Bernardine Evaristo
» Manifesto – Warum ich niemals aufgebe
Autorin: | Bernardine Evaristo |
Titel: | Manifesto Warum ich niemals aufgebe |
Übersetzerin: | Tanja Handels |
Ausgabe: | Cotta'sche Buchhandlung, 1. Auflage 2022 |
Erstanden: | antiquarisch |
»Es war ein langer Weg seit meiner Kindheit in den Sechzigern, als meine Familie zur Zielscheibe rassistischer Übergriffe wurde, die mit einem Haus voll kleiner Kinder verfuhren, als handelte es sich um ein feindliches Lager im Kriegsgebiet.« (S. 239).
Ähnliche Aussagen lassen sich in dem Buch »Manifesto« von Bernardine Evaristo immer wieder finden. Aber es geht hier nicht nur um Rassismus, sondern um viele unterschiedliche Themen: Feminismus, Sexualität, Aktivismus, ihre positive Lebenseinstellung und als Fazit der Darstellung ihr Manifest. Sie betont in ihrer Darstellung immer wieder, dass sie auf unterschiedlichen Ebenen gekämpft hat, und sie so die Visionen für verschiedene Communitys mit einander verknüpft hat: »als Frau, als Person of Colour, als Kind der Working Class beziehungsweise der Brown Immigrant Class und neuerdings auch als ältere Frau.« (S. 231).
Bernardine Evaristo ist im Jahr 2019 für ihren Roman »Mädchen, Frau etc.« mit dem Booker Prize, dem neben dem Nobelpreis berühmtesten Literaturpreis der Welt, ausgezeichnet worden. Und damit nahm ihre Karriere Fahrt auf, denn der Roman wurde in über 50 Sprachen übersetzt. Seitdem wird sie immer wieder als »die Erste« bezeichnet. Denn sie ist die erste schwarze Schriftstellerin, die den Booker Prize erhalten hat. Sie ist die erste Britin of color, die an der Spitze der „Fiction Paperback“-Bestsellerliste stand, sie ist die erste Autorin of color und zweite Frau auf dem Posten der Präsidentin der Royal Society of Literature und Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London. Auch ich habe die Autorin über diesen Roman kennen gelernt, hier nachzulesen: und war dann sehr neugierig, ihre Lebensgeschichte zu lesen. Bewundernswert ist diese Karriere, wenn man weiß, wie die Autorin aufgewachsen ist!
Aber nun von Anfang an. Ihr Vater kommt aus Nigeria und hat im Süden von London als Schweißer gearbeitet. Ihre Mutter ist Britin, eine weiße Grundschullehrerin. Sie haben 1954 geheiratet, mit der Folge, dass sie von ihrer Familie geächtet wurden. Einen Schwarzen heiratet man nicht, aber die Liebe war größer! Sie bekommen acht Kinder, Bernardine ist das vierte in der Reihe. Zunächst arbeitete die Mutter nicht in ihrem Beruf, erst als alle Kinder schulpflichtig waren, kehrte sie in die Schule zurück. Die Autorin betont, dass beide Elternteile Aktivisten waren. »Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich bin Individualistin. Ich bin Aktivistin. Ich bin unkonventionell. Das waren sie auch, aber mein Leben ist ganz anders als ihres.« Quelle
Bernardine Evaristo geht auch noch weiter in die Vergangenheit zurück, so berichtet sie über ihre Großmutter: »Mir gefällt die Vorstellung, dass meine Großmutter Feministin war, ohne zu wissen, was Feminismus eigentlich bedeutete, und betrachtete Leistungsfähigkeit als genderunabhängig. Ihre eigene Welt spielte sich innerhalb ihres Hauses ab, dem sie als Matriarchat vorstand.« (S. 52). Das ist eine Einschätzung, die mir gefällt! Sie betont, dass die Familie ihrer Großeltern in ihrem gesellschaftlichen System vorankommen wollte, aber keine Veränderung des Systems anstrebte. Ihre Eltern dagegen wollten ein diskriminierendes, Ungleichheit förderndes System verändern. Ihren Vater beschreibt sie als sehr streng und von eiserner Disziplin. Aber er war eben auch ein rebellischer Geist, ihn interessierte nicht, was die Nachbarn von ihm dachten und ebenso unkonventionell war auch die Mutter. Die Kinder sollten ihre eigenen Lebensvorstellungen erfüllen und nicht die Wünsche ihrer Eltern. Eine sehr fortschrittliche Einstellung, denn wir befinden uns in den 1960er Jahren in London.
Die Autorin beschreibt weiter ihren Lebensweg, wobei sie genauso wie in ihren Romanen auf politische Ereignisse und die gesellschaftlichen und sozialen Unterschiede eingeht. Das Theater und die Literatur werden in ihrem Leben immer wichtiger, sie zieht bei den Eltern aus, lebt in Wohngemeinschaften, entdeckt die Sexualität sowohl mit Männern als auch mit Frauen, betont aber auch, dass jede Frau die Freiheit haben müsste allein zu leben und dabei keine Ängste zu entwickeln. »Und doch war das langjährige Alleinleben für die Weiterentwicklung meines Schreibens von unschätzbarem Wert, ich genoss die Freiheit, in meinem ganz eigenen Rhythmus zu schreiben, zu jeder Tages- und Nachtzeit.« (S. 75). Jetzt hat man vielleicht den Eindruck, es sei immer aufwärts gegangen, das war aber keineswegs der Fall! Sie gesteht sich eigene Irrtümer, Fehltritte und Fehlentscheidungen ein, sowohl im privaten aber auch beruflichen Bereich. Und das immer mit Ironie, Schmunzeln und zum Teil auch mit Zynismus und scharfer Zunge.
Zum Abschluss ihrer Lebensgeschichte veröffentlicht sie »Evaristos Manifest« (S. 245). Man kann es als eine Erklärung von Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur, betrachten. Auch hier spielen die Themen Gleichberechtigung, Freiheit, Kreativität und Zusammenhalt, denn »kein Mensch kommt je allein ans Ziel« (S. 246) eine große Rolle. Aber das wichtigste in ihrem Leben dürfte das Schreiben sein! »Das Schreiben wurde mein Zimmer für mich allein; es wurde mein ewiges Zuhause.« (S. 89).
Eine Autorin mit sehr optimistischer Lebenseinstellung, ankämpfend gegen gesellschaftliche Widerstände, eine Autorin, die auch aus ihrem Scheitern lernt und betont, niemals aufzugeben, vor allem nicht als Schwarze Autorin. »Die Bezeichnung ‚Schwarze Autorin‘ trage ich mit Stolz, denn in einer rassifizierten Gesellschaft ist es meines Erachtens notwendig, sich auf diese Erzählungen zu konzentrieren.« Quelle
Sehr lesenswert!
Margret Hövermann-Mittelhaus
2024 rezensiert, Bernardine Evaristo, Cotta‘sche Buchhandlung, Feminismus, Rassismus, Sexualität