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Colm-Toibin-Long-Island

Colm Tói­bín
» Long Island

Autor:Colm Tói­bín (Irland, 2009)
Titel:Long Island
Aus­gabe:Pica­dor, 2024, eng­li­sche Originalfassung
Erstan­den:Buch­hand­lung Thaer, Berlin-Friedenau

Colm-Toibin-Long-Island

Neues aus der Einfamilienhaus-Hölle

Ich lese wirk­lich gerne iri­sche Lite­ra­tur. Brendan Behan, Anna Burns Milk­man, Claire Keegan,Audrey Magee – to name but a few. Colm Tói­bín wird gerade rauf und run­ter gehan­delt. Und dann kam mir der 2. Band sei­ner Tri­lo­gie, Long Island, in der Buch­hand­lung mei­nes Ver­trau­ens in Ber­lin Frie­denau gerade recht.

Das Set­ting ist schnell erzählt: Eilis, iri­schen Ursprungs, lebt auf Long Island (USA) in einem Ein­fa­mi­li­en­haus, das die ita­lie­ni­sche Fami­lie ihres Ehe­manns Tony vor Jah­ren am Ende einer Sack­gasse errich­ten ließ. Eines von vier Häu­sern, die alle von der Sippe bewohnt wer­den. »Tony’s family often behave like they never left Italy« sagt man von ihnen. Die ita­lie­ni­sche Schwie­ger­mut­ter wohnt am Ende von Eilis Gar­ten, mit direk­tem Blick auf ihr Wohn­zim­mer, wie »prak­tisch«!

Die Idylle bekommt einen Sprung, als ein gehörn­ter Ehe­mann bei Eilis auf­taucht. Eilis Mann Tony, Klemp­ner, hat in des­sen Haus neue Rohre gelegt. In sei­nem Eifer hat er gleich noch die Dame des Hau­ses geschwän­gert. Der Gehörnte droht nun, die Frucht von Tonys Eifer bei Eilis auf die Schwelle zu legen – was in der fried­li­chen Ein­fa­mi­li­en­haus-Hölle einem gesell­schaft­li­chen Mord bedeu­ten würde. Eilis lehnt empört ab, das Balg soll nicht ein­mal auf die Schwelle des Hau­ses kom­men. Geschweige denn dar­über. Was die Schwie­ger­mut­ter Fran­ce­sca, völ­lig anders sieht. Sie wis­sen schon, eine ita­lie­ni­sche Mama…Es kommt zum erbit­ter­ten Streit mit der Schwiegermutter

Da reicht’s der Eilis, und sie kommt auf die Idee nach 20 Jah­ren mal wie­der in die Hei­mat zu rei­sen, nach Irland, ihre Mut­ter hat dem­nächst ihren 80. Geburts­tag. Und dann wäre da ja noch die »Jugend­flamme« Jim, Knei­pier in dem iri­schen Pro­vinz-Kaff. Mit Jim hat sie reich­lich Lie­bes­stun­den ver­bracht, obwohl sie längst schon in den USA ver­hei­ra­tet war. Und dem mit einer »Knall-auf-Fall-Abreise« zurück nach Hause damals Rech­nung trug. Hin­ter­gründe scheint’s nicht zu geben, wer­den jeden­falls nicht erzählt. Und da ist noch Eilis Busen­freun­din Nancy, Besit­zern eines Frit­ten­ge­stank ver­brei­ten­den Imbis­ses in dem Hei­mat­kaff in Irland. Jim will nun, nach fast 20jähriger Abs­ti­nenz offen­bar, Nancy hei­ra­ten. Um das in der hei­mat­li­chen Klein­stadt nicht vor­zei­tig ruch­bar wer­den zu las­sen, müs­sen sie auf gera­dezu kon­spi­ra­ti­ven Wegen Hoch­zeits­klei­der besor­gen, Treffs mit Jim wer­den nur unter geheim­dienst­taug­li­chen Vor­sichts­maß­nah­men arran­giert, Holz­auge sei wachsam.

