinen Regalen stehen eine ganze Reihe von Büchern, überwiegend Belletristik, zum zweiten Weltkrieg, oder dem »Großen Vaterländischen Krieg« wie es auf sowjetischer, auf russischer und auf ukrainischer Seite hieß. Das hat mehrere Gründe: Mich hat immer interessiert, wie die junge Sowjetunion, kaum 20 Jahre industrialisiert, von Interventionskriegen geschwächt, mit einer unzureichend ausgestatteten Armee, die zudem durch die Terrorwellen des Stalin-Regimes nahezu enthauptet war, wie die es geschafft hatte, die Hauptlast des Krieges gegen den Faschismus zu tragen, die Nazihorden zu besiegen.
Dann kommt dazu: Das Sujet hat im sowjetischen Kulturraum hervorragende Literatur entstehen lassen. Dazu zählen das eher heroisierende »Der wahre Mensch« von Boris Polewoi oder das nachdenkliche, anrührende »Ein Menschenschicksal« von Michail Scholochow. Das interessante dabei, dass nach einer frühen Phase von heroisierenden und selbst Stalin lobpreisenden Werken ein ganz anderer Tenor in die sowjetische Kriegsliteratur einzog: »der verfluchte Krieg«, sein schreckliches Morden, was die sowjetischen Menschen nicht wollten, wozu sie, als Preis ihrer Existenz gezwungen waren. Mit zu den besten in diesem Sinn zählt die Novelle »Im Morgengrauen ist es noch still« des Boris Wassiljew und »Die Wolowkolamsker Chaussee« von Alexander Bek, Grundlage für den Textzyklus von Heiner Müller. Natürlich völlig anders reflektiert, Jahrzehnte später, Werke wie das mit einem Vorwort des Ex-Bundeskanzlers Schmidt versehene »Mein Leutnant« des großartigen Daniil Granin. Oder »Der Krieg hatte kein weibliches Gesicht«, der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch.
All diese Bücher unterstreichen den damaligen Satz des Ernest Hemingway: »Jeder Mensch, der die Freiheit liebt, hat der Roten Armee mehr zu verdanken, als er jemals in seinem Leben bezahlen könnte.« (zitiert nach: https://neuntermai.vvn-bda.de/uber-uns/) Einer der wenigen sowjetischen Kriegsromane, die auch im Westen Deutschlands veröffentlicht wurden ist dieses »Ein Fußbreit Erde«; fast alle anderen sowjetischen Werke zum 2. Weltkrieg wurden (bis 1989) nur in der DDR herausgegeben. Es sind derart prägnant-eindringliche Schilderungen des Kriegsgeschehens im 2. Weltkrieg in diesem Buch, aus der Sicht des einfachen Menschen, des schlichten Rotarmisten. Es schockiert geradezu mit dem extremen Wechsel zwischen Leben (in Kampfpausen) und dem Tod des Kameraden, der eben noch nebenan war. Baklanow schreibt über Schützengrabenalltag, die Menschen unter dem Helm, Sterben und Zerstörung in der Hitze Moldawiens 1944. Man fragt einander: Was warst Du vor dem Krieg? Wortmächtiges, Assoziationen eines Liedes, flirtendes Wareniki-Backen mit einem weiblichen Unterleutnant. Und dann: Menschenreste in einem Trichter – Volltreffer! Ein Fußbreit Erde wird mit Remarques (Anti-)Kriegsbuch »Im Westen nichts Neues« verglichen, durchaus passend. Es ist eine wichtige, eine verstörend eindrucksvolle Erinnerung: 75 Jahre nach 1945!
Exzellent
2. Weltkrieg, 2022 rezensiert, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Grigorij Baklanow