
Peter Schneider
» An der Schönheit kann´s nicht liegen
Autor: | Peter Schneider (Deutschland, 2015) |
Titel: | An der Schönheit kann’s nicht liegen |
Ausgabe: | Kiepenheuer & Witsch, 2015, 1. Auflage |
Erstanden: | Antiquarisch |
Bluff. Ich bin immer neugierig auf Berlin-Bücher, über die Stadt meiner Eltern und Großeltern, über meine Heimat. Eher selten habe ich mich so über eines geärgert, wie das des Autors Peter Schneider, das beansprucht, »Porträt einer unfertigen Stadt« zu sein.
Da wird z.B. das Merkmal der Verdichtung und Gentrifizierung zur »Errungenschaft des Dachausbaus«, wovon der Osten erst später beglückt wurde. Tatsächlich ist es ein Merkmal unersättlicher Spekulation, von Vertreibung und Verdichtung. Und in Zeiten der Klimakatastrophe ein baupolitischer Irrweg.
Der Mief aus Ofenheizungen ist bei Schneider nur wegen der Braunkohle im Osten ein Problem, als wenn der Smog einen Umweg über den Westen gemacht hätte,
Die Wandlung der Stadt in eine gesichtslose Moderne, die er (2015!) auf in 10-15 Jahre verschiebt, findet aktuell statt, 70 (!) uniforme Shoppingcenter grinsen dazu.
Wenn Schneider richtig von einer Berliner Architekturdebatte schreibt, bringt er es fertig, die massiv drängenden Investoren-Interessen dahinter zu ignorieren. Dafür fabuliert er von einem Show-Wert des Potsdamer Platzes, dem mit Abstand totesten Flecken der Glas- und Betonmoderne in Berlin. Wobei unter dem Platz eher die S-Bahn rumpelt, nicht die U-Bahn, was er als offenbar bekennendes Autofahrer-Fossil wohl gar nicht weiß. Edzard Reuters Immobilienspekulation an eben diesem Platz hält er für weitsichtige politische Visionen, nackte Spekulation mit Millionen Wertsteigerungen war es real. Wenn er gar von neu erbauten Stadtteilen spricht, meint er wohl die ab 19:00 verödeten Büroviertel in Mitte. Aber die Berliner hätten den Platz längst angenommen, die Berliner? Die Touristen!
Für das moderne Ghetto Gropiusstadt sieht er nach dem Mauerfall »neue Möglichkeiten«. Die Realität, die er offensichtlich nicht kennt, findet man in Felix Lobrechts »Sonne und Beton« (hier).
Zustimmen muss man ihm, dass in Ostberlin mehr als im Westen berlinert wird, was auch daran liegt, dass der Dialekt seinerzeit im Westen im Alltag, in Behörden und Schulen verpönt war. Das kann Schneider nicht wissen, ist er doch erst 1962 aus Freiburg nach Berlin gekommen. Dagegen erzählt er seitenlang von Glück und Freiheit zweier polnischer Zahnärzte, die die Freiheit und ihr Auskommen bei der US-Army fanden.
Dafür erzählt er lange von dem Nachtklubbesitzer Rolf Eden, einem kulturellen Fossil, gefeiert in Springerpresse und bunten Illustrierten. Und von der »gemütlichen Trostlosigkeit« der Achtziger, wo in Wirklichkeit gar nichts trostlos war. Aber mit der auffallenden Zahl an Hunden hat er Recht.
Dann aber kommt eine hochgradig Axel Springer taugliche Stilblüte, S. 154: »Die Unterdrückung aller freiheitlichen Regungen im öffentlichem Raum hatte in der DDR zu einem vergleichsweise lockeren Umgang mit Sexualität geführt.« Aus der Sicht des katholischen Freiburgs sicher, allerdings ist seine angebliche Kausalkette hanebüchen. Das im Osten lange schon realisierte Recht auf Abtreibungen, die mehr als nur formale Gleichberechtigung von Frauen lässt er unter den Tisch fallen. Dafür aber war für ihn die Volkspolizei allgegenwärtig, was ich nach beruflich in der DDR verbrachten Jahren als Humbug bezeichne.
Naja, so geht’s weiter mit Touri- und Mittelschichtstreffs wie Berghain oder Kater Holzig, alles nett, aber alles nur »Schaufenster Berlin«, nicht reale Stadt. Die Märchen von Luftbrücke und der US-Schutzmacht (so wie in Vietnam?) dürfen nicht fehlen. Fast logisch, dass er gegen die Schließung der Innenstadt-Flughäfen Tegel und Tempelhof ätzt und die einmalige Freifläche des Tempelhofer Felds lieber den Immobilienhaien opfern würde. Seinem Lästern zur vorhandenen Gentrifizierung fehlt des Pudels Kern: die Immobilienspekulation! Und den Austausch von 2/3 der Innenstadtbevölkerung lässt er unter den Tisch fallen.
Und so geht’s weiter mit Lügen über die vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR, die Verallgemeinerung von rassistisch auftretenden Ostdeutschen in Afrika, Gewaltverbrechen in Berlin und die Diffamierung muslimischer Mitbürger in Neukölln. Der Rassist Buschkowsky lässt grüßen, ihm wird so viel Platz eingeräumt, wie sonst nur in Springer Blättern. Gelobt seien aber Schneiders Text zu Anett Kahane und die Antonio Amadeu Stiftung. Man kann sich über die Texte zum jüdischen Friedhof und zum Kunstsammler und Mäzen James Simon freuen. Ich hätte aber Anmerkungen erwartet, dass dessen Geld auch durch simple Ausbeutung der Firmenmitarbeiter zusammen gekommen ist. Aber solch schnöde Realität stört die heile Welt des Feuilletons.
Je länger man liest, desto mehr hat man das Gefühl, das kennst Du doch! Um zu resümieren: Das ist mitnichten ein Porträt der Stadt, nicht einmal der Versuch eines solchen. Das ist einfach das zwischen Buchdeckel gepresste Reycling alter Feuilleton-Texte des Autors, vorzugsweise aus dem neoliberalen Tagesspiegel. Den er auch diensteifrig als einzige Hauptstadt-Zeitung lobt, man beißt ja nicht die Hand, die einen füttert.
Dass er »Westberliner« ist, merkt man geradezu penetrant durchs ganze Buch. Besonders mit der weitgehenden Ignoranz des Lebens der Ostberliner wird das auffallend. Die Zerstörung des »Palast der Republik« zugunsten der Wiederherstellung des Preußenschlosses war eben nicht nur vom Bundestag der Stadt Berlin auf-oktroyiert, Es wurde im ganzen Osten direkt als kaltschnäuzige Zerstörung eines Identifikationsmerkmals der Stadt empfunden. Ganz zu schweigen von der groben Lüge, dass Normalbürger in »Erichs Lampenladen« nicht hinein kamen.
Insgesamt hat er einfach diese Stadt nie wirklich verstanden. Er war und blieb ihr immer fremd, »ein Wessi auf Urlaub«, bequem ins warme Feuilleton-Eckchen gekuschelt. Kaum zu glauben, dass der Verfasser einmal Sinnvolles wie »Und schon bist Du ein Vefassungsfeind« oder »Der Mauerspringer« geschrieben hat. Dass der Mann so tief in Super-Illu kompatible Werturteile und Gemeinplätze über die Stadt herabsinken kann.
Das ist weder ein »Berlin-Buch«, noch ein Porträt dieser Stadt, das ist einfach nur grottenschlechte Leser-Täuschung!