
Jewgeni Samjatin
» Wir
Autor: | Jewgeni Samjatin (UdSSR, 1920) |
Titel: | Wir |
Ausgabe: | Kiepenheuer & Witsch (1968) |
Erstanden: | Antiquartisch vom Landbuchhandel Kross, Bippen |
Das Buch des Kommunisten und Teilnehmer an der Revolte auf dem Panzerkreuzer Potjomkin gilt als Vorläufer von Huxleys »Brave new world« und Orwells »1984«. Für mich vereint es die Elemente der technischen Utopie, verkörpert durch den Erzähler, den Konstrukteur des ersten Raumsschiffs, der Integral, mit dem der sozialen Utopie. Eine scheinbar perfekte Gesellschaft mit kompletter Transparenz (Glaswände aller Gebäude!) und komplett geregeltem sozialem Leben, inclusive dem Sexual- und Familienleben. Eine Gesellschaft, die aber ihrerseits keine Abweichungen von der Norm gestattet und dies durch die »Beschützer« genannte Geheimpolizei regelt. »Wir« ist auch die Geschichte eines immer mehr zweifelnden Intellektuellen, angetrieben durch die »ungeregelte« und unbotmäßige Liebe zu einer Frau, die den Gegenentwurf zur schein-perfekten Gegenwart verkörpert, ein Entwurf, der offenbar jenseits einer Mauer noch existiert. Die Säulen der perfekten Gleichschaltung sind ähnlich pervers gegenteilig betitelt wie in Orwells 1984: »… daß die Quelle der Wahrheit die Macht, die Wahrheit also eine Funktion der Macht ist.« – Ein Satz, den uns die neoliberalen Mainstreammedien tagtäglich hohngrinsend entgegen schlagzeilen.
Die Rebellion scheitert, der Konstrukteur wird verraten durch eine (regimetreue) Frau und – wie seine rebellische Geliebte – der »endgültigen Operation« zugeführt. Das Ende einer in philosophisch-mathematische Erörterungen eingebetteten Geschichte, die extrem frühzeitig vor dem Entstehen einer Diktatur aus technischen Normen warnte.
Also genau vor dem, dem sich heute die sich selbst normierenden Nutzer der Amazon-Facebook-Smartphone-Whatsapp-Instagram-Autokratie scheinbar freillig an den Hals werfen.
Sehr lesenswert
2016 rezensiert, Diktatur, Gleichschaltung, Jewgeni Samjatin, UdSSR, Utopie