Skip to main content
Nelson

W.G.Truchanowski
» Nel­son

Autor:W. G .Trucha­now­ski (UdSSR, 1984)
Titel:Nel­son
Aus­gabe:Mili­tär­ver­lag der DDR, 1990
Erstan­den:Anti­qua­risch vom »Bücher­wurm« Michael Kross

Nelson

Anti­qua­riate ber­gen viele Über­ra­schun­gen, so die­ses Werk des sow­jetischen His­to­ri­kers über die Ikone Großbri­tanniens, Admi­ral Nel­son. Wie sieht man ihn wohl von rus­sisch-sow­­je­ti­scher Seite aus?

Wobei der Autor gro­ßen Wert auch auf den »pri­va­ten« Admi­ral Nel­son legt, also aus­führ­lich auf sein ille­gi­ti­mes Ver­hält­nis zu Lady Ha­milton und ihre unehe­li­che Toch­ter Hora­tia. Ebenso deut­lich übt Trucha­now­ski Kri­tik am Admi­ral, oft deut­lich aus rus­sisch-natio­na­ler Sicht auf den wech­sel­weise Ver­bün­de­ten oder »Kon­kur­ren­ten« Eng­land, jedoch m.E. stets fair.

Deut­lich zeich­net der Autor die Blitz­kar­riere Nel­sons, der schon mit 39 Admi­ral war (sonst erst mit 50), ohne Pro­tek­tion von Onkel und Freun­den nicht mög­lich, Kar­riere trotz le­bens­langer Feind­schaft mit höchs­ter Ad­mi­ra­lität und wenig Anse­hen im Adel. Als wich­tigste Schiffs­klas­sen hebt er die schwe­ren Lini­en­schiffe (100 Kano­nen) und die wen­di­gen, schnel­len Fre­gat­ten, die Kuriere der See­schlach­ten, her­vor. Wesent­lich 1778 die von vorne zu laden­den ver­kürz­ten »Kar­ro­n­a­den«, Kano­nen der bri­ti­schen Firma Car­ron, schnel­ler laden und höhere Zer­stö­rungs­kraft. Dazu kam die deut­lich schnel­lere Schuss­folge der bes­ser aus­ge­bil­de­ten bri­ti­schen Mann­schaf­ten, oft gewalt­sam an Bord gepresst, mit Kiel­ho­len und Aus­peit­schen bedroht. – Des Autors inter­es­sante his­to­ri­sche Ein­ord­nung: Zeit der 2 Revo­lu­tio­nen, die indus­tri­elle in Groß­bri­tan­nien und die bür­ger­lich-demo­kra­ti­sche. Er sieht drei Ziele Großbritanniens:

  • Füh­rende Macht Europas
  • Größt­mög­li­che Zahl an Überseestützpunkten
  • See­herr­schaft; alles Prä­mis­sen für Leben und Kar­riere Nelsons.

Deut­li­che Kri­tik am Skla­ven­han­del und Krie­gen der Bri­ten, mani­fest in Wor­ten Byrons: »… die schrei­ende Sünde … die­ses dop­pel­züng­le­ri­sches lüg­ne­ri­sche Zeit­al­ter selbst­süch­ti­ger Zer­stö­rer.« – Nel­sons jah­re­lan­ges War­ten auf ein Kom­man­do, sein ver­lo­re­ner »Krieg« gegen sich berei­chernde Kolo­ni­al­of­fi­ziere und -beamte, mit einer Para­si­ten­schicht in der Marine, ein­ge­kauf­ten Nichtstuern.

Kar­rie­re­schritt durch den Krieg Eng­land vs. Frank­reich, kühns­tes, aber sieg­rei­ches regel­wid­ri­ges Manö­vrie­ren in der Schlacht von San Vicente, erfolg­rei­che »Regel­wid­rig­keit« wird ein Merk­mal Nel­sons. Ver­let­zun­gen blei­ben nicht aus, Ver­lust eines Auges und eines Arms.

Trafalgar
Eine der vier Kar­ten zu den See­schlach­ten Nelsons

In der Schlacht bei Abu­ka­dir (gegen die Fran­zo­sen) sie­gen die Bri­ten, weil:

  • gut ver­sorgt, dank Nelson
  • bes­ser durchgeplant
  • bes­ser durchorganisiert
  • mehr Pflicht­er­fül­lung
  • bes­ser ausgebildet.

Immer wie­der wird Nel­sons gute Bezie­hun­gen zu ein­fa­chen Mann­schaf­ten unterstrichen.

Die­ser Sieg bedeu­tete eine große Stär­kung des Über­le­gen­heits­ge­fühls der Bri­ten gegen­über den Fran­zo­sen – und dem Rest der Welt.

