Kristina Lunz
» Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch
Autor: | Kristina Lunz |
Titel: | Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch |
Ausgabe: | Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022 |
Erstanden: | von meiner Tochter, gelesen im Literaturkreis der Fürst Donnersmarck-Stiftung |
Kristina Lunz will mit ihrem Buch zeigen, wie globale Krisen gelöst werden müssen. Ihr grundsätzlicher Gedanke ist, dass Menschen in Frieden und Sicherheit leben wollen.
Wer wollte das in Frage stellen?
Das 21. Jahrhundert ist jedoch geprägt von Kriegen und Unsicherheiten. Daraus zieht sie die Schlussfolgerung, Kriege, Gewalt und Unsicherheit seien an der Tagesordnung, weil seit Jahrtausenden das Patriarchat die Welt regiere. Traditionelle (also patriarchalische) Außenpolitik könne keine gerechten und wirksamen Lösungen zu den dringendsten globalen Krisen unserer Zeit entwickeln. (S. 201)
Feministische Außenpolitik lasse die Betonung von militärischer Gewalt hinter sich und formuliere ein alternatives Verständnis von Sicherheit aus der Perspektive der Schwächsten. (S. 201)
Um diese These zu stützen, stellt sie sehr ausführlich Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit dar, wo den Schwächsten der Gesellschaft geholfen wurde. Auch über die Anfänge feministischer Außenpolitik wird gesprochen: Lunz geht ein auf die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström oder Chandra Mohanty, Professorin für Gender Studies in den USA.
Auch die deutsche Regierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zur feministischen Außenpolitik.
Feministische Außenpolitik – was ist das eigentlich? Hier Aussagen von Kristina Lunz:
Kristina Lunz: »Abrüstung, Demilitarisierung und das Ende des internationalen Waffenhandels ist Kernanliegen Feministischer Außenpolitik.« (S. 327)
Realität: Die Bundesrepublik ist nach wie vor das Land mit den siebtgrößten Militärausgaben weltweit. Quelle
Kristina Lunz: »Zur Umsetzung einer deutschen Feministischen Außenpolitik gehört die Entwicklung einer außenpolitischen Friedensstrategie, die konkrete Schritte enthalten muss, damit strukturelle Ungleichheiten, militarisierte Machtverhältnisse und der große Einfluss der Verteidigungsindustrie überwunden werden.« (S. 371)
Realität: Das Haushaltsjahr 2022 sieht mehr als 50 Milliarden Euro für die Bundeswehr vor. Das entspricht einem Plus von rund 3,5 Milliarden Euro gegenüber dem Haushaltssoll 2021. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht: »Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dass wir Verteidigung wieder als eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft betrachten.« Quelle
Kristina Lunz: »Abrüstung und Rüstungskontrolle gehören zentral zu einer Feministischen Außenpolitik, genauso wie die Einstellung von Waffenexporten und -produktion. Deutschland müsste bedeutende Schritte unternehmen, um in Frieden statt in Krieg zu investieren. Zusammenfassend fordern wir daher für eine Feministische Außenpolitik in Deutschland: Berlin muss Abrüstung und eine wahrhaft restriktive Rüstungskontrolle zur Priorität machen.« (S.372)
Realität: »Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind«, heißt es im Koalitionsvertrag. Seit 2015 bombardiert ein Militärbündnis unter der Führung Saudi-Arabiens das vom Bürgerkrieg gespaltene Land Jemen am Golf von Aden. Die Vereinten Nationen berichten von 380.000 Toten, vier Millionen Flüchtlingen und etwa 19 Millionen Menschen, die Hunger leiden.
Doch mindestens indirekt beteiligt sich die Ampel an dem Krieg, indem sie weiter Waffen an das Königshaus in Riad, Saudi-Arabien, liefert. Wie in der vergangenen Woche (Anfang Oktober 2022) bekannt wurde, genehmigte das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) den Export von Ausrüstung und Munition für die Kampfjets Eurofighter und Tornado im Wert von rund 36 Millionen Euro. Quelle
Kristina Lunz: »Dass Frauen weiterhin derart ausgeschlossen sind von den Bereichen, in denen Waffenregulierung und Rüstungskontrolle besprochen wird, ist ein katastrophales Versagen von staatlicher Verantwortung.« (S. 338)
Realität: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Annalena Baerbock (Außenministerin), Christine Lambrecht (Verteidigungsministerin) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer, sowie der Deutschen wehrtechnischen Gesellschaft, Mitglied des Beirats der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Mitglied des Bundestages)?
