Boris Polewoi
» Doktor Vera
Autor: | Boris Polewoi (UdSSR, 1967) |
Titel: | Doktor Vera |
Ausgabe: | Volk & Welt, Berlin, DDR, 1967 |
Erstanden: | Antiquarisch |
Boris Polewoi ist das Pseudonym für den sowjetischen Journalisten und Schriftsteller Boris Nikolajewitsch Kampow (1908–1981). Er ist Autor vieler Erzählungen und Romane, speziell aus der Zeit des »Großen Vaterländischen Kriegs«, wie der 2. Weltkrieg in der Sowjetunion (SU) hieß. Sein vielleicht bestes Werk war das in der SU immens populäre »Der wahre Mensch«, nach dem realen Vorbild eines sowjetischen Jagdfliegers, der trotz beidseitiger Fußamputation auch gegen viele Widerstände in der Roten Armee dort wieder Einsätze flog. Polewois Werke (vgl. gelesen im März) sind von unterschiedlicher Qualität, manches würden wir heute als »sowjetische Heldensaga« abqualifizieren. Was aber nach dem unsäglichen Leid des Krieges und dem Stolz der Menschen auf den Sieg über die Nazis seinerzeit trotzdem wichtig war. »Der wahre Mensch« ist auch für mich eine herausragendes Beispiel von Kriegsliteratur.
In Doktor Vera steht eine Ärztin im Mittelpunkt, die auch unter der faschistischen Besatzung ihrer Heimatstadt ihren humanistischen Idealen treu bleibt, wiewohl sie (und ihr Mann) gleichzeitig mit ungerechtfertigten Verdächtigungen aus der Ecke des übelsten Stalinismus zu kämpfen haben. Was soweit geht, dass sie nach der Befreiung von den Nazis zunächst unter Kollaborationsvorwürfen eingesperrt wird, obwohl sie tatsächlich die Seele des illegalen Widerstands gegen die Nazibesatzung war.
Der ganze Roman ist in Form (fiktiver) Briefe Veras an ihren von Stalins Schergen verhafteten Mann geschrieben, was die Kluft, in der sich die Titelheldin befindet, permanent deutlich macht: Sich gegen die Nazis zu wehren, aber nicht sicher zu sein, was ihr der Stalinismus noch antut. Von daher keine 08/15-Geschichte über heldenhafte Sowjetmenschen, sondern eine, die sich der damaligen Realität interessant annähert – soweit sich das aus dem fernen Nachkriegsdeutschland ermessen läßt.
Das ist durchaus anders als russische Weltkriegsromane (auch die von Polewoi) lange zu sein pflegten, es ist kein »Heldenroman«, sondern der eines Menschen, der zerrissen zwischen den Verdächtigungen des stalinistischen Terrors und der akuten Nazi-Brutalität es schafft, aktiv seinen Idealen zu leben. Wozu Selbstaufopferung für die Patienten in ihrem Hospital, deren Schutz gegen die deutsche Soldateska ebenso gehört, wie die streng verbotene medizinische Fürsorge für verwundete Partisanen und Rotarmisten. Sich zum Widerstand aktiv zu bekennen, war nie einfach, zu mächtig waren der Terror der Gestapo, SS, aber auch ihrer russischen Kollaborateure. So kommt es zu der bemerkenswerten Aussage: » Hitler ist deswegen so mächtig, weil er versteht, die niedersten Instinkte zu wecken, die den Menschen zum Tier machen.« – Polewoi versteht es den schrecklichen Alltag des zivilen Lebens in der SU in dieser Zeit greifbar zu machen und hat noch Worte für die Schönheit der Winternächte und der Wärme der menschlichen Solidarität übrig. Aus einer vergangenen, aber immer noch einflussreichen Zeit:
interessante Lektüre
2. Weltkrieg, 2016 rezensiert, Faschismus, Nazis, Sowjetunion, Stalinismus