
Brigitte Martin
» Der rote Ballon
Autorin: | Brigitte Martin |
Titel: | Der rote Ballon (1978) |
Ausgabe: | Buchverlag Der Morgen, 3. Auflage 1982 |
Erstanden: | antiquarisch |
Wer kennt Brigitte Martin, Schriftstellerin aus der DDR? Ich habe sie nämlich in einem Nebensatz entdeckt. Es wurde gesagt, dass bekannte Autorinnen wir Christa Wolf, Irmtraud Morgner, Helga Königsdorf auf der Suche nach Utopien waren und sich nicht in sozialistische Norm- und Moralvorstellungen pressen lassen wollten, sondern feministische Sichtweisen entwickelten, dazu gehört auch die weitgehend unbekannte Autorin Brigitte Martin. Das machte mich neugierig! Ich fand so gut wie nichts, nur diese Aussage: In einer Ausstellung wurde ein Porträt gezeigt »der aus Königs Wusterhausen stammenden Schriftstellerin Brigitte Martin, die 1968 in Ostberlin mit einem Kinderwagen herumlief, auf dem „Freiheit für Dubcek« stand. Quelle. »Sie nähte sich ein Kleid in den Farben der tschechischen Nationalflagge, mit dem sie provokativ durch Berlin fährt.« So beschreibt es Ruth E. Westerwelle in ihrem Ausstellungskatalog »Die Frauen der APO«. Quelle
Jetzt war meine Neugier erst recht geweckt! Brigitte Martin wurde 1939 in Königs Wusterhausen geboren. Sie arbeitete in der Akademie der Wissenschaften der DDR, spielte Kleinstrollen am Deutschen Theater und den Kammerspielen. In den 60er Jahren schloss sie sich dem oppositionellen Kulturkreis um Robert Havemann an, mit dem sie eine zehnjährige Partnerschaft führte. Sie lebte als freie Schriftstellerin in Ost Berlin und wurde mit den Geschichten um Brigge Bem »Der rote Ballon« aus dem Jahr 1977 in der DDR bekannt.
In diesem Erzählband geht es um Brigge Bem und ihre beiden Kinder. Der Vater der Kinder hat sie im Stich gelassen, sie zieht die Kinder alleine groß, hat Geldsorgen, Erziehungssorgen, möchte gerne Soziologie studieren, hat aber Prüfungsängste – und – möchte sich gerne wieder verlieben. Sie ist stolz darauf, unabhängig zu sein: »Eine Wohnung, sie gehört mir, ich bin ihr Besitzer.« (S. 16). Aber das reicht zum Glücklichsein nicht aus. Während sie sich schminkt, gehen ihr Gedanken durch den Kopf: »Ich weiß nicht, für wen ich jetzt dies tue und diese Gedanken habe. Was tue ich für mich?« (S. 23). Sie ist rastlos bei ihren Tätigkeiten und schafft fast nie, was sie sich vorgenommen hat. Sie hat Freunde und Freundinnen, man unterstützt sich gegenseitig, auch auf fantasievolle Art. Alltagsleben wird beschrieben, zum Teil sehr drastisch. Brigge Bem sucht ihren individuellen Weg, sie will keine ideologischen Grundsatzdiskussionen führen, sondern für praktische Dinge kämpfen, z.B. dass das Essen in der Kantine verbessert wird. Brigge Bems Situation ist durch ihr Geschlecht bestimmt, wenn ihre Gedanken lauten: »Noch immer sagst du nicht: Kinder, ich habe auch ein Leben, eins, ganz für mich! Werde es wohl nie sagen.« (S. 68). Diesen Privatbereich verteidigt Brigitte Martin vehement, dieser sei genau so relevant wie der Arbeitsbereich und die Verantwortung als Mutter gesellschaftlich genauso wichtig wie die Berufstätigkeit, daher will sie die Frauen sehr bewusst in die sozialistische Gesellschaft integrieren. Brigitte Martin richtet ihre Aufmerksam beinahe ausschließlich auf das aktuelle Geschehen, auf Aspekte des Alltagslebens in der DDR, um ausgehend von einer Selbstanalyse die Ursachen eines allgemeinen Unbehagens, die von offizieller Seite ignoriert wurden, festzustellen. Aus ihren Erzählungen spricht intensiv der Wunsch nach Glück, nicht Resignation bestimmt den Ton, sondern immer wieder die Hoffnung nach einer Harmonie sowohl im Privatbereich als auch im gesellschaftlichen Bereich.

So liegen uns hier sieben Erzählungen vor. Erzählungen und kein Roman, denn Brigitte Martin betont, dass sie keine längeren Werke schreiben wolle, da eine Frau neben Beruf und Familie gar nicht die Zeit habe, langatmige Werke zu lesen oder gar zu schreiben.
Ein sehr lesenswerter Erzählband – auch heute noch – von einer Autorin, die sich nicht alles bieten lassen wollte und sich 1968 in Ostberlin öffentlich und sehr phantasievoll traute, ihre politische Haltung zum Einmarsch der Warschauer Pakt Staaten in Prag zu zeigen.
Schreiben ist für Brigitte Martin Aufarbeitung von Selbsterlebtem in der Spiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Lesenswert!
PS: Im Zusammenhang mit dieser Rezension möchten wir gerne auf das »Matronen-Blog« hinweisen, von und für alte Frauen.
Eine Idee, die wir unterstützen!

Margret Hövermann-Mittelhaus
2024 rezensiert, APO, Brigitte Martin, Buchverlag Der Morgen, DDR, Feminismus, Frauenbewegung