Die Definition von Feministischer Außenpolitik zeigt also einen großen Kontrast oder auch Widerspruch zur Realität!
Warum orientiert sich Kristina Lunz zu fast 90% an amerikanischen Quellen, Beispielen und Personen? Warum geht sie auf ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Wappons / Kampagne für ein Atomwaffenverbot) und nicht auf IPPNW (Deutsche Sektion der internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges) ein?
Sie argumentiert unsauber, wenn sie den Begriff Patriarchat verwendet, aber Kapitalismus besser passen würde. (vgl. S. 42/43) Nicht das Patriarchat kennzeichnet die Jahrtausende alte Gesellschaft, sondern die wirtschaftlich Mächtigen.
Eine letzte Überlegung:
Laut offiziellen Daten des Congressional Research Service (CRS – vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages), haben die Vereinigten Staaten allein in den Jahren zwischen 1991 und 2022 mindestens 251 militärische Interventionen durchgeführt. Das entspricht durchschnittlich acht Militärinterventionen pro Jahr. Bei den Zahlen sind CIA-Operationen und Putschversuche nicht erfasst. Der wissenschaftliche Bericht dokumentiert zudem weitere 218 US-Militärinterventionen zwischen 1798 und 1990. Insgesamt sind damit 469 US-Militärinterventionen seit 1798 vom US-Kongress anerkannt worden. Quelle
- Geht es bei diesen militärischen Interventionen um das Patriarchat oder den Imperialismus?
- Sind Frauen grundsätzlich friedfertiger?
Dazu einige Beispiele;
- Katharina die Große (1729-1796): Kaiserin von Russland, sie führte das System der Leibeigenschaft ein, führte Kriege, expandierte.
- Maria Theresia (1717-1780): Erzherzogin, Königin, Kaiserin von Österreich, Ungarn, Böhmen: Die Regentin führte mehr als die Hälfte ihrer vierzigjährigen Regierungszeit Krieg.
- Margaret Thatcher (1925-2013): Premierministerin des Vereinigten Königreichs.: Der Sieg des britischen Militärs im Falklandkrieg (1982) zementierte ihren Ruf als Eiserne Lady.
- Madeleine Albright (1937-2022): US-Außenministerin: Madeleine Albright, die erste weibliche US-Außenministerin, ist gestorben. Sie hat nichts für Frauenrechte getan, aber viel für den Massenmord in Irak und Jugoslawien.
Quelle: https://www.marx21.de/madeleine-albright-die-fratze-des-krieges/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=madeleine-albright-die-fratze-des-krieges - Liz Truss (1975 -): nur 6 Wochen Premierministerin des Vereinigten Königreichs: Liz Truss hat dem Verteidigungsministerium für die kommenden Monate und Jahre zusätzliche 157 Mrd. Pfund (ca. 180 Mrd. Euro) zugesagt.
Trotz der Kritik habe ich das Buch gerne gelesen, denn Kristina Lunz stellt neue feministische Ansätze in der Politikwissenschaft vor und ebenso informative Porträts von feministischen Aktivistinnen. Auch ihr Bericht über den Frauenfriedenskongress (1915) ist sehr informativ. Dennoch fehlen mir hier Namen von Frauen, die zu diesem Zeitpunkt sehr aktiv waren: Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Alexandra Kollontai.
Vielleicht sind die Überlegungen von Kristina Lunz eine Utopie, ein Entwurf einer möglichen, zukünftigen Gesellschaftsordnung?
Abschließend eine rhetorische Frage aus meinem Literaturkreis: Warum sprechen wir nicht von humanistischer Außenpolitik?
Margret Hövermann-Mittelhaus
2022 rezensiert, Feminismus, Kristina Lunz, Patriarchat, Politik, Ullstein Verlag