Skip to main content
Ehrenburg-Fall-von-Paris

Ilja Ehren­burg
» Der Fall von Paris

Autor:Ilja Ehren­burg (UdSSR, 1952)
Titel:Der Fall von Paris
Aus­gabe:Volk und Welt, Berlin/DDR, 1962
Über­set­zung:Hans Ruoff
Erstan­den:Anti­qua­riat »Bücher­wurm«, Bippen

Ehrenburg-Fall-von-Paris

Die­ses Buch Ehren­burgs (1891-1967), den ich als Autor sehr schätze, habe ich eher mit gemisch­ten Gefüh­len gele­sen, Frank­reich und seine Haupt­stadt kannte er aus jahr­zehn­te­lan­gem Leben dort. Warum gemischte Gefühle?

Ehren­burg beschreibt Paris von der Zeit des Jubels über die fran­zö­si­sche Volks­front bis zu deren Nie­der­gang, der fak­ti­schen Unter­stüt­zung der Franco Put­schis­ten im benach­bar­ten Spa­nien, dem innen­po­li­ti­schen Roll­back mit­samt Ille­ga­li­sie­rung und Straf­ver­fol­gung lin­ker Orga­ni­sa­tio­nen, der erfolg­rei­che Streik von 1936 und sein kom­plet­tes Roll­back, der Teil­habe am Appease­ment gegen­über den Nazis bis hin zur fak­ti­schen Wehr­lo­sig­keit gegen­über der deut­schen Aggres­sion, dem Ein­marsch und dem Fall von Paris.

Wobei eine mas­siv besto­chene Presse ihre trübe Rolle spielte.

Dabei ver­tritt der Autor die These, dass diese Ent­wick­lung im Wesent­li­chen Schuld bür­ger­li­cher und rech­ter Poli­ti­ker ist. Das ver­knüpft er geschickt mit bewe­gen­den Schick­sa­len ein­zel­ner Prot­ago­nis­ten, macht in den han­deln­den Per­so­nen Geschichte prä­sent, span­nend, anschau­lich, mit viel Pari­ser Flair, soweit, dass man ange­sichts eige­ner Erin­ne­run­gen an diese Stadt seuf­zen muss: »Nur der Mond hing über dem Dach wie eine ver­ges­sene Laterne, und die Kater schrien«.

Wobei man sehr auf­pas­sen muss, ange­sichts ver­wi­ckel­ter Erzähl­pfade und der Samm­lung sehr bun­ter Cha­rak­tere nicht die Über­sicht zu ver­lie­ren, wie­der ein Werk, dem ein Per­so­nen­ver­zeich­nis gut getan hätte. Ande­rer­seits fühlt man sich an vie­len Stel­len mit­ten­drin im Gesche­hen, beson­ders in der posi­ti­ven Auf­re­gung und Hoff­nung nach Zustande kom­men der Volks­front­re­gie­rung, bit­ter ent­täuscht in den Fol­ge­jah­ren. Er fällt harte Urteile, z.B. zu einer Rede von Dal­adier (franz. Pre­mier): »Zuwei­len hörte man aus sei­ner Stimme die Trä­nen des klei­nen Gym­na­si­al­leh­rers, der von allen an der Nase her­um­ge­führt wurde, aber kraft sei­nes Schick­sals gezwun­gen war, den Napo­léon zu spielen«.

Merk­wür­dig finde ich seine Dar­stel­lung der Poli­tik die­ser Zeit, die sich nahezu aus­schließ­lich an füh­ren­den poli­ti­schen Per­sön­lich­kei­ten die­ser Zeit ori­en­tiert. Als hätte es keine Par­teien, keine Pro­gramme, keine poli­ti­schen und Gewerk­schafts­be­we­gun­gen gege­ben. Es fes­tigt sich ein Ein­druck einer für schreck­li­chen »Per­so­nen­ge­schichte« aus längst ver­gan­ge­ner Zeit, die die wirk­li­che Poli­tik igno­riert – schwer ver­ständ­lich, wenn man Ehren­burgs Hin­ter­grund betrach­tet. Dabei wirkt das oft so authen­tisch, dass man sich selbst des öfte­ren zwi­cken muss – hoppla, wie­weit gehe ich jetzt Ehren­burg auf den Leim und ver­liere die Distanz zu einer Geschichte, die man auch anders sehen kann?

600px-Ilya-Ehrenburg-Russian-writer
Ilja Ehren­burg | Quelle | Crea­tive Commons

Gele­sen habe ich es sehr sehr gerne, man sollte sich zuvor aber schon mal näher mit den wesent­li­chen poli­ti­schen Ereig­nis­sen und Strö­mun­gen die­ser Zeit ver­traut machen, die setzt der Autor vor­aus. Der sich sei­ner­seits wenig mit Pro und Kon­tra bestimm­ter Posi­tio­nen aus­ein­an­der­setzt, inse­son­dere Erfol­gen und Ver­sa­gen der Volks­front­re­gie­rung im Einzelnen.

Ande­rer­seits ist es ja ein Roman und kein Sach­buch, Ehren­burg malt Stim­mungs­bil­der aus Frank­reich 1936-40, er betreibt keine Geschichts­schrei­bung; wobei man zu de Gaulle defi­ni­tiv mehr hätte hören müssen.

»Alle wuss­ten, dass, an der Spitze des Lan­des unbe­deu­tende, klein­mü­tige Men­schen stan­den, die zu jedem Ver­rat fähig waren«, lässt er eine Arbei­ter­ver­samm­lung Ende der drei­ßi­ger spre­chen und zeigt – wie fast durch­gän­gig – die Liebe des Autors zu die­sem Land und sei­nen Kum­mer um das Gesche­hen. Er malt Bil­der eines in sich tief gespal­te­nen Frank­reichs, das gegen die Nazis eigent­lich nur ver­lie­ren konnte.

So ist es ein Buch mit einem sehr bit­te­ren Ende, dem besetz­ten Paris, in dem die Deut­schen im Bis­tro sofort Schil­der auf­hän­gen las­sen: »Juden wer­den hier nicht bedient«.

Ein durch­aus wider­sprüch­li­ches Buch, viele packende Stel­len, aber auch eines, was den Leser oft zwei­felnd und rat­los hin­ter­lässt, als Roman:

Nicht so ganz gelun­gen, aber gut lesbar.

2. Weltkrieg, 2019 rezensiert, Daladier, Ilja Ehrenburg, Paris, UdSSR, Volksfront