Die Unter­stüt­zung des König­reichs Nea­pel (gegen die Fran­zo­sen) von gro­ßer per­sön­li­cher Bedeu­tung: Die Gat­tin des bri­ti­schen Gesand­ten, die sei­ner­zeit pro­mi­nente Lady Emma Hamil­ton wird Nel­sons Geliebte und Mut­ter sei­ner Toch­ter Hora­tia. Man lebt in einem jah­re­lan­gen, sogar offe­nen Dreicks­verhältnis, Nel­son 40, Lady Emma 33, ihr Mann 68. Wun­der­schöne Briefe sind aus die­ser Zeit erhal­ten, ihre lei­den­schaft­li­che Liebe trägt große lite­ra­ri­sche Spu­ren nach sich.

Der Autor greift das für ihn wich­tige Gesche­hen auf, die Trup­pen des rus­si­schen Admi­rals Usha­kow erobern Korfu, neu in der Militär­geschichte, See­trup­pen erobern eine Landfestung.

Als Schand­tat Nel­sons wird – trotz zuvor geschlos­sene­nen Waf­fen­still­stands – das Nie­der­metzeln tau­sen­der Fran­zo­sen und ita­lie­ni­scher Repu­bli­ka­ner am Strand von Nea­pel gesehen.

In der Schlacht vor Kopen­ha­gen brachte Nel­son durch Igno­rie­ren des Befehls sei­nes Vor­gesetzten Admi­rals Par­ker, die Dänen – die aus der »bewaff­ne­ten Neu­tra­li­tät« aus­stei­gen woll­ten – an den Rand der Nie­der­lage, was lei­der nicht genauer nach­ge­zeich­net wird. Es kommt – vie­len uner­klär­lich – zu einem Waf­fen­stillstand; sowje­ti­sche See­kriegs­exper­ten mei­nen, Nel­son hätte hier viele Feh­ler ge­macht und letzt­lich Glück gehabt.

Seine erfolg­rei­che eigen­mäch­tige Entschei­dung, die fran­zö­si­sche Flotte nach West­in­dien zu ver­fol­gen und dank des hohen Aus­bildungsstands sei­ner Besat­zun­gen sogar zu über­ho­len, führt zum Ober­kom­mando und dem Titel des Admi­rals der wei­ßen Flagge, sein Flagg­schiff wird die Vic­tory, er von den Bri­ten umju­belt und äußerst popu­lär. Er erhält viel Lob für seine geän­derte Seekriegs­füh­rung, die Abkehr von der simp­len Linienfüh­rung, die Kapi­tä­nen und Unter­ad­mi­ra­len mehr Ent­schei­dungs­frei­heit ließ. Gegen­über den Fran­zosen kamen bes­ser ein­ge­rich­tete Schiffe, gutes Manö­vrie­ren und die bes­sere Artil­le­rie­be­die­nung hinzu: Die Fran­zo­sen schaff­ten einen Kano­nen­schuss alle 3 Minu­ten, die Bri­ten drei­mal so viele. Hinzu kam, dass Napo­léon nichts von der Marine verstand.

So kam es zur ent­schei­den­den, für die Bri­ten sieg­rei­chen Schlacht bei Tra­fal­gar, in der Nel­son töd­lich ver­wun­det wurde. Es war die end­gül­tige Nie­der­lage Frank­reichs, für 100 Jahre gab es keine See­schlach­ten mehr. Eng­lands Posi­tion als herr­schende Kolo­nial- und Welt­macht wurde gesi­chert. Nel­son erhielt ein Begräb­nis mit höchs­ten Ehren, seine Ver­wand­ten wur­den reich beschenkt, Lady Emma, die gar nichts bekam, unter Ver­schwen­dung litt, starb ver­armt auf dem Kontinent.

Tucha­now­ski gelingt ein infor­ma­ti­ves Por­trait von (Privat-)Leben, Kar­riere und Schlach­ten des bri­ti­schen Natio­nal­hel­den Nel­sons. Seine oft von »klas­si­schen« Ansich­ten abwei­chende Dar­stel­lung mach­ten das Buch für mich at­traktiv. So hätte die Abkehr von der sog. »Lini­en­füh­rung« zuvor schon der rus­si­sche Admi­ral Usha­kow im tür­kisch-rus­si­schen Krieg (1787-91) ein­ge­führt. Die Nie­der­la­gen Nel­sons (Tene­riffa, Malta, Süd-Ita­lien, zwei­fel­haf­ter Sieg vor Kopen­ha­gen) feh­len nicht. Ebenso sein Bei­trag zur bri­ti­schen Poli­tik spe­zi­ell im Mit­tel­meer. – Auch wenn die ro­man­hafte Span­nung fehlt und die Erzäh­lung nicht immer kon­se­quent erscheint. Wesent­lich auch sein Unter­strei­chen des bri­ti­schen Herrschafts­anspruchs und ihres räu­be­ri­schen Auf­tre­tens auf den Welt­mee­ren. Nel­son aus sowje­tisch-rus­si­scher Sicht zu erle­ben, hat sei­nen beson­de­ren Reiz, vier Kar­ten und eine gute Biblio­gra­fie run­den ab.

Hoch­in­for­ma­tiv!

2019 rezensiert, Empire, Geschichte, Großbritannien, Marine, Militärverlag der DDR, Nelson, Russland, Sowjetunion