Diese Art der beklem­mend engen sozia­len Über­wa­chung in (klei­ne­ren) iri­schen Com­mu­ni­ties ist mir das erste Mal in Anna Burns genia­lem Roman »The milk­mann« auf­ge­fal­len. Pro­ble­ma­ti­siert wird das bei Toí­bín nicht, nur bei­läu­fig erzählt.

Jetzt habe ich die defi­ni­tiv »Rosa­munde Pilcher ver­däch­tige« Story so aus­führ­lich erzählt, auch um deut­lich zu machen, dass das Epis­tel ein­fach nicht mehr Inhalt hat. Wobei ich den arme­ni­schen Gara­gen­be­sit­zer, bei dem Eilis auch buch­hal­tet, und seine hoch­zeit­pla­nende Toch­ter noch aus­ge­spart habe. Dafür trifft Eilis in Irland ja diverse klatsch­süch­tige alte Bekannte.

Damit die Sei­ten nun voll wer­den, wird jede Facette des wenig dra­ma­ti­schen Gesche­hens aus zig (Zeit-)Perspektiven beleuch­tet, eine unspan­nen­der als die andre. Soweit ich die Trai­ler von »Brook­lyn« und des 3. Bands ver­stan­den habe, basie­ren die auf dem glei­chen, lei­der sehr lang­at­mig erzähl­ten Ansatz wech­seln­der Erzähl­per­spek­ti­ven. Vor­teil­haft wäre noch zu erwäh­nen, dass Toí­bíns Spra­che so ein­fach ist, dass der Roman gerne ab der 7. Klasse im Ori­gi­nal gele­sen wer­den kann, was man kei­nes­wegs als Kom­pli­ment sehen muss. Ähn­lich ein­fach sind seine Prot­ago­nis­ten gestrickt, von »Cha­rak­te­ren« zu spre­chen wäre zu hoch gegrif­fen. Auch über die Per­sön­lich­kei­ten ist wenig zu ver­lau­ten, eigent­lich hat kei­ner der Han­deln­den eine und ent­wi­ckelt auch keine. Nur über Tony wird ein­mal gesagt, dass er prüde wäre, wahr­schein­lich geschah sein Sei­ten­sprung kom­plett im Dunkeln.

Dort ver­blei­ben auch nahezu alle poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Umstände in denen die Figu­ren leben. Wobei dies in dem Teil, der in Irland spielt, schon manch­mal ins Gesche­hen drängt, aber ohne jede wei­tere Ent­wick­lung, geschweige denn Pro­ble­ma­ti­sie­rung. Die Story ist so lang­wei­lig, ohne jeden Tief­gang wie die Mit­tel­klasse-Bewoh­ner der Ein­fa­mi­li­en­haus-Höl­len in den USA bzw. Irland. Und so ist auch die Spra­che Toí­bíns, nichts iri­sches, kein lako­ni­scher Witz, kein spöt­ti­scher Sar­kas­mus, nur US-Mit­tel­klas­sen­ge­schwätz. Ein ein­zi­ges Mal gab es einen Aus­flug ins poli­ti­sche, als es um die Unter­stüt­zung des US-Kriegs in Viet­nam geht, den Eilis ablehnt. Fol­gen hat dies in der Geschichte nicht, schade wenn man sol­che Chan­cen in Trump-Land nicht nutzt.

Wenn man die­ses trau­rige Gerede mit iri­schen Lite­ra­tur­blü­ten wie »Small things like these« oder »The colony« ver­gleicht, wird rich­tig deut­lich, wie schal das ganze ist. Weil kei­ner­lei Bes­se­rung zu erwar­ten war, habe ich nach 112 (von 287) Sei­ten ent­nervt aufgegeben:

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher.

2025 rezensiert, Colm Toíbín, Einfamilienhaus, soziale Enge, USA