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Leonora-Christina

Grä­fin Leo­nora Chris­tina Ulfeldt
» Jam­mers Minde

Autor:Grä­fin Leo­nora Chris­tina Ulfeldt (Däne­mark, 1686)
Titel:Jam­mers Minde
Aus­gabe:Kösel Ver­lag 1968
Über­set­zung:Hanns Grös­sel
Erstan­den:Anti­qua­risch vom »Bücher­wurm« Michael Kross

Leonora-ChristinaJam­mers Minde ist dänisch und kann mit »Lei­den­s­er­in­ne­run­gen« über­setzt wer­den. Es ist nicht nur einer der ältes­ten däni­schen Pro­sa­texte, es sind auch die ein­zig­ar­ti­gen Auf­zeich­nun­gen, der Grä­fin (von Schles­wig-Hol­stein) Leo­nora Chris­tina (LC), die auf­grund einer Hof­in­trige 22 (!) Jahre im Gefäng­nis saß. Die nie auf­gab, die dort gear­bei­tet, geschaf­fen und ein bemer­kens­wer­tes Zeug­nis über diese Lei­dens­zeit hin­ter­las­sen hat. Und das als Mut­ter von zehn Kindern!

Gele­sen habe ich das im Urlaub auf der däni­schen Ost­see­insel Born­holm, dop­pelt pas­send, denn in der dor­ti­gen Feste Ham­mers­hus war sie – mit ihrem Mann Coritz Ulfeldt – 17 Monate inhaf­tiert. Ihr eige­ner Sohn bringt spä­ter den dama­li­gen Fes­tungs­kom­man­dan­ten um, wozu sie (Ori­gi­nal!) schreibt: »Wie Fux mit uns in unse­rem Gefäng­nis auf Bor­ring­holm gehand­let, weiß Gott. Das ist nu vor­bei, und ich gedenke des nicht mehr.«

Im Jahr 2011 wurde nach LC die dama­lige wich­tigste Born­holm-Fähre benannt. Eine hoch­um­strit­tene Ent­schei­dung, weil auf der Insel viele LC (genauer: ihren Mann) für eine Ver­rä­te­rin an den Born­hol­mern hiel­ten, andere für eine Patrio­tin – das ist jedoch eine andere Geschichte, die aber zeigt, dass LC selbst heute in Däne­mark höchst aktu­ell ist.

Auf­fal­lend im Text finde ich, wie sie voll­stän­dig von ihrer Unschuld über­zeugt ist, die Hoff­nung (fast) nie auf­gibt und welch hohe Qua­li­tät ihre Auf­zeich­nun­gen auf­wei­sen. Eini­ges im Text ist auf Deutsch bzw. Platt geschrie­ben. – Mit reich­lich Raf­fi­nesse ver­tei­digt sie sich mehr­fach in Ver­hö­ren, in die Umtriebe ihres Man­nes ein­ge­weiht gewe­sen zu sein. Immer­hin wer­den ihr als Grä­fin lau­fend (Dienst-)Frauen gestellt, die sie aller­dings auch aus­hor­chen sol­len. Diese wech­seln aber über die Jahre des öfte­ren, für sie recht unter­schied­li­che Gefähr­tin­nen. Einer über 60-jäh­ri­gen lehrt LC sogar lesen; sie erhält spä­ter sogar Zei­tun­gen. Ihre Haft­räume waren zunächst gelinde gesagt übel, Vor­gän­ger hat­ten sich an den Wände und in Boden­lö­chern erleichtert…

Gebete und Bibel­verse sind ihr eine große Hilfe, sie darf an ihre Kin­der schrei­ben, dich­tet viel­fach ein­drucks­volle Verse, Gedichte, über­setzt in 5 (!) ver­schie­dene Spra­chen. Ver­blüf­fend wie sie trotz anfäng­li­cher Lei­bes­vi­si­ta­tion so viele Schmuck­stü­cke ver­ste­cken kann, um sich immer wie­der Haft­er­leich­te­run­gen zu ver­schaf­fen. Nach ca. einem hal­ben Jahr erhält sie Mate­rial und Werk­zeuge, sich zu beschäf­ti­gen, sie näht, klöp­pelt und bas­telt, tw. höchst erfin­de­risch, ver­schafft sie sich Schreib­zeug. Der Beginn ihrer Auto­bio­gra­fie und eines Buchs über berühmte Frauen, Berichte über »Nach­bars-Gefan­gene, aus ein­fachs­ten Din­gen baut sie einen Webstuhl.

Mit dem Sin­ken des Sterns ihrer Wider­sa­che­rin, der (Ex-)Königin Sophie Ama­lie, wird ihr Haft­le­ben deut­lich leich­ter. Am 19. Mai1685 wird sie nach deren Tod, nach 22 Jah­ren frei­ge­las­sen. Sie lebt noch 13 Jahre und stirbt 1698 mit 77 Jah­ren auf Lol­land. Und allein die Geschichte des rund 100 Jahre ver­schol­le­nen Manu­skripts von »Jam­mers Minde« wäre eine eigene Story wert.

Dass sie wohl die Umtriebe ihres Man­nes ver­harm­lost hat – was tut’s ?

Das Buch ist nicht immer leicht oder span­nend zu lesen, aber ein bemer­kens­wer­tes, gera­dezu ein­zig­ar­ti­ges Lei­dens­zeug­nis aus alter Zeit. Erfreu­li­cher­weise ist dies auch eine unge­kürzte Fas­sung und ein his­to­risch hilf­rei­ches Nach­wort erleich­tert das Verständnis.

Höchst bemer­kens­wert

2019 rezensiert, Bornholm, Coritz Ulfeldt, Dänemark, Geschichte, Gräfin Leonora Christina, Königin Sophie Amalie